Agnieszka Holland über die PiS: „Die Partei schafft Feindbilder“
Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland über Homophobie, gefährdete Demokratien und ihr Bio-Pic „Scharlatan“.
Agnieszka Holland, 72, ist Regisseurin und gewann auf der Berlinale in der Vergangenheit den Silbernen Bären. Dieses Jahr ist sie mit dem Film "Scharlatan" in den Specials vertreten.
Frau Holland, Ihr Film „Scharlatan“ beruht auf der wahren Geschichte eines tschechischen Heilers. Halten Sie Jan Mikolášek wirklich für einen Scharlatan?
Die historische Person Jan Mikolášek ist heute vergessen. Aber als wir den Film drehten, stellte sich heraus, dass fast jeder aus unserer tschechischen Crew Verwandte hatte, die von ihm behandelt worden waren. Man schätzt, dass er bis zu seinem Tod 1973 rund vier Millionen Menschen mit speziellen Kräutermischungen kurierte. Die Frage, ob er ein Scharlatan war, geben wir an das Publikum weiter.
Ihr Heiler ist nicht die romantische Inkarnation eines guten Menschen. Sie inszenieren ihn als dominanten, von der eigenen Macht durchdrungenen Mann, der sein Talent im Umgang mit den Mächtigen zum eigenen Vorteil nutzt. Entstammt die dunkle Seite der Filmfigur der Fantasie Ihres Drehbuchautors Marek Epstein?
Tatsächlich weiß man wenig über Jan Mikolášek. Es gibt Ermittlungsakten zu dem Prozess, den die kommunistische Partei 1957 anstrengte, nachdem sein Patient, der tschechische Präsident Zapotocký, an den Spätfolgen seiner KZ-Haft während der Nazi-Zeit gestorben war.
Darunter sind Briefe an die Regierung und Geheimdienstdossiers über sein Verhalten und sein Vermögen. Aber es gibt nichts, das uns Auskunft über sein Innenleben vermittelt hätte. In der Autobiografie, die Mikolášek kurz vor seinem Tod veröffentlichte, präsentiert er sich ziemlich eindimensional als freundlichen und großzügigen Zeitgenossen. Die Szene vor Gericht, in der er sich gegen den Vorwurf verteidigt, Patienten vergiftet zu haben, ist seiner Autobiografie entnommen.
Mikolášeks Assistent František Palko steht ihm sehr nah. Wie sind Sie auf Zeugnisse einer verbotenen Liebe gestoßen?
Er soll eine homosexuelle Beziehung mit seinem Assistenten gehabt haben, aber das blieb bis heute Gerücht. Wir haben seinen Namen im Film geändert. Er lebt, soweit ich weiß, heute in einem Altersheim. Uns war wichtiger, Mikolášes Diagnose- und Behandlungsmethode exakt wiederzugeben. Unter medizinischen Kräuterexperten genießt er heute einen außerordentlichen Ruf. Seine Rezepte und Kräutermixturen sind weltweit anerkannt.
Sie heben die katholische Verstrickung des Heilers in seine Schuldgefühle und Erlösungshoffnung heraus.
Als junger Mann wird er von seiner Lehrmeisterin in die Gebete eingeführt, mit denen sie ihm die transzendentale Dimension seiner Berufung vermitteln will. Er befolgt das wie vieles, was sie ihm sagt. Ich sehe seine masochistische Seite. Mit zunehmender Selbsterhöhung bestraft er sich selbst.
Ihre Filme handeln oft von Jahrhundertfiguren und historischen Tragödien, im letzten Jahr zeigten Sie auf der Berlinale „Mr. Jones“, die Geschichte eines Journalisten, der den von Stalin befohlenen Hungertod von Millionen Menschen in der Ukraine in den Dreißigern aufzudecken versuchte. Suchen Sie gezielt nach politischen Themen?
Mein Kriterium ist, ob Drehbücher eine Frage anstoßen, die für mich selbst wichtig ist. Bei „Mr. Jones“ ging es mir darum, den vergessenen Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und von einem Journalisten zu erzählen, der sein Möglichstes versucht.
Sein Mut beschäftigt mich, gerade in unserer Zeit, in der die Korruption der Medien als Propaganda- und Fake-News-Instrument zunimmt. „Mr. Jones“ verstehe ich als dunkle Allegorie auf aktuelle Entwicklungen, weil die Demokratien heute in Gefahr sind, sich in Richtung dreißiger Jahre zurück zu entwickeln. „Scharlatan“ ist dagegen eine universelle psychologische Erzählung über Licht und Schatten, Gewalt und Güte eines Mannes vor dem Hintergrund wechselnder politischer Regime, denen er sich als Konformist anschmiegt.
[Letzte Vorführung: 29.2., 21 Uhr (Haus d. Berliner Festspiele)]
Glauben Sie, dass ein Film, der auch Homosexualität thematisiert, in Ihrer Heimat Polen akzeptiert wird?
Es gibt erschreckende Statements von Seiten einiger Politiker und Repräsentanten der Kirche, es gibt ländliche Regionen, in denen der Diskurs in eine fanatische Anti-LGBT-Haltung zurückgedreht wird. Die herrschende PiS-Partei schafft Feindbilder. Ich sehe da Parallelen zum polnischen Antisemitismus vor dem Zweiten Weltkrieg. Aber zur gleichen Zeit lebt Robert Biedron, der Kandidat des Linksbündnisses für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr, offen homosexuell. Er wird nicht gewinnen, aber immerhin Stimmen sammeln.
Und meine Freundin Olga Chajdas hat mit „Nina“ kürzlich einen schönen Film über eine lesbische Liebesgeschichte in die Kinos gebracht. Es gibt einen Kulturkampf zwischen der harschen aber noch nicht totalitären offiziellen Propaganda und einer wachsenden Neugier auf andere Liebesformen in den polnischen Städten. Der aktuelle Präsident ist abhängig von Kaczynski, dem wahren Herrscher in Polen. Wenn er bei den nächsten Wahlen eine Niederlage erlebt, kann sich die Situation radikal verändern.
Die Berlinale wurde in diesem Jahr mit der NS-Vergangenheit ihres Gründers Alfred Bauer konfrontiert. Sie bekamen 2017 den Alfred Bauer-Preis für Ihren Film „Die Spur“. Was bedeutet der Skandal für Sie?
Ich wusste nur, dass Alfred Bauer der Gründer der Berlinale war. Es ist unverständlich, dass man seine Mitverantwortung für die Nazi-Film-Propaganda nicht früher erforscht hat. Aber er war es nicht, der uns den Preis gab sondern die Jury. Vielleicht wäre es nach diesem Skandal gut, diesen Silbernen Bären künftig namenlos zu vergeben.
Claudia Lenssen