Syrischer Rapper über Idlib: „Die Leute hier brauchen meine Stimme“
Bombardements hielten ihn nicht vom Videodreh ab: Der syrische Rapper Amir „Almuarri“ über die Botschaft seiner Songs und die Situation in Idlib.
Amir, Sie sind Rapper und kommen aus der seit Langem schwer umkämpften syrischen Provinz Idlib. Ihr neues Video „An allen Fronten“ ist inmitten der dortigen Trümmerlandschaft gedreht. Warum?
Ich habe mich entschieden, die Zerstörung im Hintergrund zu zeigen, um deutlich zu machen, was hier passiert, wie schlimm es um die humanitäre Situation in Idlib bestellt ist. Aber vor allem wollte ich der ganzen Welt zeigen, dass wir trotz aller Bombenanschläge, Trümmer, Morde, Vertreibungen und Verbrechen von Russland, Iran und Assad in der Lage sind, etwas Produktives zu erschaffen.
Entstanden ist der Film im August und September während Bombardements durch die syrische und russische Luftwaffe. Hatten Sie keine Angst?
Die Dreharbeiten fanden in den Städten Banash, Ariha und Maarat al Numan. Ich war so angetan von der Arbeit, dass aus meiner Angst regelrechte Begeisterung wurde. Ich konnte mich sehr gut auf das Video und meine Botschaft für die Welt konzentrieren.
Die Aufnahmen zeigen zerstörte Schulen, müde Rettungskräfte und Menschen, die versuchen, in Kriegszeiten die alltäglichen Herausforderungen zu meistern. Wie muss man sich das Leben in Idlib vorstellen?
Unser Leben hier hängt zum einen von den Treffen der Türken, Russen und Iraner ab, bei denen über unser Schicksal entschieden wird.
Und zum anderen?
Sind wir Opfer von Al Qaidas Exzessen und denen anderer Terroristen. Die Menschen hier wollen aber einfach nur ihren Lebensunterhalt sichern und in Frieden leben. In Idlib gibt es keine Ambitionen, keine Träume. Selbst Universitäten wurden geschlossen, um den Druck auf die Studenten zu erhöhen. Und wir erleben tagtäglich, dass Zivilisten ebenso wie Rettungssanitäter Opfer der russischen und syrischen Bombenangriffe werden.
Fast vier Minuten lang prangern Sie die katastrophalen Zustände in Idlib an, gehen mit allen Kriegsparteien ins Gericht. Wer trägt die Schuld an Syriens Tragödie?
Alle mit dem syrischen Regime verbündeten Länder sind für das, was in Idlib geschieht, verantwortlich, einschließlich der USA, Chinas und Russlands.
Ihr Video ist ein explizit politisches. Was kann ein Hip-Hop-Künstler mit seiner Musik bewirken?
Rap ist ein wichtiges Hip-Hop-Genre, nämlich eine Form politischer Kunst gegen Diktaturen, Korruption und Rassismus. Jeder Rapper kann politische Themen ansprechen, aber nicht jeder Rapper ist vor den Repressalien der von ihm kritisierten politischen Seite sicher. Die Behörden können – wie zum Beispiel in Russland – gegen Rapper vorgehen. Aber es ist unmöglich, alle Musiker zu stoppen. Die Behörden wollen deshalb die Menschen dazu bringen, den Rap zu entpolitisieren. Er soll eben gerade nicht Korruption und den Rassismus des Staates anprangern. Doch das kann man dann nicht mehr als echten Rap bezeichnen.
Sie leben nach wie vor in Idlib, umgeben von Not und Gewalt und Hoffnungslosigkeit. Ein bedrückender, vor allem lebensgefährlicher Alltag, oder?
Meine Familie und ich wurden in ein von türkischen Streitkräften kontrolliertes Gebiet im Norden Aleppos vertrieben. Doch die Lebensbedingungen machten es unmöglich, dort zu bleiben. Also kehrten wir nach Idlib zurück. Ich wohne jetzt wieder in meiner Heimatstadt Maarat al Numan. Das heißt: Mein Leben ist durch die Angriffe Russlands und Assads in Gefahr. Mir ergeht es also wie jedem anderen der drei Millionen Zivilisten in Idlib.
Gibt es Hoffnung für Idlib und Syrien? Können Sie sich ein Leben ohne Krieg und Angst vorstellen?
Solange Russland, der Iran und China das syrische Regime unterstützen und solange die USA nicht alles tun, um den Schutz der Zivilbevölkerung in Idlib zu gewährleisten, glaube ich nicht, dass es für uns ein normales Leben geben wird - auch nicht in zwanzig Jahren. Aber das wird mich nicht davon abhalten, meine Gedanken auszudrücken und weiter zu rappen. Denn ich weiß, dass das, was ich sage, die Wahrheit ist. Und die Leute hier brauchen meine Stimme.
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