Oscar 2015: Die Oscars sind politisch - und frech!
Die zwei Komödien "Birdman" und "Grand Budapest Hotel" gewinnen in der Oscarnacht 2015. Dennoch lassen Show und Preise an politischer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
"Wer hat diesem Hurensohn seine Greencard gegeben", ruft Sean Penn - und "Birdman"-Regisseur Alejandro González Iñárritu kommt zum dritten Mal an diesem Abend auf die Bühne, nach den "Birdman"-Oscars für Drehbuch und Regie. Er ist der erste Mexikaner, der den Oscar in der Königsdisziplin Bester Film gewinnt - im Vorjahr hatte mit Steve McQueen, dem Regisseur von "12 Years a Slave", erstmals ein Schwarzer die Trophäe davongetragen. "Oh je, ich bin hier der Mann mit dem schlechtesten Englisch", meint der überglückliche, 1963 in Mexiko-Stadt geborene Regisseur, der seit 2001 mit seiner Familie in Los Angeles lebt. Er bricht eine Lanze für die Migranten in den USA und für eine Gesetzgebung, die ihre Würde respektiert. Er widme diesen Preis auch den jungen Einwanderern, sagt Iñárritu: „Ich bete dafür, dass sie mit derselben Würde und demselben Respekt behandelt werden wie diejenigen, die vor ihnen kamen und diese unglaubliche Einwanderer-Nation aufgebaut haben“.
Einwanderergesetze, Schwarze in Amerika, Frauenrechte: Die Show war politisch, wie es Oscarnächte immer wieder mal sind , auf der Höhe der Zeit und der Debatten. Den Anfang macht Patricia Arquette, die eigentlich mehr verdient gehabt hätte als den Nebendarstellerinnen-Preis für "Boyhood" - im Boyhood-Ensemble gehört sie mit Ethan Hawke und ihren "Filmkindern" Ellar Coltrane und Lorelei Linklater zu den Hauptdarstellern. In ihrer Dankesrede findet sie kämpferische Worte für die Sache der Frauen, fordert "gleiche Löhne und gleiche Rechte" - Meryl Streep springt auf und gestikuliert mit solidarischem Jubel. Eine Hauch von ProQuote Regie im Dolby Theatre in L.A.
Folgt John Legend, der gemeinsam mit Common den Oscar für den „Selma“-Song „Glory“ entgegennimmt, den einzigen Preis für Ava DuVernays Martin-Luther-King-Drama. Im Vorfeld hatte es heftige Kritik an der Überzahl der "weißen, alten Männer" in der Oscar-Academy gegeben: Zwar war "Selma" als bester Film nominiert, aber weder die Regisseurin noch die Darsteller kamen ins Rennen. Und nun Legend: "Selma is now!", betont er mit der Trophäe in der Hand. "Der Kampf um Gerechtigkeit und Freiheit findet jetzt statt." Stichwort Ferguson und Protestdemos: Der Kampf gegen den Rassismus in Amerika, von dem "Selma" erzählt, sei keineswegs Geschichte, erinnert Legend. "In keinem anderen Land der Welt befinden sich mehr Leute hinter Gittern wie in den USA. Heute sitzen mehr schwarze Männer in den USA im Gefängnis als zu Zeiten der Sklaverei 1850". Zuvor hatten Lebend und Common das Lied noch einmal gesungen, die Setdesigner der Show hatten dafür eigens jene Edmund-Pettus-Bridge nachgebaut, auf der vor 50 Jahren schwarze Bürgerrechtler bei ihrem ersten Selma-nach-Montgomery-Marsch von der Polizei aufgehalten wurden - woraufhin die Demonstranten immer wieder versuchten, über die Brücke zu marschieren. "Alle Leute, die zu unserem Song auf die Straße gehen," so Legend, "sollen wissen, wir sind bei euch. Marschiert weiter!“
Und noch ein politischer Moment: Laura Poitras nimmt den Dokumentarfilm-Oscar für ihre Edward-Snowden-Film "Citizenfour" entgegen. Hierzulande hatten alle Wim Wenders für sein Salgado-Porträt "Das Salz der Erde" die Daumen gedrückt, aber mit "Citizenfour" gewinnt immerhin eine deutsche Koproduktion. Und eben der politischere, mutigere Film, der mit seiner detaillierten Nacherzählung von Snowdens Enthüllungen der NSA-Machenschaften sich in den USA gewiss nicht nur Freunde gemacht hat. "Edward Snowden hat nicht nur enthüllt, wie unsere Privatsphäre bedroht ist, sondern auch die Demokratie als Ganzes", meint die 52-jährige, in Berlin lebende Filmemacherin. Ihr zur Seite steht Glenn Greenwald, der Journalisten, der die von Snowden geleakten NSA- und Prism-Dokumente zur Geheimüberwachung an die Öffentlichkeit brachte.
Auch die Hauptpreise sind auf den zweiten Blick politischer, als es im ersten Moment scheint. Dass Iñárritus Broadway-Satire mit vier Oscars ausgezeichnet wurde (Bester Film, Regie, Drehbuch, Kamera) und dass mit den vier Technik- und Musik-Oscars für "The Grand Budapest Hotel" gleich noch eine Komödie zu den Gewinnern der Oscarnacht gehört, betrübt zwar all diejenigen, die in Richard Linklaters ebenfalls überragendem "Boyhood" den besten Film der Saison sahen, den stilleren, feinsinnigeren, das sogenannte gewöhnliche Leben feiernden Film.
Aber beide Hauptgewinner sind weit mehr als bloß Komödien. In Wes Andersons schrill-vergnügter Zwischenkriegs-Farce "The Grand Budapest Hotel" ist immer dann Schluss mit lustig, wenn die Faschisten auftauchen. Ein Tanz auf dem Vulkan, unmittelbar bevor die Nationalsozialisten Europa in den Abgrund reißen. Glückwunsch an Babelsberg! Die finanziell immer wieder klammen Studios haben den Film mitproduziert - und werden jetzt hoffentlich mit Aufträgen überschüttet: "Wir sind stolz," so Babelsberg-Vorstand Christoph Fisser, "dass wir die Filmtradition und das Handwerk von Babelsberg auf hohem internationalen Niveau einbringen konnten“. Poitras und Babelsberg, so strahlt etwas Oscar-Glanz auch nach Berlin und Brandenburg.
"Birdman" gewinnt als scharfe Satire in eigener Sache - so wie die drei Trophäen in Nebenkategorien für den Jazz-Film "Whiplash" (Ton, Schnitt, Nebendarsteller J. K. Simmons) ebenfalls selbstreflexive Züge tragen: als virtuose Selbstkritik der Unterhaltungsindustrie und der Kunst in Zeiten der sozialen Netzwerke. "That little prick called Ego", meint Iñárritu denn auch, als er den Regie-Preis entgegennimmt, "dieses verdammte Ego, es mag den Wettbewerb." Es sei das Paradox der Kunst, dass es dennoch keine Verlierer gebe. Wahre Kunst, so der Oscar-Sieger 2015, kann nicht besiegt werden.