Comiczeichner und Musiker Mazen Kerbaj: Die Trompeten von Beirut
Hauptsache Experiment: Der Libanese Mazen Kerbaj lebt mit seiner Familie für ein Jahr als Gast des DAAD in Berlin und gibt zahlreiche Konzerte.
Er habe nie Kosmonaut, Feuerwehrmann oder Präsident werden wollen, von Kindheit an sei sein Traumberuf vielmehr der des Zeichners gewesen. Dass Mazen Kerbaj dann nicht nur tatsächlich Comiczeichner, sondern auch Musiker geworden ist, ist einem Zufall geschuldet: Als er 17 Jahre alt war, sagte sein bester Freund, der Gitarrist Sharif Sehnaoui: „Mazen, ich habe da eine Trompete zu Hause, willst du sie vielleicht haben?“
Da hatten die beiden schon das entdeckt, was Mazen Kerbaj „wirklich gute Musik“ nennt: den Free Jazz eines Ornette Coleman oder Albert Ayler, vor allem aber sein europäisches Gegenstück, die freie Musik von Peter Brötzmann, Fred van Hove oder Evan Parker – hochenergetische Improvisationskunst.
Die Trompete nahm Mazen Kerbaj also gerne an, auch Unterricht, zerstritt sich aber schon nach ein paar Stunden mit seinem Lehrer: „Ich wollte nicht klingen wie Dizzy Gillespie.“ Zwei Jahre brachte er damit zu, „shitty sounds“ zu produzieren, dann schließlich bekam er ein Gefühl dafür, wie er der Trompete die Töne entlocken konnte, die er hören wollte.
Geboren wurde der Künstler mit der Doppelbegabung 1975 in Beirut, und für ein Jahr ist er nun Gast des DAAD in Berlin. Als wir uns vor der Akademie der Künste im Hanseatenweg treffen, um einen Stadtspaziergang zu machen, ist es viel zu heiß. Also setzen wir uns in den Schatten und Kerbaj erzählt, dass man in Beirut auch die kürzeste Strecke mit dem Auto fahre. Nur Touristen würden laufen und dabei freiwillig schwitzen. In Berlin würde er es in der Regel allerdings genießen, einfach nur durch die Straßen zu schlendern. Anfangs hätten seine Kinder immer irritiert gefragt: „Gehen wir jetzt wieder zu Fuß?“, aber inzwischen gefalle ihnen diese seltsame Fortbewegungsart. Die sechsjährigen Zwillinge werden hier eingeschult, und auch der 14-jährige Sohn fühlt sich wohl, denn das Internet ist hier viel schneller als im Libanon. Kerbajs Frau, eine Innenarchitektin, hat eine Auszeit genommen.
Ornette Coleman oder Peter Brötzmann - das ist Energie!
Das ist der Aufenthalt in Berlin auch für Kerbaj selbst. Er liebe zwar Beirut, die einzigartige Intensität der Stadt, aber sie sei auch furchtbar anstrengend. Korruption, die stets drohenden militärischen Konflikte – die ersten 15 Jahre seines Lebens hat Kerbaj im Bürgerkrieg verbracht –, die dauernde Angst um das Wohl der Familie.
Ob es eine gute Zeit sei, nach Beirut zu kommen, habe ihn kürzlich ein Freund gefragt? Ist es nie, habe er geantwortet! Und trotzdem müsse man unbedingt einmal vorbeischauen.
In Berlin war Kerbaj zum ersten Mal im Jahr 1999, weil er unbedingt das inzwischen eingestellte Total Music Meeting besuchen wollte. Er war auf Hochzeitsreise mit seiner ersten Frau, und vielleicht sei das Total Music Meeting durchaus ein Grund für die frühe Trennung gewesen, lacht er.
Kerbaj trinkt einen Riesling. Der heitere Mann sieht mit dem fusseligen Bart deutlich jünger aus, als er ist, fast jugendlich. Und doch ist Kerbaj von einer Unbedingtheit, was Kunst und Leben angeht, die wohl nicht nur aus deutscher Sicht fast unwirklich anmutet. Nach der Schule hat er drei Jahre in einer Werbeagentur gearbeitet, das aber nicht ausgehalten und schließlich beschlossen, fortan nur noch Künstler zu sein. In einem Land, in dem es dafür keinerlei Förderung gibt, schon gar nicht für Free-Jazz-Musiker.
So kamen auch gerade einmal 25 Leute zu seinem ersten Konzert, am Ende waren noch drei übrig, von denen zwei nur geblieben waren, um die Musiker zu beschimpfen. Trotzdem gründeten Kerbaj und sein Freund Sehnaoui 2001 das „Irtijal“-Musikfestival, das seitdem jedes Frühjahr in Beirut stattfindet – und in diesem, seinem 15. Jahr erstmals keine Verluste machte.
Nirgends ist die Szene für freie Musik lebendiger als in Berlin
Sein Vater, der Theaterschauspieler war, habe ihm gesagt, er könne Klempner werden, „aber du musst mögen, was du tust“. Das tut Kerbaj zweifellos. Mit glühenden Augen erzählt er, wie er als Jugendlicher Peter Brötzmanns bahnbrechende Aufnahme „Machine Gun“ von 1968 entdeckt und die Platte fünf Tage ununterbrochen gehört habe. An solche Platten ranzukommen, war in der internetlosen Zeit Anfang der Neunziger in Beirut äußerst schwierig.
Den größten Einfluss hätten dann auf ihn auch eher Posaunisten wie Johannes Bauer oder Paul Rutherford ausgeübt, was man Kerbajs Trompetenspiel durchaus anmerkt. Erweiterte Techniken spielen dabei ein große Rolle, Schläuche zum Beispiel, die an das Mundstück angeschlossen werden und das Klangspektrum der Trompete erweitern, sie tiefer oder höher werden lassen, zum Gurgeln, Blubbern oder Knattern bringen.
Ein Wahlverwandter sei der Berliner Trompeter Axel Dörner, überhaupt gebe es hier in der Stadt die großartigste Improvisationsszene der Welt. Bevor er anreiste, hat Kerbaj sich eine Liste von Leuten gemacht, mit denen er gerne während seines Aufenthalts spielen möchte. Bei 40 Namen hat er aufgehört, denn es war kein Ende abzusehen. Allemal gibt er Berlin den Vorzug vor New York.
Gerade arbeitet er für zwei Wochen im Studio für elektronische Musik in der Akademie der Künste an einem Projekt für das Festival „Kontakte“ im September. Dann gibt es noch das „Mikromusik“-Wochenende im August und auch sonst manchen Gig, der ansteht. Außerdem will er ein neues Comicbuch schreiben, in Französisch übrigens. Im Libanon lernen alle Kinder schon im Kindergarten eine erste Fremdsprache. Bei ihm war das Französisch, deswegen hat er seine Comics stets auch in der Sprache geschrieben. Im Arabischen sei die Diskrepanz zwischen der Schrift- und der Alltagssprache so groß, dass es ihm immer seltsam vorgekommen sei, auf Arabisch zu schreiben.
Kerbaj gestaltet auch die CD-Cover des Labels Al Maslakh, das sein Freund Shenoui betreibt. Al Maslakh, heißt es auf jeder CD, sei gegründet worden, um das Unveröffentlichbare zu veröffentlichen, „an UFO created to publish the unpublishable in the lebanese artistic scene“. Auch eine Platte mit Peter Brötzmann ist inzwischen erschienen, neben mehreren Aufnahmen von Mazen Kerbaj. Nicht dort erhältlich, aber auf Youtube nachzuhören ist eine Aufnahme, die Kerbaj 2006 auf seinem Balkon gemacht hat, „Starry Night“. Als er dort gerade Trompete spielt, beginnt ein israelischer Luftangriff. Er spielt trotzdem weiter, umspielt den Klang der Bombenexplosionen und integriert sie in seine Musik, machte sie ihr, wenn man so will, Untertan. Ein seltener Sieg der Kunst über den Krieg.
Mazen Kerbaj tritt am 28.8. um 20.30 Uhr in der St. Elisabeth-Kirche beim Festival Mikromusik mit dem A-Trio auf. Am 29.8. um 21 Uhr laufen seine Visuals bei „Malerei & Musik“ in der Villa Elisabeth, Infos: berliner-kuenstlerprogramm.de.
Tobias Lehmkuhl