Patricia Kopatchinskaja und das Konzerthausorchester: Die Koboldin aus Moldawien
Freier Gedankenflug der Spätromantik: Das Konzerthausorchester und Patricia Kopatchinskaja spielen Sibelius' Violinkonzert.
Es ist ein echtes Crescendo-Programm, das Iván Fischer da ausgetüftelt hat: Das „Schwellzeichen“, das einem auf die Seite gekippten V gleicht, notieren Komponisten, wenn sie den Interpreten dazu auffordern wollen, gleitend die Lautstärke zu erhöhen. Am Freitag am Gendarmenmarkt betrifft das Crescendo allerdings gleichzeitig auch noch die Ausdrucksintensität der Werke, ihre Entstehungszeit und die Orchesterbesetzung.
Mit einem kleinen Ensemble fängt der Chefdirigent des Konzerthausorchesters an, so wie es Jean Sibelius zur Verfügung stand, als er 1903 die Schauspielmusik zu Arvid Järnefelts Drama „Der Tod“ schrieb. Die „Valse triste“, das Eröffnungsstück daraus, wurde zu einem Wunschkonzert-Hit. Ganz zart und zurückhaltend lässt Fischer diese seelenvolle Musik spielen, geradezu durchscheinend filigran. Lediglich in der spanisch inspirierten Episode gestattet er sich ein kurzes Aufflammen von Leidenschaft.
An die Grenzen gehen
Auf klassische Kopfstärke wächst das Konzerthausorchester bei Sibelius’ Violinkonzert an. Die Partitur ist ein Paradebeispiel des freien Gedankenflugs der Spätromantik, Patricia Kopatchinskaja aber treibt sie an diesem Abend vollends ins Exzentrische. Die Virtuosin aus Moldawien ist eine genuine Live-Künstlerin, die auf der Bühne zur Schauspielerin wird, sich bei jedem Dialog mit dem Orchester direkt den Musikerkollegen zuwendet, emotionale Ausbrüche mit koboldhafter Gestik unterstreicht. Gewagt sind Kopatchinskajas Interpretationen in dem Sinne, dass sie wirklich etwas riskiert, an Grenzen geht und darüber hinaus, auf der Suche nach dem packendsten Ausdruck für ihre inneren Aufwallungen. Und sie hat das Glück, in Ivan Fischer einen Partner zu finden, der ihre Art bedingungslos akzeptiert, mit seinen Musikern alles daran setzt, den passenden Klanghintergrund für die Eskapaden der Solistin zu liefern.
In maximaler Besetzung tritt das Konzerthausorchester schließlich zu Béla Bartóks expressionistischer Ballettmusik „Der wunderbare Mandarin“ von 1926 an. Ivan Fischer meint es nur gut, wenn er die Regieanweisungen auf der Übertitelanlage mitlaufen lässt – das maximal motivierte Konzerthausorchester allerdings spielt bereits selber so suggestiv, dass die Handlung dieses wüsten, in jeder Hinsicht politisch unkorrekten Stücks um drei Ganoven und ihre gedungene Männerverführerin vor dem inneren Zuhörerauge lebendig wird.
noch einmal Sonntag 16 Uhr