Kunst für das Humboldt Forum: Buchstaben mit Geschichte
In einer Fabrikhalle in Berlin-Wedding arbeitet das Künstlerduo Dellbrügge & de Moll an einer Installation für das Humboldt Forum.
Als das alte Berliner Schloss noch stand, bauten Arbeiter in den Pankehallen Geldschränke und Tresore. Seit 1985 aber gipsen, meißeln, sägen und schweißen Künstler in der roten Backsteinfabrik am Gesundbrunnen. Für drei Monate haben sich nun Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll in die Formwerkstatt eingemietet, um 110 Buchstaben für einen Schmuckfries im wiederaufgebauten Schloss zu fabrizieren.
Wie Brötchen in einer Backstube liegen die fast weißen Lettern aufgereiht in einem Regal. Gleich daneben gießen die Künstler einen der letzten Buchstaben, ein großes N. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Die Künstlerin löffelt behutsam grauen Brei in eine Gussform, bis sie randvoll ist.
Gleichzeitig stochert ihr Partner mit einer elektrischen Zahnbürste in der grauen Pampe. „In den Ecken setzen sich gerne Luftblasen fest“, erklärt er, „das ergibt dann Fehlstellen an den scharfen Ecken und Kanten der Buchstaben.“
Exakt sieben Zentimeter hoch sind die Gussformen für die Lettern, die im August im Foyer zum Auditorium des Humboldt Forums an die Wände geschraubt werden. „Sechs Zentimeter dicke Buchstaben sähen flächig aus, acht Zentimeter würden schon klobig wirken“, erklärt de Moll.
Gut einen halben Meter hoch sind die Großbuchstaben, die über den Köpfen der Besucher einen umlaufenden Fries bilden. „Die Proportionen sind angenehm, auch für uns“, sagt der gelernte Bildhauer. „Die einzelnen Buchstaben sind so schwer, dass ich sie gerade noch anheben und umhertragen kann.“
Sechs Tonnen DDR-Beton haben sich die Künstler im Januar gesichert
Das Material hat es in sich. Es stammt aus der Betonwanne, in der die DDR ihren Palast der Republik errichtete. Im Januar wurden am Schlossplatz Reste davon abgetragen. Das Künstlerduo sicherte sich gleich sechs Tonnen des historischen Baustoffs für sein Upcycling-Projekt und überwachte jeden der folgenden Arbeitsschritte, um möglichst sortenreinen Palast-Beton verwenden zu können. Eine Spezialfirma zertrümmerte die Betonbrocken in gesäuberten Maschinen. In grober, mittlerer und feiner Körnung wurde der Palast-Beton im April in die Bildhauerwerkstatt an der Panke geliefert.
Ralf de Moll vermischt die Betonkörner mit Weißzement und Wasser zu dem grauen Brei, der dann in die Gussformen kommt. Vier Tage später ist er so hart, dass vorsichtig ein Buchstabe aus dem Negativ gestürzt werden kann. Während des zweiwöchigen Trocknungsprozesses wird der Zement fast weiß, dabei muss er regelmäßig mit Wasser benetzt werden. Nach der Aushärtung bekommt jeder Buchstabe einen Feinschliff. Mehlweißer Staub wirbelt dann durch die Halle, setzt sich in den Haaren und auf den Arbeitsklamotten der Künstler fest.
Jeder Buchstabe ist ein Unikat
Vorgefertigte Buchstaben zu verwenden, kam für sie nicht in Frage. Auch nicht der Einsatz eines 3-Druckers, mit dem inzwischen ganze Betonhäuser fabriziert werden können. Die Gussformen haben die Künstler selbst gezimmert. 21 verschiedene Buchstaben kommen in der Installation vor, mehr als zehnmal die Lettern R, N, A und I. „Jeder Buchstabe ist ein Unikat“, sagt Christiane Dellbrügge.
Sie hat ursprünglich Malerei studiert. An der Kunsthochschule in Kassel lernte sie Ralf de Moll kennen, seit 1988 leben und arbeiten die beiden gemeinsam in Berlin. „Damals im Studium lernten wir noch, mit Bleilettern Texte zu gestalten“, erinnert sich Dellbrügge. „Seitdem ist es ein durchgehendes Motiv in unserem Werk, mit Schrift zu arbeiten.“
In Oslo zu Beispiel ließen sie vor ein paar Jahren große schneeweiße Heliumballons über einem Stadtentwicklungsgebiet aufsteigen, auf denen zu lesen war: „One fine day, all this will be yours.“ Ein Versprechen der Stadtoberen an die Bürger, das wie ein Fragezeichen über den Baustellen schwebte. Auch in Berlin waren Dellbrügge & de Moll mehrfach an temporären Interventionen in öffentliche und halböffentliche Räume beteiligt, etwa im Künstlerhaus Bethanien oder auf dem Tempelhofer Feld.
„Wer einen Stuhl bauen kann, kann auch eine Stadt bauen“
Aber bisher existiert nur eine einzige dauerhafte Installation der beiden in der Stadt. Die gemeinsam mit Schülern der Marcel-Breuer-Schule und Martin-Wagner-Schule entwickelte Textcollage trägt den Titel: „Wer einen Stuhl bauen kann, kann auch eine Stadt bauen.“
Im August 2018 gewannen Dellbrügge & de Moll einen der Kunst-am-Bau-Wettbewerbe für das Humboldt Forum. Die Ausschreibung forderte die Künstler dazu auf, sich mit der Geschichte des Ortes auseinanderzusetzen. Dellbrügge & de Moll lasen viel über die verschwundenen Bauwerke, Bauherren und Baumeister am Schlossplatz.
Allmählich kristallisierte sich die Idee einer Namenskette heraus: von Konrad Krebs und Caspar Theiss, den Baumeistern des ausgelöschten Renaissanceschlosses, über Heinz Graffunder, dem Schöpfer des Palasts der Republik, bis zu Franco Stella, dem Gewinner des Architekturwettbewerbs für das Humboldt Forum.
Die Großbuchstabenkette erzeugt einen poetischen Mehrwert
Die Vornamen der Baumeister treten in der preisgekrönten Installation mit dem Titel „Die Architekten“ an die Stelle der Friedrichs und Wilhelms, die als fürstliche Auftraggeber in die Geschichte eingingen. Die Namen werden zu einem architektonischen Element, einem Fries, zusammengefasst.
Sie erscheinen in einer serifenlosen Antiquaschrift, wie sie Baumeister seit dem 18. Jahrhundert gerne auf ihren Plänen verwandten, also ohne Abschlussstriche und sonstige Schnörkel. Mit Recyclingbeton kommt ein zeitgenössisches und zukunftsweisendes Baumaterial zum Einsatz.
Darüber hinaus erzeugt die lückenlose, Vornamen an Vornamen reihende Großbuchstabenkette einen poetischen Mehrwert: Auch „Anna“ und „Johanna“ können aus ihr herausgelesen werden. Das Sprachspiel generiert Wörter wie „Ich“ und „Oha“, und es provoziert die Frage, aus welcher Sprache ein Wort wie „Parroc“ entlehnt sein und welche Bedeutung es vielleicht haben könnte.
Erst beim zweite, oder dritten Blick erschließt sich der Bezug
Sollten Besucherinnen namens Anna, Konrad oder Heinz sich persönlich in dem Werk gespiegelt sehen, ist auch das durchaus erwünscht. Die Jury des Kunstwettbewerbs lobte ausdrücklich das Konzept der Enthierarchisierung und die Anregung zu selbständigem Denken.
Den Besuchern im Humboldt Forum dürften sich der Geschichtsbezug und die poetische Mehrdeutigkeit des Textes an der Wand erst auf den zweiten oder dritten Blick erschließen. Der erste Eindruck wird wohl eine Irritation der Wahrnehmung sein. Das verbindet dieses 150.000 Euro teure Kunst-am-Bau-Projekt mit den flüchtigen Interventionen in städtische Räume, mit denen sich das Künstlerduo Dellbrügge & de Moll einen Namen gemacht hat.
Das Humboldt Forum wird eine gigantische Geschichtsrecycling-Maschine
„Ein Werk, das nur zwei Tage existiert, ist für mich so wertvoll wie eines, das ewig an der Wand hängen soll“, sagt Ralf de Moll. Hauptsache, es setzt etwas in den Köpfen in Gang. Wer weiß schon, wie lange. Die Baugeschichte am Schlossplatz zeige ja, wie oft dort schon abgerissen wurde, um Platz für etwas Neues zu schaffen.
Vollgestopft mit historischen Artefakten hinter Barockfassaden wird das Humboldt-Forum eine gigantische Geschichtsrecycling-Maschine sein. Eine Super-Installation, die im besten Fall eingefahrene Wahrnehmungen irritiert und einen Mehrwert in den Köpfen erzeugt. Die 110 Buchstaben von Dellbrügge & de Moll bringen es mit konkreter Poesie auf den Punkt.
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