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Vieles läuft schief am Hansaplatz. Ob das Viertel auf die Vorschlagsliste für das Weltkulturerbe kommt, wird im Sommer entschieden.
© dpa

Hansaviertel in Berlin: „Und das soll Weltkulturerbe werden?“

Berlins Antwort auf Central Park West: Das Hansaviertel. Die für die Internationale Bauausstellung 1957 errichtete Siedlung ist in die Jahre gekommen. Bald entscheidet sich, ob sie der Unesco vorgeschlagen wird.

Der Kebab-Grill auf dem Hansaplatz kann sich über Kundenmangel nicht beklagen. Alle Tische davor sind besetzt. Nur essen die meisten von ihnen nichts. Gramgebeugte Gestalten, zerfurcht von der Mühsal des Großstadtlebens, gezeichnet vom Leben und Scheitern, gehüllt in verwaschene Jacken im Kleiderkammer-Look, halten sich noch im Sitzen an Bierflaschen fest. Mitten auf dem Platz thront ein unangeleinter Boxer und guckt grimmig in die Gegend.

Die Fotografin, neu in der Stadt, umklammert ihre Kamera noch ein bisschen fester. Willkommen im Hansaviertel, beste City-Lage, Berlins Antwort auf Central Park West. „Und das soll Unesco-Weltkulturerbe werden?“, fragt die Fotografin ungläubig und fast ein bisschen erschüttert.

Vor dem Eingang der Imbissstube tummeln sich teils tätowierte Männer mit ihren Hunden. Die Aufnahme der täglichen Kalorien in Gestalt von Promille, scheint hier weit verbreitet zu sein. Auf der anderen Seite reihen sich im Spätkauf gut ausgeleuchtet zahllose Rotkäppchen-Sektflaschen im Regal. Im angeschlossenen Internetcafé kommt man schon für 0,50 Cent zum Zuge, wie ein Papieraushang im Fenster verrät. Hier wird gerade nicht getrunken, obwohl eine rote Leuchtreklame „Open“ verheißt. Zerknüllte Plastiktüten auf der Fensterbank deuten darauf hin, dass ihre Besitzer, die da gerade in die Tasten hauen, auch nicht viel besser dran sind als jene, die draußen auf dem Hansaplatz sitzen.

Jedes der 16 Bundesländer darf dabei nur zwei Vorschläge machen

Offiziell heißt das Projekt „Zwei Deutsche Architekturen: Karl-Marx-Allee und Interbau 1957“. Es befindet sich in Stufe zwei von vier Stufen insgesamt und steht derzeit noch in Konkurrenz mit dem Jüdischen Friedhof Weißensee, der ebenfalls unter den Bewerbern für das Weltkulturerbe ist. In diesem Sommer soll die abschließende Bewertung von Vertretern der Kultusministerkonferenz erfolgen, ob das Projekt nominiert wird für die deutsche Vorschlagliste. Jedes der 16 Bundesländer darf dabei nur zwei Vorschläge machen.

Schön ist anders. An vielen Ecken wirkt das Hansaviertel ziemlich heruntergekommen und schmuddelig. In den fünfziger Jahren war die Siedlung entstanden, um in Richtung Osten zu zeigen, welche Lebensqualität der Westen zu bieten hat.
Schön ist anders. An vielen Ecken wirkt das Hansaviertel ziemlich heruntergekommen und schmuddelig. In den fünfziger Jahren war die Siedlung entstanden, um in Richtung Osten zu zeigen, welche Lebensqualität der Westen zu bieten hat.
© Alicia Epp

Der große Garten der leer stehenden Gaststätte ist voller Schutt und Müll. Ein paar Schritte weiter gibt es 10-Euro-Hosen zu kaufen, großgeblümte T-Shirts und Sportpantoffeln. Schon landet man an einem sogenannten „Dienstleistungscenter“, das von außen so schmuddelig wirkt, dass man es eher für eine gut getarnte Geldwäsche halten möchte, als für eine Reinigung mit angeschlossener Änderungsschneiderei und Schusterwerkstatt. Selbst gebastelte rosa Papierbuchstaben im Fenster versprechen auch noch Kopierdienste. Innen sieht es eng, dunkel und verkramt aus. Am verlassenen Manikürestudio um die Ecke klebt noch ein Kuckuck, der den früheren Betreibern das Betreten des Gebäudes verbietet.

Berlinale-Chef Dieter Kosslick engagiert sich für das Hansaviertel

Da Osteuropa als zu schwach besetzt gilt, wenn es um das Weltkulturerbe geht, stehen die Aussichten gut, dass Berlin dann auf der Vorschlagsliste des Auswärtigen Amtes landet. Käme die Nominierung durch, wäre das ein großer Vorteil. „Dann muss die Stadt was tun“, sagt die im Bürgerverein Hansaviertel engagierte Anwältin Antje Karin Pieper. „Wenn wir das Erbe bekommen, kann man das nicht weiter verkommen lassen.“ Bis dahin ist es freilich ein langer Weg. Drei bis fünf Jahre kann es locker dauern, bis der Titel schließlich verliehen wird. Allein die Bewerbung macht Hoffnung.

„Das ist die allerletzte Chance“, sagt Berlinale-Chef Dieter Kosslick, der zu den vielen gehört, die sich für das Hansaviertel engagieren. Er mag die 50er-Jahre-Architektur des Cafés Tiergarten mit den vielen Sammeltassen und Kannen im hinteren Schaufenster. Errichtet zur Internationalen Bauausstellung 1957 war das Hansaviertel nach dem Krieg das Vorzeigeprojekt der Stadt in Sachen neues Wohnen, ein Signal Richtung Osten für die hohe Lebensqualität im Westen. Berühmte Architekten aus der ganzen Welt hatten in der zerstörten Halbstadt ihr Bestes gegeben. Noch heute studieren Touristen ihre Namen auf Erinnerungstafeln, die inzwischen viel Patina angesetzt haben. Eine Frau steht vor dem verlassenen Restaurant. Die DDR antwortete mit dem Bau der Karl-Marx-Allee. Beide Ensembles sind denkmalgeschützt.

Bis die Inspektoren anreisen, muss sich allerdings noch einiges tun. In dem Springbrunnen auf der anderen Seite der Altonaer Straße, der vor nicht allzu langer Zeit für 400 000 Euro aufwendig saniert wurde, sprudelt aus Kostengründen kein Wasser. Im Brunnen fehlen Steinchen. Wer souvenirsüchtige Touristen im Verdacht hat, irrt. Die Tiergartener Krähen sind scharf auf den Kalk und hacken die denkmalgeschützten Mosaiksteinchen gleich mit heraus. Wenn Wasser drin wäre, kämen sie an den Kalk nicht heran. Aber wer soll das bezahlen?

Der Hansaplatz wird immer unwirtlicher

Vieles läuft schief am Hansaplatz. Wer die traurigen Gestalten hinter ihren Bierflaschen sitzen sieht oder die gelegentliche Alkoholleiche vor dem Pizzaladen auf der anderen Straßenseite, könnte darauf kommen, dass hier tatsächlich die Kaufkraft fehlt für ordentliche Läden. Es gab sie ja mal, den Butter Lindner, die Parfümerie Bubi Scholz. Wo jetzt der Spätkauf mit seiner kitschigen Leuchtreklame gegen jeglichen Denkmalschutz verstößt, war einst ein hochseriöses Fotofachgeschäft. Genehmigungen für den Ausschank gibt es ebenso wenig wie für die Präsentation der 10-Euro-Gummizughosen auf öffentlichem Straßenland. Je unwirtlicher der Platz wirkt, desto mehr Anwohner tragen ihr Geld lieber anderswo hin, in die propere türkische Reinigung ein paar Straßen weiter zum Beispiel. Es gibt ja einige ordentliche Läden, die Apotheke, das Weingeschäft des Bürgervereins, den Rewe-Supermarkt, den kleinen Schreibwarenladen mit angeschlossener Post. Aber es gibt eben kein stimmiges Gesamtangebot. Längst wohnen wieder wohlhabende Leute im Hansaviertel, die Lage ist höchst attraktiv. Nur gelingt es bis heute nicht, die gesetzlichen Möglichkeiten wirklich durchzusetzen. Könnte man dort nicht so gemütlich beim Bier campieren, würden die Obdachlosen sich andere Treffpunkte suchen. Die fühlen sich auch deshalb zu Hause, weil der U-Bahnhof ein sogenannter Wärmebahnhof ist, in dem wohnungslose Menschen bei großer Winterkälte Schutz suchen können. Systematisch hat man jetzt die Eigentümer der Gebäude angeschrieben. Das Gebäude, in dem das Gripstheater, Deutschlands berühmtestes Jugendtheater, untergebracht ist, gehört den Fundus-Fonds-Verwaltungen. An gutem Willen fehlt es nicht. Die Aussicht aufs Weltkulturerbe hat der traditionsreichen Nachbarschaft noch mal einen Adrenalinstoß gegeben.

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