Imperiale Geschichte: Die Söhne und Töchter des Himmels auf Erden
Zu Wasser, zu Lande und in der Luft: Michael Schuman beschreibt den Supermachtstatus Chinas aus welthistorischer Sicht.
Eine gewaltige Flotte bricht am Beginn des 15. Jahrhunderts von China auf. Es sind Dutzende Dschunken, einige 120 Meter lang, und damit um ein Vielfaches größer als die Santa Maria des Christoph Kolumbus, mit der der Europäer ein dreiviertel Jahrhundert später Amerika entdeckten. Kaiser Zhu Di hatte Admiral Zheng He zu insgesamt sieben Reisen über die Weltmeere ausgesandt. „Anders als Kolumbus suchte Zheng He nicht nach den Reichtümern Asiens; er hatte sie ja an Bord“, schreibt Michael Schuman in seinem Buch „Die ewige Supermacht. Eine chinesische Weltgeschichte“.
[Michael Schuman: Die ewige Supermacht. Eine chinesische Weltgeschichte. A. d. Amerikanischen von Norbert Juraschitz. Propyläen, Berlin 2021. 512 S., 26 €.]
Um die Erforschung der Seewege ging es Zheng He auch. Vor allem aber sollten die Potentaten selbst im letzten Winkel der bekannten zivilisierten Welt mit der Pracht und der militärischen Kraft der Flotte eingeschüchtert werden. Sie sollten die Hegemonie des „Sohnes des Himmels“, des chinesischen Kaisers, anerkennen. Es sei „die prahlerischste Demonstration des Supermachtstatus“, schreibt Schuman, und zugleich ziemlich untypisch für das Reich der Mitte. Für gewöhnlich fuhr man nicht zu den Tributpflichtigen, man ließ sie an den Hof des Herrschers kommen, um den Kotau zu vollführen.
Die Flotte des Zheng He steht symbolhaft für den immerwährenden Konflikt der chinesischen Geschichte zwischen dem universellen Anspruch und einer latenten Fremdenfeindlichkeit, die bis zur Selbstisolation führt, schreibt Schuman. Nach der siebten Reise lässt der Ming-Kaiser die Flotte vernichten, bald darauf wird der Seehandel ganz verboten.
Feuilletonistische Exkurse
Schuman lebt seit mehr als 20 Jahren in China, er hat für das „Wall Street Journal“ und das Magazin „Time“ geschrieben. Seine Erzählung der chinesischen Geschichte unterscheidet sich auf den ersten Blick wenig von anderen Publikationen zu diesem Thema. Der Autor reist chronologisch durch die Dynastien, porträtiert dabei die herausragenden Protagonisten und gönnt dem Leser feuilletonistische Exkurse in Kultur, Technik, Handel und Philosophie. Für den Kenner mögen „Aha“-Momente ausbleiben, aber Schumans legt es auch gar nicht darauf an. Er will das Thema aus dem akademischen Diskurs herausholen und vor einem breiteren Publikum ausbreiten.
Chinas Geschichte kennt Höhen und Tiefen wie die anderer Völker auch. Das Reich war über lange Perioden geteilt, und zerstritten, die Menschen hatten zeitweise nicht einmal eine gemeinsame Sprache. Dann wieder wurde es mit straffer Hand zentralistisch regiert, und ins Chaos kam Ordnung. Die Chinesen eroberten – und wurden wiederum von den aus dem Norden und Westen kommenden Steppenvölkern erobert. Eine besondere Rolle unter den Eroberern spielten die Mongolen, die China lange genug beherrschten, um eine eigene Dynastie zu bilden.
Die Mongolen mochten militärisch überlegen sein, um mit militärischer Gewalt die politische Kontrolle zu erlangen. Aber „der eingeschworene Glaube der Chinesen an ihre eigene Kultur blieb im Grunde unerschüttert“. Eroberer wurden weitgehend assimiliert, und am Ende war unklar, wer eigentlich wen erobert hatte.
Diese Überlegenheit hatte nicht nur eine kulturelle Grundlage, eine „Softpower“, wie wir heute sagen würden. Wichtiger noch war die materielle, die technologische Überlegenheit der Chinesen. Es ist gut bekannt: Seide, Papier, Porzellan, Buchdruck mit beweglichen Lettern, Schießpulver, Kompass und anderes mehr verbreitete sich von China aus. Schuman widmet dem „Made in China“ ein eigenes Kapitel.
Kontinuitäten bis in die Gegenwart
In den mehr als 3000 Jahren seiner geschriebenen Geschichte war China fast immer eine Supermacht. Nur in den Opiumkriegen des 19. Jahrhunderts gelang es dem aggressiv-expandierenen Westen, China mit vorgehaltener Waffe in eine Welt internationaler Beziehungen zu zwingen, die dem asiatischen Staat völlig wesensfremd war. Der „Sohn des Himmels“ musste sich gefallen lassen, dass er nicht mehr über allen stand.
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Schuman erklärt, was das heutige China nach seiner Ansicht mit seiner Vergangenheit verbindet. Es herrscht eine kommunistische Partei, die mit Kommunismus nichts zu tun hat, dafür aber umso mehr den erfolgreichen kaiserlichen Dynastien ähnelt. Präsident Xi Jinping nennt sein Konzept den „chinesischen Traum“. Er ist freilich kein „Sohn des Himmels“, aber er will sein Land in die Rolle zurückführen, die es über drei Jahrtausende spielte: als dominierende Macht in der Welt und als der Staat der die Regeln der internationalen Politik macht. An diesem Punkt ist Xi noch nicht, doch das ist nicht beruhigend. „Die chinesischen Kaiser akzeptierten niemals andere Völker als ebenbürtig, und Xi sieht keinen Grund, heute damit anzufangen“, lautet Schumans Fazit.