Werkschau im Arsenal-Kino: Die Lebensadern von Teheran
Rakhshan Bani-Etemad ist die First Lady unter den Filmemacherinnen Irans. Nun macht eine Werkschau im Berliner Kino Arsenal die Regisseurin auch hierzulande bekannt.
Teheran, die Heimatstadt der Regisseurin Rakhshan Bani-Etemad, ist in ihren Filmen ein heftig pulsierender Organismus voll wiederstrebender, oft destruktiver Triebkräfte und vitaler Sehnsüchte. Da gibt es die überreizten Nervenbahnen: volle Straßen, heftigen Lärm, automatisierte Fabrikarbeit, verwinkelte Handelshäuser, wo neben weißen Hochzeitsroben auch Heroin gedealt wird und öfter über Dächer und dunkle Hintergassen Fluchtwege vor der Polizei gesucht werden. Da gibt es die Lebensadern der Familien aus kleinen Verhältnissen, die in alten Quartieren hinter verschlossenen Toren leben und sich in kleinen Backsteinhäusern und Hinterhöfen oft genug in Zerreißproben verstricken.
Im Arsenal-Kino macht nun eine Werkschau mit den wichtigsten Spiel- und Dokumentarfilmen der 1954 geborenen, hierzulande kaum bekannten First Lady des iranischen Kinos bekannt. Sie zeigt hochemotionale Dramen aus dem Arbeitermilieu, die die schattigen Seiten der iranischen Gesellschaft seit der islamischen Machtübernahme Ende der 1970er Jahre porträtieren. Oft sind sie um arbeitende Frauen und Mütter zentriert, die sich den Widrigkeiten ihrer sozialen Ungleichbehandlung stellen, gegen Verluste und Einsamkeit kämpfen und sich weigern, Opfer zu sein. Sie stürmen in ihren weiten schwarzen Überwürfen, die das religiöse Regime vorschreibt, von einer Tat zur nächsten, immer mit dem lästigen Ordnen der sich im Wind bauschenden Tracht beschäftigt, Sinnbilder der Widerständigkeit, die sich angesichts der Zwänge und Nöte sammelt.
In "Mainline" greift Bani-Etemad das Tabuthema Drogen auf
„In die Tiefe“ der Gesellschaft möchte Bani-Etemad schauen, wie sie in einem Interview schildert. „Under the skin of the city“ (2001) heißt einer ihrer erfolgreichsten Spielfilme, in dem sie dokumentarische Präzision in der Figuren- und Milieucharakterisierung mit ausgefeilten Dialogen und dem Zusammenspiel von Laien und Profi-Schauspielern verbindet. Eine Textilarbeiterin hält ihre Familie finanziell über Wasser, um ihr das kleine Haus und den jüngeren Kindern eine bessere Schulbildung zu sichern. Der älteste Sohn, der längst als Kurier für einen Dealer arbeitet und sich dabei Stoff abzweigt, macht indes hinter ihrem Rücken mit dem arbeitslosen Vater gemeinsame Sache und verkauft den Besitz, um davon sein Ausreisevisum zu bezahlen. Sein Traum ist, die Familie mit seinem im Ausland verdienten Geld besserzustellen, doch am Ende einer dramatischen Abwärtsspirale ist alles infrage gestellt.
Rakhshan Bani-Etemad studierte an einer Teheraner Kunstakademie und arbeitete zunächst für das Fernsehen in allen Gewerken, bis sie eigene Dokumentarfilme drehte. Verheiratet mit einem Produzenten und Mutter der Schauspielerin Baran Kosari, entwickelte sie einige Projekte im engen Familien- und Freundesverbund. So besetzte sie ihre Tochter in dem 2006 (mit dem Ko-Regisseur Mohsen Abdolvahan) entstandenen Mutter-TochterDrama „Mainline“, in dem sie das im Iran nicht offen diskutierte Problem der Drogensucht erneut aufgreift. Das Roadmovie erzählt von einer Mutter, die ihr heroinkrankes Kind in eine Entzugsklinik am Kaspischen Meer bringen will. Ebenso interessiert an den Gefühlsebenen eines klassischen Genrestücks wie an formalen Experimenten, nutzt der Film die nervöse Wirkung der Handkamera und die fremde Anmutung entsättigter Farben.
Auch Bani-Etemads Dokumentarfilme über Frauen im Iran sind erhellend
In „Tales“, Rakhshan Bani-Etemads jüngstem Film, der 2014 in Venedig Premiere feierte und dafür von iranischen Offiziellen heftig kritisiert wurde, zeigen sich überdeutlich die am Widerstand gegen die Zensur entwickelten Stärken ihres Werks. Frustriert von zunehmenden Eingriffen der Vorzensur zog sie sich nach „Mainline“ vom Spielfilm zurück, um an dokumentarischen Projekten weiterzuarbeiten. „Tales“ sollte ihre Rückkehr in Form mehrerer Kurzfilme ermöglichen, da diese nicht unter derselben rigiden Zensur zu stehen scheinen. Am Ende entstand daraus ein Reigen um Figuren aus ihren früheren Filmen, die sie Jahre später in berührenden Episoden und satirischen Streiflichtern mit denselben Darstellern neu zum Leben erweckt.
Ähnlich erhellend sind ihre Dokumentarfilme, etwa „We are half of Iran's population“. Da äußern sich Aktivistinnen islamischer Frauenverbände im Wahlkampf um die Präsidentschaft 2009 – junge Frauen, die behutsam und bestimmt Einspruch gegen die herrschende Ungleichbehandlung erheben. Und sie konfrontiert drei der vier Kandidaten – Präsident Ahmadinedschad verweigerte ein Interview – mit dem feministischen Elan der jungen Generation. So erreicht Bani-Etemad in ihrem Land ein großes, auf Veränderungen drängendes Publikum.
Bis 24. Mai im Kino Arsenal. An diesem Sonnabend, 7. Mai, ist die Regisseurin dort zu Gast - nach der Vorführung von „Under the Skin of the City“, 20 Uhr.
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