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Hitziger Protest. Demonstranten im afghanischen Bagram mit einer Koranausgabe, die US-Soldaten ins Feuer geworfen haben sollen.
© dpa

Bücherverbrennungen: Die Glut des Bösen

Von Augustus bis Afghanistan: Bücherverbrennungen sind eine Konstante der Menschheitsgeschichte. Werner Fuld erklärt sie in seinem "Buch der verbotenen Bücher" die lange, finstere Tradition der Zensur.

Auf den Helmen der Feuerwehrmänner steht die Zahl 451. Bei einer Temperatur von 451Grad Fahrenheit, umgerechnet 233 Grad Celsius, soll sich Papier von selbst entzünden. Diese Feuerwehr löscht kein Feuer, sie legt es selbst. Ray Bradbury erzählt in seinem 1953 erschienenen Roman „Fahrenheit 451“ von einem totalitären Staat, der alle Bücher verboten hat, weil sie Ideen verbreiten können. „Ein Buch im Haus nebenan ist wie ein geladenes Gewehr“, warnen die Machthaber. „Man muss es unschädlich machen.“ Deshalb rücken die Feuerwehrleute immer sofort aus, wenn irgendwo Bücher in Privatbesitz entdeckt werden, um sie mit Flammenwerfern zu verbrennen. Manchmal verbrennen die Besitzer gleich mit.

Science-Fiction? Genauso gut eine Geschichte aus der jüngeren Vergangenheit. Denn am 10. Mai 1933 agierten Berliner Feuerwehrleute tatsächlich als Brandstifter. Als sich der aus Büchern von linken, kritischen oder „nicht arischen“ Autoren wie Stefan Zweig, Vicki Baum, Lion Feuchtwanger, Kurt Tucholsky, Magnus Hirschfeld oder Thomas Mann auf dem Opernplatz aufgeschichtete Scheiterhaufen im strömenden Regen nicht entzünden ließ, halfen sie mit Benzin nach. Propagandaminister Goebbels hielt eine Rede, in der er die NS-„Kampfausschüsse der Studentenschaft“ lobte, die 25 000 Bände auf Lkws herangekarrt hatten: „Ihr tut gut daran, in dieser mitternächtlichen Stunde den Ungeist der Vergangenheit den Flammen anzuvertrauen.“ In 21 weiteren Universitätsstädten fanden in dieser Nacht solche Autodafés statt, bis zum Ende des Jahres folgten noch mehr als 50 weitere. Und bald darauf sollte sich die Prophezeiung des Zensuropfers Heinrich Heine erfüllen: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“

Vielleicht sind dies, nach dem Lagerfeuer der Anfangszeit, überhaupt die wesentlichen Rauchzeichen der Menschheitsgeschichte: die Fackel der Aufklärung und die aus Papierbergen aufsteigenden Flammen. Die Flammen sollen auslöschen, was die Fackel den Menschen gebracht hat. Bücherverbrennungen scheinen zu den Konstanten des Zivilisationsprozesses zu gehören, angefangen vom römischen Kaiser Augustus bis zu heutigen Fundamentalisten und Militärs. Augustus ließ im Jahr 12 v. Chr. mehr als 2000 Orakelbücher und Weissagungsschriften verbrennen, damit seine politischen Entscheidungen nicht mehr vom Volk angezweifelt werden konnten. Und zuletzt sorgten US-Soldaten für einen Aufruhr in der islamischen Welt, die auf dem Stützpunkt Bagram in Afghanistan Koranausgaben mittels Feuer entsorgt hatten.

Meist sind die Bücher dabei nur Stellvertreter, verschwinden sollen mit ihnen die darin formulierten Gedanken und am liebsten auch gleich deren Urheber. Dabei hat das noch nie funktioniert, so bleibt es, wie Werner Fuld schreibt, „rätselhaft, warum Regierungen immer noch glauben, unbequeme Wahrheiten dauerhaft unterdrücken zu können“. Sein gerade erschienenes „Buch der verbotenen Bücher“ (Verlag Galiani Berlin, 352 S., 22,99 €) ist eine längst überfällige „Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute“ – so der Untertitel – und gleichzeitig eine furiose Streitschrift wider den Ungeist. Fuld, ein profunder Kenner der Weltliteratur, zitiert den römischen Dichter Horaz, der ein Zeitgenosse des Augustus war: „Nur das, was noch nicht in die Öffentlichkeit gelangte, kann vernichtet werden. Die einmal entsandte Stimme kann nicht wieder zurückkehren.“ Auch Bradburys Roman „Fahrenheit 451“, später von Truffaut verfilmt, hat ein Happy End. In den Wäldern treffen sich Dissidenten, die Bücher auswendig gelernt haben, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Die Gedanken sind frei, sie lassen sich nicht zu Asche verwandeln.

Wie sieht die Zensur in der Zukunft aus?

Untersuchungen über verfolgte, verbotene, vergessene Schriftsteller und ihre Bücher hat es einige gegeben, darunter Jürgen Serkes Porträtsammlung „Die verbrannten Dichter“ und Volker Weidermanns „Buch der verbrannten Bücher“. Was fehlte, war eine umfassende Kulturgeschichte der Zensur. Werner Fuld hat sie jetzt geschrieben, so erzählt er im Gespräch, „weil ich glaube, dass es immer mehr Verbote gibt – besonders im Netz“. Einerseits hat das Internet – siehe Wikileaks – die Möglichkeit, Informationen und Ideen zu unterdrücken, quasi unmöglich gemacht. Andererseits können Internetbuchhändler wie Amazon nur im Geschäft mit China bleiben, wenn sie die Bücher von systemkritischen Autoren auch außerhalb Chinas aus ihrem Angebot nehmen. Facebook erlaubt Gewaltszenen, löscht aber Bilder, auf denen weibliche Brustwarzen, Tierquälereien oder sexuelle Handlungen zu sehen sind.

„Die Verbotsrichtung geht eindeutig in Richtung der islamischen Länder“, sagt Fuld. „Dort ist die Misshandlung von Tieren streng verboten, ganz abgesehen von Sex und Entblößungen aller Art. Es geht um Geld, nicht um Inhalte. Man will seine Märkte nicht verlieren.“ Aber nicht nur deshalb ist ein neuer Fundamentalismus auch im Westen auf dem Vormarsch. Die US-Supermarktkette Wal-Mart räumt gnadenlos Bücher, Zeitschriften und CDs aus ihren Regalen, wenn ihr Erscheinungsbild etwa wegen eines etwas zu großen Dekolletés Anstoß erregen könnte. Weil rund zwanzig Prozent aller Medienerzeugnisse in den USA von Wal-Mart verkauft werden, legen inzwischen viele Verlage die Cover ihrer Zeitschriften vor deren Erscheinen der Konzernleitung vor.

Nicht die Zensoren und ihr Wunsch, Stimmungen zu lenken, sind – das zeigt das „Buch der verbotenen Bücher“ eindrucksvoll – die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit. Sondern: die Selbstzensur verängstigter Autoren und ihrer duckmäuserischen Verleger. Ein Beispiel für derlei vorauseilendem Gehorsam gab der Schweizer Verleger Alfred Scherz. Er war entsetzt, als der Erfolgsautor Erich Maria Remarque 1951 das Manuskript seines Romans „Der Funke Leben“ bei ihm ablieferte, der den Alltag in einem Konzentrationslager schildert. „Haben Sie sich reiflich überlegt, welche Wirkung eine Ausgabe in Deutschland haben wird?“, fragte er in einem Brief an den Schriftsteller, warnte vor „Angriffen“ und „Boykott“ und lehnte die Veröffentlichung ab.

Stattdessen brachte der Kölner Verleger Joseph Caspar Witsch das Buch heraus. Als Remarque aber in seinem Kriegsroman „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ die Mitschuld der Deutschen am Holocaust thematisierte, schrieb Witsch dem Autor, seine Lektoren hätten ganze Passagen als „unzumutbar“ empfunden und ließ sie ohne Zustimmung „korrigieren“. Dabei wurde ein Kommunist in einen Sozialdemokraten verwandelt und ein SS- Mann in einen einfachen Deutschen.

Von der geistigen Kontinuität zwischen der NS-Diktatur und der frühen Bundesrepublik zeugt auch die Tatsache, dass der Roman „Kokain“ des italienischen Schriftstellers Pitigrilli 1933 und 1956 wegen desselben pazifistischen Satzes als „jugendgefährdend“ verboten wurde: „Das Vaterland ist etwas, was die Schafe auf die Schlachtbank führt“. Fuld hält es ohnehin für „grotesk“, dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften nach undurchsichtigen Kriterien weiterhin mehr als 500 Bücher und Comics indiziert hat. „Wenn ein Buchhändler Josefine Mutzenbachers fiktive Erinnerungen, einen Klassiker der erotischen Literatur, in sein Regal stellt, macht er sich strafbar. Aber es handelt sich um Kunst, seriöse Literatur.“

Zensur ist zu einer Sache der Bürokraten geworden. Deutlich größer war der zeremonielle Aufwand im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Da wurde der Verbot einer Druckschrift per Trommelwirbel angekündigt und von einem Richter verlesen. Anschließend wurde das Objekt dem Henker übergeben und, als wäre es ein Wesen aus Fleisch und Blut, auf einem Maultier zum Exekutionsort transportiert, dem Hauptplatz der Stadt, wo es vor einer gaffenden Menge feierlich „hingerichtet“, sprich: verbrannt wurde.

Der Vatikan hatte im Zuge der Gegenreformation 1571 seine Indexkongregation gegründet, die mit Feuer und Flamme sowie immer neuen Verbotslisten versuchte, das in Büchern gespeicherte Weltwissen von allen ketzerischen Gedanken zu „reinigen“. Ein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen, denn die römischen Glaubenswächter kamen kaum damit nach, die nach der Erfindung des Buchdrucks massiv angeschwollene Publikationsflut zu prüfen. Trotzdem blieb es für Katholiken bis 1965 offiziell eine Sünde, die Werke etwa von Malaparte, Alberto Moravia oder Sartre zu lesen. Erst da nahm Papst Paul VI. der Kongregation das Recht, im Namen der Kirche Bücher zu verbieten. Für Schriftsteller konnte es lange ohnehin keine bessere Werbung geben, als auf dem Index des Vatikans zu landen. Voltaire verglich seine Werke mit Kastanien, „die sich umso besser verkaufen, desto gründlicher man sie geröstet hat“.

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