Requiem für Palmyra: Die multikulturelle Metropole des Orients
Ein Hauch von Freiheit und Nonkonformismus: Der französische Altertumsforscher Paul Veyne schreibt über das unzerstörte Palmyra.
Die Zerstörung des Baal-Shamin- und des Baal-Tempels, die Sprengung der Grabtürme und des Triumphbogens der Kolonnaden-Allee von Palmyra durch IS-Terroristen haben im vergangenen Sommer die Welt schockiert. Trauriger Höhepunkt der Barbarei war die Folterung und Ermordung des „Vaters von Palmyra“, des syrischen Archäologen Khaled Asaad, der nicht verraten wollte, wohin er die Kunstschätze in Sicherheit gebracht hatte. Ihm hat der Doyen der französischen Antikenforschung Paul Veyne das Bändchen „Palmyra. Requiem für eine Stadt“ gewidmet. In einem Tafelteil sind 13 Fotos hinzugefügt, die Palmyra in all seiner vorherigen Schönheit zeigen. Veyne zeigt, was die Welt verloren hat.
Er erzählt, was Palmyra in der Antike bedeutet hat. Dabei setzt er die Stadt in ihrer Bedeutung als archäologische Stätte gleich mit Pompeji und Ephesus. Dieses Palmyra war eine multikulturelle Metropole, die um 200 nach Christus zum Imperium Romanum gehörte, sich aber dennoch ihre Eigenständigkeit bewahren konnte. Bewohnt war es seit 4000 Jahren, doch erst vor 2000 Jahren erlebte es seinen Höhepunkt an der Peripherie des Römischen Reiches und in der Nähe zum Perserreich – nur die Wüste und der Euphrat trennten die beiden Machtsphären.
Veyne beginnt seine Geschichte mit einem fiktiven Besucher jener Zeit, der das vielsprachige Treiben in der großen Stadt erlebt. Palmyra lebte vom Handel mit Persien, China und Indien, betrieb einen Hafen am Persischen Golf. Die Palmyrener transportierten nicht nur die Waren mit großen Karawanen, sie handelten auch mit diesen Waren und gelangten so zu Reichtum.
Die Architektur, die der Reisende aus dem römischen Reich vorfindet, kommt ihm auf den ersten Blick vertraut vor und auf den zweiten fremd: „Palmyra war zwar ein Stadtstaat, ein zivilisierter, ja kultivierter Ort, doch gefährlich nahe sowohl an der nomadischen Nichtzivilisation als auch an einer anderen Zivilisation, nämlich der persischen oder gar einer noch weiter entfernten.“
Palmyra wirkt auf den römischen Besucher mit ihren Baudenkmälern riesenhaft, Tiere sind in der Stadt verboten, außer sie werden zum Markt geführt. Die Kamele der Karawanen lagerten außerhalb, auch viele Menschen wohnten damals außerhalb des städtischen Kerns. Zu den faszinierendsten Geschichten dieses Buches gehört, wie Palmyra in römischer Zeit seine Stammesstrukturen bewahren konnte, Familie und Herkunft waren wichtiger als ein hohes öffentliches Amt.
Die Stadt blieb auf innerer Distanz zu Rom und sollte gegen Ende noch einmal in die Lage versetzt werden, das Römische Reich zu retten. Ein Palmyrener, Odaenathus, schlägt die Perser für Rom mit einem Nomadenheer und den restlichen Legionen vernichtend. Doch er nutzt die Lage nicht aus, lässt keine Münzen für sein Reich prägen und bleibt Rom treu – bis zu seiner Ermordung.
Seine Witwe Zenobia, jene legendäre Königin, die Ägypten eroberte und damit die Lebensmittelversorgung Roms kontrollierte, überdehnte ihre Position. Ihr Marsch auf Rom scheiterte und besiegelte Palmyras Schicksal. Gleichwohl spielte die Stadt in frühchristlicher Zeit noch eine Rolle.
Veyne schildert lebendig die Einzigartigkeit dieser Stadt und ihrer Kultur. Palmyra hat eine Patchwork-Kultur geschaffen, die römisch oder griechisch zu sein scheint, aber stets altorientalische Einflüsse einbindet. „Man spürt immer einen Hauch von Freiheit, von Nonkonformismus, von ,Multikultur’“, so Veyne. Sein Buch ist damit auch ein Plädoyer für kulturelle Vielfalt weit über Palmyra hinaus: „Wer nur eine einzige Kultur, nämlich seine eigene, kennt und auch nur die kennen will, der verdammt sich selbst, unter einer Käseglocke zu leben.“
Paul Veyne: Palmyra. Requiem für eine Stadt. Aus dem Französischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube. Verlag C.H. Beck, München 2016. 128 Seiten. 17,95 Euro.