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Spektakuläre Schau: Die Himmelsscheibe von Nebra und Goldhüte aus der Bronzezeit.
© Wolfgang Kumm/dpa

Ausstellung zur Archäologie in Deutschland: Die Menschen saßen nie still

„Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland“: Eine Ausstellung im Gropius Bau zeigt, dass Migration schon immer ein Motor gesellschaftlicher Entwicklung war.

Köln am Rhein war um das Jahr 90 nach Christus eine pulsierende Metropole am Schnittpunkt vieler Handelswege. Der Hafen von Köln, damals Hauptstadt der Provinz Niedergermanien, war so etwas wie das Rotterdam der Römerzeit. Hier legten die römischen Handelsschiffe, die flachen Prahme, aus allen Teilen des Imperiums an, beladen mit Amphoren mit Wein und Öl, mit Baumaterialien für die boomende Metropole.

Aber auch die Militärboote der römischen Rheinflotte waren hier stationiert. Beim Bau der U-Bahn wurde der römische Hafen Kölns freigelegt – spektakulär die Bergung von 22 etwa 2,50 Meter hohen Spundwänden, die die Baugrube der Stadtmauer vor dem Rheinhochwasser schützen sollte, eine Meisterleistung der Ingenieurskunst vor 2000 Jahren.

Vielleicht sollte der Deutsche mal in andere Länder immigrieren und Völker glücklich machen. Gut, das war im letzten Jahrhundert ein Desaster, aber man kann sich ja verbessern.

schreibt NutzerIn schoenfeldp

Zu sehen ist das alles im Lichthof des Gropius Baus in der Ausstellung „Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland“, einer Sonderschau des Museum für Vor- und Frühgeschichte – Staatliche Museen zu Berlin in Kooperation mit dem Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland (VLA) anlässlich des Europäischen Jahres des kulturellen Erbes 2018.

Viele Beweise früher Internationalität

Der Titel ist Programm. Die Menschen saßen nie still, sie sind gereist, haben Handel getrieben, Gebiete erobert, haben geheiratet und sind deswegen umgezogen, waren neugierig und aufgeschlossen für neue Ideen. „Migration ist nicht die Mutter aller Probleme, sondern die Mutter aller Entwicklungen“, sagt Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte. „Nicht nur wir leben in bewegten Zeiten, nein, die Menschen lebten immer in bewegten Zeiten. Es gab Bewegung von Menschen, von Sachen und von Ideen.“

Davon erzählt diese Ausstellung breit und im Detail. Sie präsentiert die Ergebnisse archäologischer Forschung der letzten 20 Jahre aus allen Bundesländern, verteilt auf die Kapitel Mobilität, Austausch, Konflikt und Innovation.

Schon die Kölner Toten sprechen eine deutliche Sprache. Da ist der Grabstein des Matrosen Aemlilius aus Britannien, der Grabstein des Horus, eines Untersteuermanns der Rheinflotte aus Ägypten. Bronzekasserollen aus Italien zeigen, wie die Handelswege verliefen. Die bemalte Scherbe eines Vorratsgefäßes aus Ägypten beweist, wie weit die Interaktion damals schon ging. Die unzähligen Amphorenscherben, Terra-Sigilata-Schalen und Öllampen sowie unzählige Austernschalen zeugen vom hohen Stand der Kultur und der Internationalität. Bereits in diesem Raum wird klar, wie sehr die Archäologie mit Hilfe der Naturwissenschaften unser Bild von Deutschland und Europa erweitern kann, in dem sie nachweist, das Bewegung und Austausch immer stattgefunden haben.

Archäologie war immer auch politisch. Sie hat im späten 19. Jahrhundert spektakulärste Funde gezeitigt und die großen europäischen Nationalmuseen gefüllt. Die Industrie- und Kolonialmächte lieferten sich ein Wettrennen um die Freilegung der Antike. Dieser wilde Nationalismus verstellte den Blick auf das gemeinsame kulturelle Erbe und propagierte homogene Kulturräume, die so nie existiert haben.

Die Venus vom Hohen Felse aus Mammut-Elfenbein ist circa 40000 Jahre alt.
Die Venus vom Hohen Felse aus Mammut-Elfenbein ist circa 40000 Jahre alt.
© Urgeschichtliches Museum Blaubeuren/Johannes Wiedmann

Heute ist es die Archäologie, die mit ihren aufsehenerregenden Funden aus ganz Deutschland eindrücklich demonstriert, wie Mobilität schon in der Frühzeit funktioniert hat. Dabei geht es um die Erfindung um Boots- und Wagenbau, die frühe Nutzung des Rades oder die Anlage von festen Wegen und Kanälen. Mit spektakulären Breitwandfilmen – zum Beispiel über die Entwicklung der menschlichen Mobilität – gibt die Ausstellung den Funden einen zeitlichen Rahmen. Das reicht von der Entwicklung der Wegbefestigung von den ersten Bohlen vor 6000 Jahren bis hin zum „Stalin-Rasen“ des Todesstreifens der Berliner Mauer. Neuere genetische Forschung an Skeletten zeigt, wie sich das Gebiet des heutige Deutschlands über Jahrtausende Einflüssen aus dem Westen, Norden und Osten ausgesetzt sah, die unsere DNA bestimmen. Ohne Migration gibt es keine Kultur.

Warum waren Menschen unterwegs?

Berührend ist der kleine Raum mit den Fahnen, der in Einzelvitrinen nachweisbare Geschichten erzählt. Warum waren Menschen unterwegs? Aus militärischen Gründen zum Beispiel. Aber wie kommt ein Dolch, eindeutig als germanisches Produkt zu identifizieren, nach Syrien, wo er bei einer Grabung der FU Berlin in Tell Schech Hamad gefunden wurde? Offensichtlich gehörte er einem syrischen Legionär in römischen Diensten, der nach Ende seiner Dienstzeit in seine Heimat zurückgekehrt ist. Auch Glaubensflüchtlinge gab es schon früh. Dokumentiert ist der Weg des armenischen Erzbischofs Gregorius vor den Seldschukken 1093 nach Passau, wo er eine neue Heimat fand.

Es ist unmöglich, auf all diese kleinen Geschichten dieser Schau einzugehen, es lohnt sich aber, sie zu lesen und zu betrachtet. Ein Höhepunkt ist der große Eckraum, in dem die planmäßige rapide Stadterweiterung der Hansestadt Lübeck als Wirtschaftsmetropole im Mittelalter demonstriert wird. Der Abriss provisorischer Schulbauten aus den fünfziger Jahren bot die einmalige Möglichkeit, großflächig im Herzen der Altstadt zu graben.

Dabei wurden auch genormte Holzkeller entdeckt mit einer einfachen, aber effektiven Technik. Ein Originalteil dieser Balkenskonstruktion ist aufgebaut. In der Ausstellung demonstrieren Jugendliche der Jugendbauhütte Lübeck, wie man mit alten Techniken solch einen Holzkeller fertig baut. Auch das ist einen Form der Aneignung des kulturellen Erbes. Die Lübecker Hausbaumethode verbreitete sich rasch durch die Hanse im Ostseeraum.

Ein Film über einen Containerhafen überragt die Vitrinen im Transportkistenlook, in den der frühe Austausch von Waren dokumentiert wird. Kupferbarren zu 100 Gramm in zusammengebundenen Zehnerpäckchen, keltische Barren, Schmuck und andere Luxusgüter zeigen, das es schon sehr früh ausgefeilte Handelsbeziehungen gegeben haben muss.

Inszenierung eines Schlachtfeldes bei Neubrandenburg

Auf der Rückwand der Hafenbefestigung deutet sich das Kapitel Konflikt an. Bilderstürmer scheint es schon früh gegeben zu haben, die populären vier Meter hohen Jupitersäulen der Römerzeit fand man oft in Brunnen – ob als Versteck oder Entsorgung, lässt sich heute nicht mehr sagen. Bedrückend ist die Inszenierung des Schlachtfeldes im Tollensetal bei Neubrandenburg, des ältesten bekannten Kriegsschauplatzes in Europa, wo vor über 3000 Jahren mindestens 6000 Krieger kämpften. Innovation und Migration hängen eng zusammen, sie sind die Triebfedern unserer Kultur und Zivilisation. Es beginnt bei den ersten Räder vom Bodensee oder dem sensationellen Schöninger Speer, mit dem vor gut 300 000 Jahren gejagt wurde. Die Venus vom Hohlefels aus Mammut-Elfenbein, sechs Zentimeter hoch, ist mit ihren 40 000 Jahren das älteste menschliche Artefakt.

Mehr als 1000 Objekte aus über 300 Fundzusammenhängen präsentiert die beeindrucke Schau. Höhepunkt ist der magische Raum mit der Himmelscheibe von Nebra und den drei zeremoniellen Goldhüten. Sie beweisen, dass die Menschen schon früh über die Systematik der Himmelserscheinungen nachgedacht haben, in Babylon, in Ägypten und weiter nördlich, im heutigen Sachsen-Anhalt.

Bis 6. Januar 2019, Niederkirchnerstr. 7, Mi – Mo 10 – 19 Uhr, Katalog (Imhof) 29 €. Infos hier

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