Berliner Rapper Ben Salomo: „Die Rap-Szene hat sich keinen Millimeter bewegt“
Ein Jahr Echo-Skandal um Kollegah und Farid Bang: Wie antisemitisch ist der deutsche Hip-Hop? Ein Gespräch mit dem Berliner Rapper und Autor Ben Salomo.
Herr Salomo, vor einem Jahr wurde nach dem Echo-Gewinn von Kollegah und Farid Bang einer breiteren Öffentlichkeit bewusst, dass der Hip-Hop ein Antisemitismus-Problem hat. Ihnen war das aufgrund Ihrer persönlichen Erfahrungen bereits länger klar. Wann ist Ihnen zum ersten Mal Judenhass im Deutsch-Rap begegnet?
Das war etwa 2002, als mir jemand ein neues Tape des Labels Royal Bunker zeigte. Es stammte von einer Gruppe namens Battlemiliz, zu der auch der Rapper Hassanfall gehörte. Der brachte in einigen Songs unglaublichen Juden- und Israelhass zum Ausdruck. Als ich den Labelchef Marcus Staiger darauf aufmerksam machte, nahm er das Tape aus seinem Sortiment. Das war das erste Mal, dass ich den Antisemitismus, den ich als Kind und Jugendlicher in Berlin erlebt hatte, auch in der Musik wahrnahm. Das hat sich dann über die Jahre fortgesetzt und kam auch von wesentlich bekannteren Künstlern.
In Ihrem Buch „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ erwähnen Sie den Berliner Deso Dogg, der später als IS-Kämpfer in Syrien traurige Berühmtheit erlangte.
Sein Aufritt auf dem Myfest in Kreuzberg 2006 war für mich der vorläufige Gipfel einer schlimmen Entwicklung. Deso Dogg schwenkte zu Beginn seiner Show eine Hisbollah-Fahne, was vom Publikum frenetisch bejubelt wurde. Keiner der Veranstalter intervenierte, Deso Dogg konnte seinen Auftritt durchziehen und wurde mit viel Liebe von der Bühne verabschiedet. Es fühlte sich für mich in diesem Moment so an, als sei in der Berliner Rap-Szene eine gewisse Sympathie für den Islamismus mehrheitsfähig geworden. Da bin ich erst mal aus der Rap-Szene ausgestiegen.
Auch Stars wie Bushido und Haftbefehl sind mit israelfeindlichen Bildern und klischeehaften Darstellungen von Juden aufgefallen. Einen Skandal hat das nie ausgelöst. Wie erklären Sie sich die Zurückhaltung innerhalb der Szene?
Weil viele diesen Dingen zum Teil stillschweigend zustimmen. Antisemitische Verschwörungstheorien sind in der Szene weit verbreitet. Wer dem nicht zustimmt, ist oft zu eingeschüchtert, um sich öffentlich kritisch zu äußern. Denn wer es tut, macht sich zum Außenseiter.
Die Online-Hip-Hop-Magazine ignorieren das Thema weitgehend.
Ja. Die Rap-Medien sind abhängig von den großen Stars. Wenn denen die Fragen nicht passen, kommen sie nicht mehr zum Interview, und die Klickzahlen sinken. Deshalb darf man bei denen zu Recht von Hofberichterstattung oder Fanboy-Journalismus sprechen. Innerhalb der Rap-Szene gibt es dadurch kaum kritische Stimmen. Da wird vieles totgeschwiegen oder verharmlost.
Sie haben Ihre Battle-Rap-Veranstaltung „Rap am Mittwoch“ wegen des zunehmenden Antisemitismus aufgegeben. Es wird immer gesagt, dass extreme Beleidigungen einfach zum Battlen dazugehören, es sei eine Art Boxkampf mit Worten. Man müsse etwas aushalten können. Was sagen Sie zu dieser Argumentation?
Man muss erst mal unterscheiden: Beim Battle Rap auf der Bühne hat man einen Gegner vor sich wie beim Sport. Je nachdem, auf wen man trifft, verändern sich auch die Punch Lines. Auf einem Album gibt es aber keinen Gegner, den baut sich der Künstler imaginär zusammen. Hegt der Rapper Antipathien gegen bestimmte Gruppen und konstruiert sich sein Gegenüber entsprechend, müssen wir ganz genau hinschauen und bewerten, ob wir es hier noch mit Battle Rap zu tun haben. Oder ob eine Obsession erkennbar wird und Narrative verbreitet werden, die sich schon in den Bereich von Hass und Hetze hineinbewegen.
Es wird ja dann oft behauptet, das sei Rollenprosa.
Stimmt, das wird oft versucht. Andererseits betonen diese Rapper aber immer, dass alles, was sie sagen, echt sei. „Ein Mann, ein Wort, ich bin die Stimme der Stimmlosen“ undsoweiter. Es gibt also keine klare Trennung von Person und Kunstfigur. Sie verkaufen sich den Fans als sehr authentisch. Deshalb sollte man auch die Inhalte nicht nur als reine Erfindung sehen, sondern als Narrative. Und da muss man genauer hinschauen.
Ist das Hinschauen beim Battle-Rap auf der Bühne einfacher?
Zumindest gibt es gewisse Regeln. Dass es keinen Rassismus und keinen Antisemitismus auf der Bühne geben darf, wurde schon früh als letzte Grenze definiert, und sie galt auch bei meiner Veranstaltung. Wenn sie überschritten wurde habe ich das getadelt und sanktioniert. Das heißt nicht, dass nicht mit Klischees gespielt werden kann. Aber es dürfen keine Worte oder Wortschöpfungen benutzt werden, die eine ganze Menschengruppe pauschal entwerten und die sich eigentlich nur im Nazi- oder Rassistenjargon verorten lassen. Wenn man sich nicht auf einen solchen Nenner einigt, hat man irgendwann echte Nazis, Islamisten und andere Faschisten vor und auf der Bühne.
Über den Antisemitismus im Deutsch-Rap wird seit letztem Jahr mehr diskutiert. Hat sich dadurch etwas verändert?
Die Rap-Szene hat sich keinen Millimeter in eine positive Richtung bewegt. Aber die Diskussion wurde insgesamt auch sehr verkürzt geführt und war zu stark auf diese eine Zeile aus dem Song „0815“ von Kollegah und Farid Bang fokussiert. Es wurde viel zu wenig auf andere Künstler geschaut und vor allem zu wenig darauf, wie sie sich abseits der Bühne etwa in den sozialen Netzwerken verhalten. Wenn dort zum Beispiel Verschwörungstheorien und alte antisemitische Mythen verbreitet werden oder Israel ständig dämonisiert wird.
Kollegah und Farid Bang haben Auschwitz besucht. Kollegah hat danach versucht, einsichtig zu wirken. Überzeugend?
Bei Farid Bang, von dem ich außerhalb des Raps bisher keine antisemitischen Äußerungen wahrgenommen habe, könnte ich mir vorstellen, dass er lernfähig ist. Aber Kollegah hat ja schon kurz darauf Interviews gegeben, in denen er den Israel-Palästina-Konflikt mit der NS-Zeit und dem Holocaust verglichen hat. Solche Vergleiche ziehen meiner Meinung nach nur Rechtsradikale, linksextreme Antisemiten oder Islamisten.
Wie kann man den Antisemitismus im Rap zurückdrängen?
Genauer hinhören, Fachleute einstellen, die wirklich beurteilen können, ob es sich schon um Hetze oder noch um Battle-Rap-Provokationen handelt. Wenn es Hasstexte oder andere jugendgefährdende Inhalte sind, sollte die Musik nur noch ab 18 zugänglich gemacht werden. Dadurch hätten auch besorgte Pädagogen oder Eltern die Argumente wieder auf ihrer Seite. Wichtiger und schwieriger ist aber die Bekämpfung des Antisemitismus in der Gesellschaft selbst. Da müsste man an die Moscheeverbände ran, die aus anderen Ländern gesteuert werden, aber auch an TV-Sender aus dem Ausland, die auf Arabisch oder Türkisch antisemitische Inhalte verbreiten. Leider gibt es noch kein richtiges Handwerkszeug, um diese Dinge konsequent zurückzudrängen.
Aus Frankreich wandern inzwischen viele Jüdinnen und Juden wegen des zunehmenden Antisemitismus ab. Denken Sie auch manchmal ans Wegziehen?
Ich sehe Frankreich leider als die Zukunft von Deutschland. Es wird immer schlimmer, und ich glaube nicht, dass die deutsche Politik gewillt und in der Lage dazu ist, etwas dagegen zu tun. Mein Pessimismus rührt auch daher, dass Juden hierzulande bei Wahlen keine Rolle spielen und deshalb nicht wirklich relevant sind für die Politiker. In Frankreich, wo es immerhin eine halbe Million Juden gab, war das anders. Und trotzdem hat das Land es nicht geschafft, den Antisemitismus zurückzudrängen. Wie sollte das dann in Deutschland gelingen? Die Juden fühlen sich hier von der Politik nicht ernst genommen, und ich sehe kaum Parteien, die sie wählen können. Und sie fangen an, darüber nachzudenken, wohin sie auswandern. Manche haben die Koffer aus dem Keller geholt, andere fangen schon an, die ersten Klamotten reinzuwerfen.
Und wo sind Ihre Koffer?
Definitiv griffbereit. Doch bei allem Pessimismus bleibe ich auch kämpferisch. Ich gehe an Schulen, mache Lesungen und versuche, auf diesem Graswurzel-Level etwas zu bewirken. Das ist für mich die Lehre, die Juden nach dem Holocaust ziehen müssen: Immer kämpfen, aber das Schlimmste erwarten. Als Israeli habe ich erlebt, wie sich ein freies jüdisches Leben anfühlt. Deutsche Juden oder Juden, die aus der ehemaligen Sowjetunion hierhergekommen sind, kennen diese Selbstverständlichkeit oft nicht und pflegen eher ein Mimikry-Verhalten, das sie auch an ihre Kinder weitergegeben haben. Aber ich möchte nicht so ein Ghettojude sein, der sich herumschubsen lässt und den die Leute deshalb gerne haben, weil er einfach ist. Ich sehe keinen Grund, mich meiner Herkunft zu schämen, und erst recht keinen, geduckt durch die Welt zu laufen.
Sie sind auch als Rapper nie geduckt gelaufen, haben immer klar gemacht, dass Sie Jude sind. Spongebozz, der sich jetzt Sun Diego nennt, hat sich erst später als Jude zu erkennen gegeben. Glauben Sie, Ihre Karriere hat unter Ihrer Offenheit gelitten?
Sie hat deshalb sicher einen anderen Verlauf genommen. Vielleicht wäre ich bei weniger Offenheit als Musiker erfolgreicher gewesen, aber darunter hätte meine jüdische und israelische Identität gelitten. Ich wollte mich nicht verstecken. Sun Diego ist eben kein Israeli und kennt vielleicht diese Selbstverständlichkeit nicht, die ich erlebt habe, und vermisst sie deshalb auch weniger.
Sie bereuen also nichts?
Nein, das war eben mein Weg. Und der war nie leicht. Auch jetzt nicht. Seit mein Buch herausgekommen ist, werde ich aus der Rap-Szene noch intensiver angefeindet. Einstige Weggefährten verleumden und attackieren mich. Seit ich unter anderem kritisiere, dass meine Nachfolger bei „Rap am Mittwoch“ mit Kollegah kooperiert haben, wurden sogar meine Lieder auf dem ehemaligen Youtube-Kanal von „Rap am Mittwoch“ gesperrt. Unser Übergabevertrag schließt so etwas eigentlich aus. Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich nicht mit der Rap-Szene gebrochen, sondern mit Scientology. Ich rüttele halt an deren Weltbild. Das ist gefährlich und auch belastend. Spaß macht das nicht, aber ich mache das alles, weil ich will, dass meine zweijährige Tochter in diesem Land eine Zukunft hat.
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