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Ein Tiger vor dem Maxim Gorki Theater in Berlin.
© dpa

Volksbühne und Zentrum für Politische Schönheit: Erst kommt die Moral

... und dann das Fressen: Der Kampf um die Volksbühne und das politische Tiger-Theater des Zentrums für Politische Schönheit.

Zwei existenzielle Fragen beschäftigen das Theater in Berlin. Die erste klingt schon nach Sommerloch: Werfen sich Flüchtlinge wilden Tigern selbst zum Fraß vor? Die zweite ist nicht weniger ernst: Wird die Volksbühne, wie es ein offener Brief aus dem Haus darstellt, von einem Vertreter der „global verbreiteten Konsenskultur“ verschlungen? Die Sache mit den Raubkatzen haben sich die Leute vom „Zentrum für politische Schönheit“ ausgedacht. Sie protestieren auf möglichst spektakuläre Weise gegen die Bundesregierung, die, so sagen die Aktionisten, Flüchtlinge auf illegale und lebensgefährliche Schlepperrouten zwingt. Wenn sich diese Politik nicht ändert, begeben sich Freiwillige in den Tigerkäfig und ... na, guten Appetit!

Der Senat hätte das heiße Eisen Volksbühne besser nicht angefasst

Ist das noch Kunst? Ist das nicht entsetzlich geschmacklos und verboten? Was sagt eigentlich der Tierschutz? Aber mal abgesehen davon lässt sich feststellen: Es handelt sich im weiteren Sinn um politisches Theater, Agit-Prop, die Tiger sind am Maxim Gorki Theater zu bestaunen. Die Bühne unterstützt das etwas streng riechende Happening, das Gorki ist derzeit sowieso die erste Adresse für eindeutig politisches Theater in der Hauptstadt. Früher war das die Volksbühne. Mittlerweile gilt sie als das heißeste kulturpolitische Eisen. Das der Senat vielleicht besser nicht angefasst hätte. Nachdem der Vertrag mit Intendant Frank Castorf nicht verlängert und mit dem Multimedia-Kurator Chris Dercon ein Nachfolger verkündet wurde, gibt es schwere ideologische Kämpfe in der Hauptstadt. Sie spiegeln die Entwicklung Berlins. Die fetten Arm-aber-sexy-Jahre sind vorbei. Castorfs Sechsstünder ermüden die Kundschaft. Dabei bleibt der nun schon historische Rang der Volksbühne unbestritten. So ein Theater – Form und Sinn, Lebensgefühl, ewige Rebellion und Jugend inbegriffen – gibt es kein zweites Mal. Weil Frank Castorf, seit 24 Jahren Chef am Rosa-Luxemburg-Platz, immer auch andere Regisseure neben sich hatte. Was wird aus René Pollesch oder Herbert Fritsch? Wo ist ihr Platz jetzt?

Wagenburg am Rosa-Luxemburg-Platz

Der offene Brief aus der Volksbühne strahlt keinen offenen Geist aus. Er beharrt auf dem Status quo. In der Konsequenz wird der Rückzug Dercons verlangt, bevor er im Herbst 2017 antritt. Dercon soll bleiben, wo er ist, in London. Das fordert auch Claus Peymann in einem weiteren offenen Brief. Der Direktor des Berliner Ensembles, einst Castorfs Lieblingsfeind und vice versa, stellt sich hinter die Belegschaft der Volksbühne. Wenn denn in dem Brief tatsächlich eine Mehrheit der am Haus Beschäftigten spricht. Wortführer ist der alte Dramaturgenrecke Carl Hegemann, der an die Volksbühne zurückgekehrt ist, um Fraktur zu reden, zum letzten Gefecht.
Man denkt an Kuba, an Wagenburg, an ein berühmtes gallisches Dorf. Ganz Berlin gentrifiziert? Aber war die Volksbühne nicht selbst Motor der Veränderung, hat sie nicht die Gentrifizierungskräfte angezogen mit ihrem coolen Design? Ist es nicht logisch, wenn jetzt einer wie Dercon kommt?
Leider hat der Neue schon enttäuscht. Er kennt die Stadt nicht. Er hat die Widerstände unterschätzt, die Eigenheiten des Theaterbetriebs. Das gilt auch für die Verantwortlichen im Senat. So ein Umbruch muss vorbereitet sein.
Ob Katze oder Futter, ob Bettvorleger oder ausgestopft: Es ist ein tristes Tiger-Staatstheater.

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