Repressionen gegen Musiker: Putin schaltet sich in Rap-Debatte ein
Hip-Hop ist in Russland ungemein populär, doch der Staatsmacht nicht geheuer. Nun hat sich auch der Präsident in die Debatte eingeschaltet.
Ein junger Mann mit schwarzer Sonnenbrille springt im Gucci-Shirt vor der Kulisse brennender US-Wolkenkratzer herum. Er tanzt mit Donald Trump und Barack Obama und reitet auf einem riesigen Bären durch die düstere Szenerie. Dazu erklingt ein monotoner Beat und immer wieder der hypnotische Refrain: „Ich pfeife auf den Westen.“
Der junge Mann heißt Face und ist ein russischer Rap-Star. Sein Anfang 2018 veröffentlichter Clip wurde auf YouTube mehr als 13 Millionen Mal aufgerufen. Ist es ein antiwestlicher Track? Oder macht sich der 21-Jährige über den russischen Hurra-Patriotismus lustig? Die Botschaft ist nicht eindeutig.
Gescheiterte Vereinnahmung
Nicht nur die jugendlichen Face-Fans waren begeistert, auch im Kreml wurde man auf den Clip aufmerksam. Es war kurz vor der Wiederwahl Putins im März, die Polittechnologen auf der Suche nach Wahlwerbung „Guerilla Style“. Kremlnahe PR-Leute schlugen Face vor, den Clip abzuändern und Präsident Wladimir Putin auf den russischen Bären zu setzen. Als Honorar versprachen sie eine Million Rubel, rund 13.000 Euro. "Ich möchte nicht dem Präsidenten sein Amt streitig machen“, sagt Face im Gespräch mit dieser Zeitung. „Aber in meinem Clip sitze ich auf dem Bären.“
Rap ist in Russland eine lebendige Jugendkultur – und ein einträgliches Business. Der Rapper Timati gehört zur High Society, besitzt ein Modelabel und eine Burgerkette. Staatsnahe Stars treten bei Kreml-Events auf und geben Empfehlungen ab für einschlägige Kandidaten. Doch es gibt Musiker, die sich nicht vereinnahmen lassen. Zu ihnen gehört Face, für den der Vorfall zum politischen Erweckungserlebnis wurde. „Ich hätte nicht gedacht, wie weit politische Propaganda geht“, sagt er. In seinem jüngsten Album thematisiert er die Instrumentalisierung und wehrt sich dagegen: „Ich bin frei, ich gehöre nur mir.“
Wird Rap zur Politik?
Seit ein paar Wochen ist der russische Rap nicht mehr nur Vereinnahmungsversuchen ausgesetzt, sondern es gibt sogar Repressionen gegen seine Protagonisten. Im November hatten Polizei und Geheimdienst Songtexte und Videos auf Extremismus untersucht; zudem wurden Rap-Konzerte kontrolliert und teilweise unterbunden, für mehrere Künstler hagelte es Konzertverbote.
So konnte das populäre Moskauer Gothic-Rap-Duo Ic3peak auf einer Russland-Tour kein Konzert spielen, ohne behindert zu werden. Und Shows des aus dem fernen Siberien stammenden Rappers Dmitri Kusnezow, bekannt als Husky, wurden gleich in mehreren Städten verboten. Husky, der in seinen mit wenig Geld produzierten Clips auch sozialkritische Töne anschlägt, performte daraufhin im südrussischen Krasnodar auf einem geparkten Auto, umringt von Fans. Der 25-Jährige wurde festgenommen und zu mehreren Tagen Haft verurteilt. Dank dem Vorfall dürfte Husky im Ansehen seiner Anhänger noch mehr gestiegen sein.
Durch diesen und andere Vorfälle hat das Thema zuletzt deutlich an Gewicht gewonnen - so sehr, dass sich sogar Russlands Präsident Wladimir Putin dazu äußerte. So rügte Putin Rapmusik, weil sie Drogen verherrliche. Verbote nützten aber nichts, sagte er auf einer kulturpolitischen Versammlung in St. Petersburg. „Wenn man etwas nicht stoppen kann, muss man sich an die Spitze setzen und entsprechend lenken“, sagte er am Samstag laut Agentur Interfax. Nähere Vorschläge machte der Kremlchef nicht.
Rap und andere Formen der Popkultur beruhten auf drei Dingen: „Sex, Drogen und Protest“, sagte der Präsident. „Davon beunruhigen uns natürlich Drogen am meisten.“ Sie seien der „Weg zu einem Verfall der Nation“. Selbst wenn andere Länder in dieser Frage nachlässig seien, „müssen wir hier nachdenken, wie man so vorgeht, dass es nicht so weit kommt“.
Für Rapmusiker und andere Künstler in Russland setzt sich mit Putins Äußerungen ein wochenlanges Wechselbad der Gefühle fort. Noch in der vergangenen Woche hatte ein ranghoher Mitarbeiter des russischen Präsidenten Putin die Konzertverbote eine Dummheit genannt - schlagartig hörten die Schikanen auf. Putins Worte bedeuten nun eine weitere Wendung mit unklaren Folgen.
Die moralische Gefährdung der Jugend ist zum Thema des Tages geworden. Die Behörden sind nach den von Schülern verübten Bluttaten von Kertsch und Archangelsk alarmiert. Kinderschützer fordern mehr Sorge um junge Menschen.
Sogar die Kreml-Partei Einiges Russland debattierte die Gefahren des Rap auf ihrem Parteitag. „Die Behörden verstehen nicht, was das soll: Da versammeln sich tausende Leute. Warum? Was singen sie?“, beschreibt Iwan Drjomin die staatliche Reaktion. „Das alles macht ihnen Angst. Wird Rap zur Politik? Wird der Rapper Oxxxymiron der nächste Präsident?“
Auf der Bühne schimpft Face ziemlich hemmungslos. Im persönlichen Gespräch ist Iwan Drjomin, so lautet sein bürgerlicher Name, ein zurückhaltender junger Mann. Er sitzt in einem Moskauer Café, bestellt Früchtetee, Linsensuppe, Buchweizengrütze. „Ich bin nicht besonders hungrig, aber immerhin ist ja Mittag.“ Unterhalb seiner Augen hat er die Worte Love und Hate auf die Haut tätowiert. Er isst erst, als das Interview vorbei ist.
Flucht als Antwort
Viele Künstler formulieren keine direkte Regimekritik, die meisten wollen mit Politik nichts zu tun haben. Aber sie benennen provokant soziale Probleme wie Armut, Drogenmissbrauch und Behördenwillkür. Sie schimpfen im Mat, der russischen Vulgärsprache. Sie hängen einer Ästhetik an, die in Konflikt zum konservativen Wertekanon steht. Im Clip der Elektronik-Gruppe Icepeak verspeist ein Pärchen rohes Fleisch am Roten Platz, aus den Mündern quillt Blut. „Es gibt keinen Tod mehr in Russland“, singt dazu eine schrille Stimme. Ein sarkastisch-düsterer Abgesang auf das Land.
Seine eigene Zukunft sieht Face nicht in Russland. Bald wolle er emigrieren, in die Niederlande. In seiner Heimat könne man kein freier Mensch sein. „Sklaverei in verschiedenen Formen“ sei die historische Konstante Russlands. Auch Putin sei nur ein „Spiegel des Volkes, das ihm erlaubt über sich zu herrschen“, sagt Face. Und die Jugend? Eskapismus sei ihre Antwort auf die Zumutungen des Alltags. Im Ausland könnte Face ein Problem haben: „Mir könnte langweilig werden.“
Jutta Sommerbauer