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So wird der Stift zum Kopierer. Datenaustausch am Touchscreen-Tisch.
© Cooper Hewitt Smithsonian Design Museum

Zukunft der Museen: Die Welt zum Downloaden

Das New Yorker Cooper Hewitt Smithsonian Design Museum setzt ganz auf Digitalisierung - und sorgt damit für mehr Demokratie in den Ausstellungsräumen.

Die erste Berührung fühlt sich nach Rückkehr in Kindertage an: ein dicker Buntstift für ungeübte Hände. Die zweite Berührung weckt Neugier auf die Zukunft. Der Kunststoffstift hat zwar eine Spitze, aber keine Mine, die angeschrägte, flache Rückseite ziert ein metallenes Kreuz. Beide Seiten haben etwas Magisches, der Name dagegen kann profaner kaum sein, „The Pen“. Das dunkle Ding ist Spielzeug, Designertool, Datenstift – und ein ziemlich animierender interaktiver Begleiter durch das Cooper Hewitt Smithsonian Design Museum an der New Yorker Upper East Side.

Dunkel holzvertäfelte Wände, knarzende Treppen, die ehrwürdige Villa mit großem Garten an der Fifth Avenue lässt von Weitem kaum spaciges Digitalinterieur vermuten. Mit „The Pen“ kann der Besucher interaktiv zu seinem eigenen Kurator werden. Das kleine Kreuz findet sich auch an den Beschreibungen der Exponate an den Wänden. Kurz das gekreuzte Stiftende draufhalten, drei weiße Leuchten flackern – und schon ist das Objekt gespeichert. Kann ich wirklich so einfach meinen ganz persönlichen Ausstellungskatalog zusammenstellen? Bleibt das Smartphone in der Tasche?

Tische als Touchscreen

Schnell an einen der Touchscreen-Tische in der Mitte des Raums. Schon wird die eigene Kollektion angezeigt, mit Bildern, professioneller, als sie in der Regel mit dem eigenen Telefon gelingen. Die 24-Stunden-Flugdatenanimation fehlt auf dem Datenstick. „So etwas passiert leider immer mal wieder, wie bei allen technischen Neueinführungen. Aber wenn ein Besucher uns informiert, können wir das meist schnell richten“, sagt Micah Walter, Cooper Hewitts Director of Digital and Emerging Media.

Wie gut „Pen“ und Tische ankommen, war für Micah Walter trotzdem eine Überraschung. „Unglaublich lange“ bleiben die Besucher an den Tischen: „15 bis 20 Minuten erkunden viele die Möglichkeiten und sind nicht mal enttäuscht, wenn nicht das Ergebnis herauskommt, das sie erwarten.“ Irgendwann wird es aber vielleicht einen 3-D-Drucker für eigene Objekte geben. Entsteht hier mal ein Designentwurf fürs Shuttle der ersten Marsmission?

Aktuelles Highlight ist der „Immersion Room“. Erinnerungen an imaginäre Bilder aus „Fahrenheit 451“-Hörspielnächten am Radio zu Schulzeiten werden wach, wo Fernsehschirme ganze Wände einnahmen. Hier und heute sind die vier Wände praktisch ein einziger großer Bildschirm. Der Besucher kann sich digital in den riesigen Museumsfundus von Tapeten aus verschiedenen Epochen begeben.

Weltweit der Erste sein

Auf die Entwicklung ist das Museum ziemlich stolz. „Global first“, weltweit also als Erste, seien sie damit am Start. Hinter all der spektakulären Interaktion im Museum, die bei „Pen“ und Designraum nicht endet, steckt „ein Multi-Millionen-Dollar-Projekt“, das erst einmal rund drei Jahre Vorarbeit mit den eigenen Leuten und einem halben Dutzend externer Firmen bedeutete – und Streit innerhalb des früher eher als verschlafen geltenden Hauses am Rande des Central Park. Walter spricht lieber von einem „Kulturwandel“ rund um Schließung und Neuorientierung.

Der Wandel ist noch nicht abgeschlossen, die Kultur im Haus aber bereits „dramatisch anders“. Lange war weder klar, was genau sie entwickeln würden noch ob es überhaupt klappt – auch wegen des benötigten Geldes, erinnert sich Walter, der früher als Fotograf unter anderem für das Magazin Time und die New York Times im Nahen Osten unterwegs war. Inzwischen sind die mehr als 200 000 Objekte der Sammlung digitalisiert, die Menge an Daten wächst beständig.

Es kommen mehr junge Leute, Millennials, Familien, Gruppen. Und die meisten nutzen ihre neuen Freiheiten, dass es hier – natürlich nicht überall – heißt: Bitte berühren. Weg von der alten Museumsdidaktik, hin zu mehr Demokratie. „85 Prozent der Besucher nutzen den ‚Pen‘ und die interaktiven Möglichkeiten so, wie wir gedacht haben. Ganz wenige benutzen den ‚Pen‘ gar nicht.“ Stolz ist Walter vor allem auf die 35 bis 40 Prozent, die anschließend über die Webseite zurückkehren. Andernorts seien es manchmal nur vier bis acht Prozent.

Event und Education

Denn auch nach dem Verlassen des ehrwürdigen Gebäudes sollen Interesse und Erinnerung nicht enden oder, unweigerlich, verblassen. Den „Pen“ muss man zwar am Ausgang wieder in eine durchsichtige Acrylbox werfen – aber auf dem Ticket steht die Internetadresse www.cooperhewitt.org/you und ein persönlicher Code. Darüber kann jeder zu Hause oder am Netbook im Café zurückkehren, auch ohne dass sie oder er sich zu erkennen geben muss. Über den Code sind alle gespeicherten Ausstellungsstücke und eigene Entwürfe zu finden. Und man kann sie am eigenen Computer weiterentwickeln und über soziale Medien teilen. So kommen Event und Education zusammen.

Per Statistiktool kann jeder Cooper-Hewitt-Besucher nachvollziehen, wie viele Objekte er oder sie gespeichert hat (insgesamt sind es nach rund anderthalb Jahren neun Millionen), zu welchen Künstlern sie gehören, mit welchen Schlagworten sie verbunden sind, aus welchen Ländern sie stammen, welche Farben dominieren. Und natürlich: zu welcher Uhrzeit sie gespeichert wurden. All diese Daten, und noch einige mehr, sind selbstverständlich auch für die Museumsplaner interessant. Wie lange verweilen Besucher wo, welche Wege nehmen sie, welche Objekte sind besonders beliebt, wo geht kaum jemand hin? „Die Daten gehören den Leuten, die den Stift benutzen. Die persönlichen Daten teilen wir mit niemand anderem und verkaufen sie auch nicht.“ Walter hat die Frage erwartet.

Aber natürlich wollen sie die Daten nutzen, um mehr über ihre Besucher zu erfahren. „Interessieren sie sich vor allem für Designprodukte oder eher für Poster?“ Den gläsernen Besucher soll es nicht geben, aber auch den typischen Besucher haben sie nach Walters Worten noch nicht aus ihrem Datenschatz geborgen. „Dafür ist eine tiefere Analyse nötig. Wir stehen da noch ganz am Anfang.“ Es sei viel zu früh, um Erfahrungen für neue Ausstellungen zu nutzen. Aber die digitale Infrastruktur, die Sammlungsobjekte und Besucherinformationen über Programmierschnittstellen verbindet, macht es zum Beispiel möglich die „Top Ten“ zu zeigen – die Hits der Besucher geben die Daten preis.

Technik wird zu Open Data

Ein paar besonders beliebte Stücke haben sie aufgrund der neuen Erfahrungen bereits länger als geplant ausgestellt. Für das Cooper Hewitt ist der „Pen“ zum durchschlagenden Erfolg geworden. Jetzt geht er zusammen mit dem „Immersion Room“ auf Reisen, nach Europa. Walter und sein Team sind zur ersten Londoner Design Biennale mit dem Titel „Utopia by Design“ eingeladen, die am 7. September im Somerset House beginnt.

Damit startet die nächste Entwicklungsstufe, an der Themse wird „ein Klon“ zu sehen sein. Für Berlin gibt es im Moment keine Pläne. Den mobilen Bildschirmraum könnte das Team von Cooper Hewitt auch selbst weiterhin auf Reisen schicken. Walter weiß nicht zuletzt durch seine eigenen Trips, dass nur ein ganz kleiner Teil der Menschen in die New Yorker Villa kommen kann.

Digital bieten sich ganz neue Möglichkeiten. Für Menschen in Amerika und darüber hinaus. Was ist ein Museum und wann ist es das? Auch andere Museen probieren da schon interessante Ideen. Da das Smithsonian von der Regierung gefördert wird, sollen seine Ideen möglichst viele Menschen erreichen. Möglicherweise wird die zugrunde liegende Technik als Open Data frei zugänglich gemacht werden.

Walter bleibt neugierig, auch auf die Welt jenseits des Museums. „Viele Gegenden auf dem Globus sind völlig unzugänglich“, sagt er. Das Smithsonian als imposantes Bildungs- und Museumsnetzwerk hat schon an manch schwierigem Ort gearbeitet. In Haiti zum Beispiel. Also warum nicht mal mit dem Datenschatz nach den Sternen greifen? Weit oben auf Walters Liste der größten Herausforderungen für sein mobiles Museum: Port-au-Prince, Teheran. Und vor allem: Aleppo.

Ingrid Müller

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