zum Hauptinhalt
James Norton in "Mr. Jones"
© Robert Palka / Film Produkcja / Berlinale

„Mr. Jones“ im Berlinale-Wettbewerb: Die Wahrheit über Stalins Hungersnot

Was geschah in der Ukraine 1932/33? Agnieszka Hollands aufwändig ausgestatteter, psychologisierender Polithistorienfilm.„Mr. Jones“ im Wettbewerb.

Keine schlechte Idee, in Zeiten von Fake News daran zu erinnern, dass es die Wahrheit gibt. Nicht nur die interessengeleitete Wahrheit, die einem in die eigene Agenda passt, sondern die Kenntnis über das, was geschah. Der sogenannte Holodomor, die Hungersnot in der Ukraine 1932/33, forderte Millionen von Todesopfern. Es war wohl Stalin, der sie verantwortete, sei es vorsätzlich, sei es als „Nebenwirkung“ der Zwangskollektivierung im Kornspeicher Ukraine. Auch das gehört zur Revolution, zum großen, kommunistischen Experiment.

Einer der wenigen Journalisten, der sich vor Ort begab und die Weltöffentlichkeit über die frierenden, sterbenden Bauern informierte, über ausgemergelte und vor lauter Verzweiflung Menschenfleisch verzehrende Kinder, war der walisische Politikberater und Reporter Gareth Jones. Einen Namen machte sich Jones, als es ihm 1933 gelang, Hitler zu interviewen. Prompt bemühte er sich um ein Pressevisum für Moskau, um auch Stalin zu treffen, fasziniert von dessen Modernisierung, aber auch misstrauisch bei der Frage, wie die Sowjetunion den Fortschritt eigentlich finanziert.

Parallele zum Krieg in der Ukraine

Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland hat „Mr. Jones“, der 1935 mit nicht einmal 30 Jahren unter ungeklärten Umständen ermordet wurde, nun ein filmisches Denkmal gesetzt, mit einem aufwändig ausgestatteten, psychologisierenden Polithistorienfilm. Man kennt diesen Look von ihren früheren Filmen, „Hitlerjunge Salomon“ oder „Bittere Ernte“. James Norton spielt den Titelhelden als grundsympathischen, nickelbebrillten Menschenfreund (der ein wenig an Roger Willemsen erinnert). Die dekadente, korrupte Truppe der Moskauer Hauptstadtkorrespondenten verlässt Jones alsbald, um heimlich in die Ukraine zu reisen und dort beinahe selber den Hungertod zu erleiden. Er wird aufgegriffen und in den Westen zurückdeportiert, wo ihm jedoch keiner glauben will, als er vom Elend in der Ukraine berichtet. Erst recht nicht, als der Pulitzer Preisträger und „New York Times“-Korrespondent Walter Duranty (Peter Sarsgaard) in einem Gegenartikel abwiegelt. Nein, es gibt keine Hungersnot in der Sowjetunion.

Es ist wie bei François Ozons Missbrauchsdrama „Grâce à Dieu“. Den verbrecherischen Taten folgt das nächste Verbrechen, die Lüge, die Ignoranz, das Schweigen. Agnieszka Holland zieht eine weitere Parallele, die zum jetzigen Krieg in der Ukraine, den „Stalins Erben“ provoziert hätten.

Anders als ihr anarchisches Rachedrama „Potok“ (Berlinale 2017) setzt „Mr. Jones“ auf klassische Dramatisierung, auf Wow-Effekte (die wuchtige Dampflok von und nach Moskau, die Telefonkabel in Close-Ups, für die vom Geheimdienst abgefangenen Gesprächsverbindungen), opulente Ausstattung und Architekturen der Macht. Babylon Moskau: Die frivolen Partys in der sowjetischen Hauptstadt bilden den größtmöglichen Kontrast zum Elend in der Ukraine. Hier immerhin verzichtet die Regisseurin auf Geschmacksverstärker, weiß um die Grenzen der Darstellbarkeit auch des Holodomors, die Bilder werden skizzenhaft, fast schwarz-weiß in trüber Winterlandschaft, als seien sie selber traumatisiert.

„Ich passe nicht in diese Zeiten. Und ihr?“, fragt George Orwell (Joseph Mawle) im Film – Orwells dystopischer Roman „Animal Farm“ ist von Jones’ Sowjetunion-Bericht inspiriert. Auch in den heutigen Zeiten, so Holland, gibt es reichlich Konformisten und Egoisten und zu wenige Menschen wie Orwell und Jones.

11.2., 15 Uhr und 21 Uhr (FSP), 14.2., 12 Uhr, 17.2. 21 Uhr (HdBF)

Zur Startseite