Weltkulturerbe, die neue Liste: Die universelle Bedeutung der Weinflasche
Weltkulturerbe: Die Unesco benennt 24 neue, schützenswerte Stätten, darunter auch das Weinanbaugebiet Burgund. Nicht alle überzeugen.
Hamburg jubelt, Naumburg zagt, die Wikinger-Vertreter halten sich zurück: So lassen sich die Reaktionen auf die Behandlung der deutschen Bewerber für die Weltkulturerbe-Liste zusammenfassen. Aber eigentlich kümmert sich das Welterbe-Komitee der Unesco, diese Hüterin der begehrten Liste von Kultur- und Naturdenkmälern, ja um die ganze Welt, oder genauer: um historische Stätten in den 191 Unterzeichnerstaaten, die die Welterbe-Konvention ratifiziert haben.
Zwei Dritteln der Anträge hat das Komitee in diesem Jahr zugestimmt: 24 von 36. Damit umfasst die Liste nunmehr 1031 Positionen aus 163 Ländern, 802 Kulturerbe-, 197 Naturerbestätten, 32 Stätten die beides zugleich sind. Ob es sich bei der Aufnahmeprozedur, bei der jeweils eine deutliche Mehrheit der Anträge Zustimmung findet, nicht um fortgesetzte Pyrrhussiege handelt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Mit ihrer Befürchtung, die Welterbeliste drohe an ihrer eigenen Ausdehnung zu ersticken, ist die in Berlin ansässige NGO „World Heritage Watch“ nicht allein. Immer mehr Titelträger, das bedeutet immer weniger Relevanz für das begehrte Unesco-Siegel. Wenn in absehbarer Zukunft jedes historische Städtchen, jede Burg, jede stillgelegte Fabrik, jeder halbwegs gepflegte Park zum Welterbe zählen, wird die „universelle Bedeutung“, die den Welterbe-Status begründen soll, zur Beliebigkeit verwässert.
Nicht alle Anträge sind so problemlos wie etwa die deutschen, die sich an der traditionellen Definition eines Kulturdenkmals als einem physischen, abgrenzbaren von Menschen gemachten Werk orientieren. Doch wie verhält es sich mit dem Antrag der Mongolei, den als heilig verehrten Berg Burkhan Khaldun aufzunehmen? Ihm wurde stattgegeben: Es handele sich um die Geburts- und Grabstätte Dschingis Khans, wie im Übrigen „die Anbetung heiliger Berge und Quellen wesentlicher Bestandteil der mongolischen Kultur“ sei. Über die welthistorische Bedeutung Dschingis Khans muss man nicht streiten; doch geht es bei der Unesco-Liste gerade nicht um historische Ereignisse oder Personen, sondern um konkrete Objekte. Religiöse Praktiken zählen hingegen zum immateriellen Kulturerbe, zu dem die Unesco eine eigene Liste führt.
Jesu Taufstelle am Jordan? Angenommen.
Auch der Antrag Jordaniens, die mutmaßliche Taufstelle Jesu am Jordan in die Liste aufzunehmen, wurde angenommen. Die Sache ist delikat, da Jordanien kein christliches Land ist, zu dessen selbstverständlichem Erbe der Taufort zählen würde. Sollte Israel nun mit der Grabeskirche in Jerusalem kontern, die von fast allen christlichen Konfessionen gemeinsam genutzt wird, und so Diskussionen über den säkularen oder nicht säkularen Charakter des Landes entfachen? Israel hat die Nekropole von Bet She’arim im Norden des Landes nominiert. Laut Unesco stellt sie „ein außergewöhnliches Zeugnis des antiken Judentums“ dar, „ein Wahrzeichen der jüdischen Erneuerung“. Sofern nicht jedem geschichtlichen Ereignis letztlich welthistorischer Charakter zuzubilligen ist, werden hier deutlich Partikularinteressen erkennbar, es droht die Gefahr der politischen Instrumentalisierung.
Andererseits: Honoriert nicht jede Eintragung auf der Unesco-Liste eine partikulare Bedeutung? Welchen Wert haben, am globalen Maßstab gemessen, europäische Burgen, Schlösser, Landschaftsparks? Oder guter Wein? Frankreich ist es gelungen, mit der Champagne und Burgund gleich zwei Weinbaugebiete unter Unesco-Schutz zu stellen. Da wird es denn doch recht wolkig. Nur in Burgund würden die Reblagen in den Weinbergen als „Climats“ bezeichnet, so die Unesco, als Kombination von Hangausrichtung, Bodenbeschaffenheit, Mikroklima und historischer Anbauweise. Dies spiegele sich „in der Farbe, Textur und dem Aroma der Weine wider“. Was wird da geschützt: der Weinberg, die Rebsorte? Und worin besteht die universelle Bedeutung einer Flasche Burgunder?
Frankreich dürfte auf seinen Weinexport gezielt haben. Hochpolitisch ist wiederum der (angenommene) Antrag Chinas, die Stätten der Tusi im Süden des Riesenreiches zu würdigen. Vom 13. bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden die Tusi von der Zentralregierung als erbliche Herrscher ihrer Regionen ernannt, „um die in den südlichen Provinzen lebenden Eingeborenenstämme in das Regierungssystem zu integrieren“, schreibt die Unesco. Dies habe den Stammeshäuptlingen ethnischer Minderheiten das Regieren ermöglicht, „auf Basis des Kaiserrechts“ wie dem „der lokalen Bräuche“. Es geht um nichts anderes als die höchst umstrittene Minderheitenpolitik Chinas, denn mit der Ausbreitung der Han-Chinesen als dem Staatsvolk Chinas werden nach und nach regionale Kulturen im buddhistischen Tibet wie im islamischen Sinkiang ausgelöscht. Da macht es sich gut, bei der Unesco als Beschützer halbautonomer Stammesverbände aufzutreten.
Gewiss, die Unesco agiert nicht im politisch luftleeren Raum. Sie spiegelt die Interessen ihrer Mitgliedstaaten. Doch muss sich das stets sehr gründlich vorgehende Welterbekomitee – 2016 tagt es in Istanbul – mehr denn je mit der Zukunft seiner Liste(n) befassen. Bei 1031 Eintragungen ist der Punkt erreicht, an dem über ihren Abschluss nachgedacht werden sollte – auch wenn eine künftige globale Ausbalancierung angesichts der Dominanz europäischer Stätten für viele dagegen spricht. Anhänger der Liste können sich außerdem mit Großbritannien über die Aufnahme der Firth-of-Forth-Eisenbahnbrücke freuen. Ein technisches Meisterwerk des späten 19. Jahrhunderts, keine politisch, religiös oder sonst wie aufgeladene Stätte. Für die Unesco ein Stück unbeschwerter Vergangenheit.
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