Humboldt-Forum: „Die Künste sind einander fremd geworden“
Franco Stella und Christoph Sattler sind die Architekten des Humboldt-Forums. Ein Gespräch über Kunst am Bau und politische Statements.
1,8 Millionen Euro standen für Kunst am Bau im Humboldt-Forum zur Verfügung, fünf Werke wurden bereits ausgewählt, ein sechstes soll auf die Dachterrasse kommen. Franco Stella, der das Humboldt-Forum entwarf, und Christoph Sattler, der ihn bei der Ausführung unterstützt, nahmen an den Jurysitzungen für die Kunst am Bau teil – mit gemischten Gefühlen. Häufig empfinden Architekten Kunst an ihrem Bau eher als störend.
Zwischen Architekten und Künstlern kann eine spannungsvolle Beziehung bestehen. Die einen sehen die Architektur als Königin der Künste, die anderen die Kunst als Schlussstein des fertigen Baus. Konnten Sie Kunst am Bau leichten Herzens zulassen, Herr Stella?
STELLA: Es gibt einen Unterschied zwischen Kunst am und im Bau. Im Humboldt-Forum werden mehrere 10.000 Objekte präsentiert. Da stellt sich Frage: Welcher Bedarf besteht da noch? Dort gibt es sowohl zeitgenössische Kunst am Bau als auch Werke, die zum einstigen Schloss gehörten und jetzt als Ausstellungsobjekte zurückkehren. Schlüter verstand sie als Bestandteil seiner Baukunst.
Und wie stehen Sie zur Kunst am Bau?
STELLA: Ich fühle mich dafür besonders zuständig, weil sie die festen Elemente der Architektur verändern kann. Sie verbleibt am Ort, solange der Bau existiert, und sollte die gleiche langfristige Perspektive haben.
Die Werke kamen nachträglich hinzu. Hatten Sie damit Probleme?
STELLA: Kunst am Bau entstand ursprünglich zusammen mit der Architektur. Ich denke dabei an das Graffito in den Urzeit-Höhlen, die Wandmalerei im altrömischen Domus, die Fresken in den Renaissance-Palästen oder die Altargemälde in den Kirchen.
Verbindung zwischen Architektur, Skulptur und Malerei schwächer geworden
Die Architektur bildete mit der Malerei und Skulptur ein Gesamtkunstwerk. Die unterschiedlichen Künste wurden oft von derselben Hand gemacht. Der Renaissance-Architekt Giulio Romano schuf auch die Ausstattung des Palazzo Te in Mantua, Schlüter meißelte einige Statuen des Berliner Schlosses.
Und heute?
STELLA: Seit dem 19. Jahrhundert wurde die Kunst im Bau wichtiger und die Verbindung zwischen Architektur, Skulptur und Malerei schwächer. Heute kommt die Kunst am Bau auf administrativem Wege hinzu.
Herr Sattler, als deutscher Architekt kennen Sie das Prozedere. Was bedeutet für Sie diese Ergänzung Ihres Entwurfs?
SATTLER: Es ist ein Problem der Moderne, dass die Künste autonom und damit sich fremd geworden sind. Die meisten Architekten interessieren sich nicht für Malerei und Bildhauerei. Umgekehrt haben die Maler keine Ahnung von Architektur.
Manchmal gelingt das Zusammenspiel heute noch, zum Beispiel beim Reichstag mit den vier, fünf großen Malern der Republik, darunter Gerhard Richter, Georg Baselitz, Sigmar Polke. Im Humboldt-Forum war das schwieriger durch das niedrige Budget. Deshalb wollten wichtige Maler nicht teilnehmen.
Fast 1,8 Millionen Euro sind doch keine geringe Summe.
SATTLER: Beim Regierungsumzug gab es für Bundesbauten noch 3 Prozent der Baukosten. Das wären jetzt bei 400 Millionen Euro 12 Millionen Euro.
Wie beurteilen Sie die Form der Entscheidungsfindung?
SATTLER: Ich halte den Wettbewerb für problematisch. Da sollen neun verschiedene Personen entscheiden, was das beste Werk ist. Qualität lässt sich nicht über Mehrheiten definieren.
Hätten Sie lieber selbst bestimmt?
SATTLER: Wir sollten Vorschläge machen. Die Künstler wurden angeschrieben, aber alle mussten sich der Jury unterwerfen. Das Prinzip des Demokratischen widerspricht jedoch der Kunst. Ich habe Georg Baselitz einmal gefragt, ob er ein großes Fresko malen könnte. Darauf hat er geantwortet, dass er ein so monumentales Bild nur auf Leinwand malen würde, nicht um es mit der Architektur zu verbinden.
Kunst vom Markt bestimmt
Heute ist die Kunst vom Markt bestimmt. In den 50er Jahren gab es noch Maler wie Hann Trier, der die Deckenbilder im Charlottenburger Schloss gestaltete. Solch glückhafte Verbindungen kommen immer mal wieder vor.
Haben Sie eine solche erlebt?
SATTLER: Ja, mit Markus Lüpertz haben wir Mitte der 80er Jahre für eine Bogenbrücke in Karlsruhe vier Meter große Skulpturen entwickelt. Wir brauchten massive Widerlager. Diese Funktion übernahmen Lüpertz’ Brückenfiguren.
Wie kam die Wahl der Orte für Kunst am Bau im Humboldt-Forum zustande?
SATTLER: Wir haben festgestellt, dass vor allem die Verkehrswege geeignet sind – Plätze, die nicht Ausstellungsräume sind. Wir sind schnell beim Foyer zu den Veranstaltungssälen gelandet, wo heute der Schriftfries „Die Architekten“ von Dellbrügge de Moll installiert ist, der am ehesten ein Zusammenwirken von Kunst und Architektur demonstriert.
Welche Orte kamen nicht infrage?
STELLA: Die Passage, die an ein antikes Forum erinnernde „via colonnata“. Diese Durchwegung mit ihren offenen Portalen besitzt eine urbane Identität. Millionen Besucher sollen über diese Piazza flanieren können.
Ein Beispiel für eine Fehlplatzierung im Humboldt-Forum ist der Medien-Turm, der dem theatralischen Charakter des Ortes widerspricht. Diese Multimedia-Konstruktion nimmt bei Veranstaltungen Hunderte Plätze weg. Sie sieht wie ein selbstreferenzielles Kunstobjekt aus. Mein Einspruch blieb erfolglos.
Welche Werke sagen Ihnen besonders zu?
SATTLER: Der Fries von Dellbrügge de Moll verbindet sich am stärksten mit dem Gebäude.
STELLA: Mir gefällt am Fries, der die Vornamen aller Architekten aufführt, die mit dem Berliner Schloss zu tun hatten, dass es nach dem letzten Namen keinen Platz mehr gibt. Nach Heinz – für Heinz Graffunder, den Erbauer des Palastes der Republik – steht nur noch mein Vorname da. Mit Franco hört alles auf.
„GLOBAL BAROCC – CCORAB LABOLG“ von An Seebach und Christiane Stegat zeigt dagegen Exponate aus den Sammlungen in Schablonenmalerei.
SATTLER: Ich empfinde den Beitrag als angewandte Kunst, als angenehmen Hintergrund. Es gab eine wunderbare Phase in der Kunstgeschichte, in der Tapeten eine große Rolle spielten. Als Dekoration ist die Arbeit gelungen.
Tim Trantenroths Wandarbeit präsentiert über zwei Geschosse den Palast der Republik. Passt diese Form der Erinnerung?
SATTLER: Wann immer ich erzähle, dass ich mit dem Wiederaufbau des Stadtschlosses zu tun habe, wird eingewandt, dass dort vorher der Palast der Republik gestanden habe. Deshalb ist es richtig, daran zu erinnern.
Wie ist Ihr eigenes Verhältnis zum Palast der Republik?
SATTLER: Ich war von Anfang an für den Abriss – weniger aus politischen Gründen, sondern weil sich hier einst das einzige qualitätsvolle Ensemble Berlins befand: das Ende von Unter den Linden und die Museumsinsel, dann die Staatsoper, das Zeughaus, die Bauakademie.
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Alles leitete sich vom Stadtschloss ab. Außerdem fand ich den Palast der Republik architektonisch nicht so interessant. Er hätte genauso gut in Stockholm stehen können.
STELLA: Durch die Sprengung des Stadtschlosses ging das Verständnis für die Zusammenhänge der wichtigsten Straßen, Plätze und Bauten der Stadtmitte verloren. Durch die Rekonstruktion werden diese Beziehungen wieder erlebbar.
Um das Zeitverständnis geht es auch bei der Wandinstallation „Zeitmaschine“ von Stefan Sous. Sie zeigt 66 in die Foyerwand eingelassene Uhren von 66 verschiedenen Orten auf der Welt noch vor Einführung der heutigen Weltzeituhren und Zeitzonen.
STELLA: Das Motiv ist einem Buch Alexander von Humboldts von 1851 entnommen, als die Zeitunterschiede noch nicht einheitlich geregelt waren. Viele Städte, die damals wichtig waren, sind es heute nicht mehr. Es ist eine Momentaufnahme.
Und Ihr eigenes Zeitgefühl im Zusammenhang mit dem Humboldt-Forum?
SATTLER: Franco Stella beschäftigt sich mit Berlin seit einer kleinen Ewigkeit. Eigentlich ist es eine rasende Konsequenz, dass er das Stadtschloss baut.
Kunst sollte über die Tagesaktualität hinausgehen
STELLA: Ich habe Berlin seit den 70er Jahren immer wieder besucht, für Studien, Schriften und Wettbewerbsentwürfe, unter anderen für das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt oder die Grimm-Bibliothek. Und ich saß als Jurymitglied im Preisgericht der beiden größten Wettbewerbe – für Spreebogen und -insel. Ich kannte das deutsche Wettbewerbswesen lange vor dem Humboldt-Forum.
War das wichtig?
STELLA: Ja, anders als in Italien sind in Deutschland die Namen der Preisrichter und die damit vertretenen Architekturvorstellungen vorher bekannt. Hätte Daniel Libeskind im Preisgericht für das Humboldt-Forum gesessen, hätte ich mich nicht beteiligt. Mein Entwurf wäre chancenlos gewesen.
Zu Auseinandersetzungen soll es in der Jurysitzung beim zweigeteilten Flaggenmast von Sunkoo Kang gekommen sein, der an den Kolonialismus erinnert. Warum?
SATTLER: Es ging dabei um die Aufteilung des Kunstwerks zwischen Humboldt-Forum und einem Platz im Wedding beziehungsweise später in Namibia. Außerdem ist Kangs Beitrag ein politisches Statement. Deshalb war die Frage, ob wir uns auf die aktuelle Diskussion einlassen dürfen.
STELLA: Auch wenn ich dafür gestimmt habe, bin ich mir nicht sicher, wie viele Besucher die Botschaft verstehen werden. Die Kunst sollte über die Tagesaktualität hinausgehen. Mein kürzlich verstorbener Freund, der Architekt Adolfo Natalini, hat einmal gesagt, wenn die Kunst sich mit dem Zeitgeist verheiratet, dann wird sie früh Witwe.