Europäisches Kulturerbejahr: Schlag auf Schlag
Fünf Abiturienten der Jugendbauhütte Lübeck bauen einen mittelalterlichen Holzkeller nach – vollendet wird er öffentlich in Berlin.
Plonkplonk, plonkplonk, plonkplonk hallt es über den Bauplatz der Jugendbauhütte Lübeck im Alten Hafen der Hansestadt. In Sichtweite liegt die nachgebaute „Lisa von Lübeck“, ein dreimastiger Kraweel, einziger Nachbau eines deutschen Hanseschiffes aus dem 14. Jahrhundert. Aber die vier Abiturienten, die hier im Rahmen ihres Freiwilligen Sozialen Jahres bei der Jugendbauhütte Lübeck kunstfertig ihre Werkzeuge schwingen, arbeiten nicht an Schiffszubehör, sondern an der Rekonstruktion eines historischen Holzkellers aus dem 12. Jahrhundert, der Gründungsphase der deutschen Stadt Lübeck, die 1143 entstand.
Als hätte sie nie etwas anderes gemacht, treibt Franka Wegner (18) ihr Beil in den schon recht quadratischen Eichenbalken, um die Seitenfläche gerade zu bekommen. Jeder Schlag sitzt. Das war nicht immer so. „Man muss sich auch trauen, mit der Axt zuzuschlagen“. Für ihren ersten neun Meter langen Balken haben sie zu fünft drei Wochen gebraucht. Jetzt geht es schneller, sie sind in Übung.
Unweit der Marienkirche, im Gründungsviertel der Stadt, hatte man marode Gebäude einer Berufsschule der Nachkriegszeit abgerissen. So bot sich die einmalige Gelegenheit, auf großer Fläche 2009 – 2016 in der Lübecker Altstadt nach den Wurzeln der damals schnell wachsenden Handelsmetropole zu graben. Dabei wurden rund 40 Holzkeller – Lagerräume der Handelshäuser – aus dem 12. Jahrhundert freigelegt. Sie waren Vorbild im gesamten Osteeraum. Der größte, recht gut erhaltene Keller misst 6,5 mal neun Meter. Er besteht aus einem Schwellenkranz von dicken quadratischen Eichenbalken, die miteinander verzapft im Rechteck verbunden waren. In die Längsbalken wurden rechteckige Zapflöcher geschlagen, in die wiederum rund 1,65 Meter hohe quadratische Balken gesteckt wurden, die oben eine Nut haben, die dann die Querbalken, die sogenannten „Rähm“, aufnahmen. Gegen dieses Gebälk wurden von außen senkrecht Eichenbohlen gelegt, die durch die verfüllte Erde gegen das Gestell gedrückt wurden. So entstand ein sauberer Lagerraum – ohne einen einzigen Nagel.
Darüber wurde auf eigenem Fundament das Steinhaus errichtet. „Die Balken wurden in unterschiedlicher Größe je nach Kellergröße immer nach dem gleichen Muster gefertigt, es war eine fast industrielle Kellerproduktion“, sagt Zimmermann Eric Janssen, der die fünf Jugendlichen der mobilen Baugruppe ausbildet. Dieser große Keller hatte auch eine Steintreppe mit gemauerten Seitenwänden, „das war die erste profane Verwendung von Backstein“, sagt Janssen
Bevor die Jugendlichen am 1. September 2017 mit Bauen beginnen konnten, mussten sie erst das neue Büro der Baugruppe im Schuppen D des Hafengeländes bei der Gesellschaft Weltkulturgut Hansestadt Lübeck e.V., einrichten, Fenster einbauen, Parkett verlegen. Dann beschäftigte sich die Gruppe mit dem historischen Vorbild und baute erst einmal zwei Kellermodelle im Maßstab 1:5 und 1:10.
Hier war vor allem der neunzehnjährige Jeppe Kröger in seinem Element, der später einmal Architektur studieren will. Er wollte auf jeden Fall vor dem Studium zur Orientierung etwas Handwerkliches tun. Die gleichaltrige Bianca Reichert wollte ebenfalls nach dem Abitur nicht gleich wieder am Schreibtisch sitzen, sondern auch mit den Händen arbeiten.
Jakob Grohmann (18) ist ganz bei der Sache. Wie auf einem Stich aus dem 12. Jahrhundert – zu sehen im Europäischen Hansemuseum gegenüber in der Abteilung Städtebau – steht er breitbeinig über dem Balken und schwingt das schwere Breitbeil, das Lieblingswerkzeug der Gruppe. Es sieht gefährlich aus, doch mittlerweile sitzt bei ihm jeder Hieb, den er entlang einer Linie setzt, die er zuvor mit einer mit blauer Kreide gefärbten Schnur auf das Holz gerieben hatte.
„Wir arbeiten nach Möglichkeit mit alten Werkzeugen wie damals“, sagt Janssen, „Motorsägen gibt es bei uns nicht. Mit denen entwickelt man auch kein Gefühl für das Holz.
Das haben die fünf Jugendlichen – einer absolviert gerade ein Praktikum bei einem Tischler – im Januar gelernt, als die dicken Stämme aus den Eichenwäldern der Stadt ankamen. Zuerst lernten sie, mit Keilen und Hammer die Balken auf ein Rohmaß zu spalten, dann folgte der Feinschliff mit Axt und Querbeil. Ist ein Baum gerade gewachsen, fällt das Spalten und Behauen verhältnismäßig leicht.
Während Bianca mit einer dänischen Handsäge die Nut in den Stützbalken sägt, klopft Jeppe mit einem Stemmeisen das Zapfenloch in die Schwelle. Zur Demonstration richten sie zu dritt einen Stützbalken auf und setzen ihn in das Zapfenloch: Maßarbeit, da passt keine Briefmarke mehr dazwischen.
Bianca und Franka versuchen, einen der kurzen Balken umzudrehen, keine Chance. Jakob muss helfen, denn so ein Balken wiegt deutlich mehr als 100 Kilo. Ein Kubikmeter Eichenholz bringt es auf 800 bis 1000 Kilo.
Und wozu diese ganze Anstrengung? Die Jugendbauhütte Lübeck der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, getragen von den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten (ijgd), baut den Keller halb fertig und schafft ihn dann mit den restliche Baumstämmen, insgesamt 20 Kubikmeter Holz, nach Berlin. Dort wird er im Martin-Gropius-Bau in der Ausstellung „Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland“ im Rahmen des Europäischen Kulturerbejahres vor Publikum fertig gebaut – ähnlich wie 2011 das Wikingerschiff aus Roskilde. „Das wird eine Herausforderung“, sagt Janssen, „denn am 1. September tritt ein neuer Jahrgang an, der dann ab dem 21. September den Keller fertig bauen muss.“ Bis dahin müssen die Neuen kräftig den sicheren Axtschlag üben.
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