Berlinale Talents: Die Gesichtersammlerin
Kamerafrau Nausheen Dadabhoy ist mit einem Action-Kurzfilm für einen Oscar nominiert. In Berlin trifft sie sich bei den Talents mit anderen jungen Filmschaffenden.
Farbe. Wie redet man über Farbe. Die jungen Kameraleute, die an diesem sonnigen Morgen zusammensitzen, suchen noch ein bisschen verschlafen nach Worten. Tönung, Kontrast, Farbstich … Für Leute, die Bilder machen, wäre es gut, sich detailliert ausdrücken zu können. „Ehrlich gesagt, ich hatte nie das Glück, dass die Regie mit mir ausführlich über ihre Vorstellungen gesprochen hätte“, wirft Nausheen Dadabhoy ein. Zaghaftes Kopfnicken allerseits. Aber gerade wenn wenig Zeit für Anweisungen bleibt, sei Nachhaken wichtig. Etwa wenn jemand sagt „Das Rot ist Mist“, sei es wichtig, zu erfahren, was genau gemeint ist.
Am Filmset ist Kommunikation alles. Deswegen wird auch bei dem Kamera- Workshop der Berlinale Talents vor allem diskutiert: über Arbeitsweisen, Koordination und Improvisationsstrategien. Darüber, wie in einem Bergstollen oder auf der Straße die besten Bilder entstehen. Oder wie zehnminütige Einstellungen inklusive Kamerafahrt realisiert werden können, und man dabei noch das Licht im Auge behält.
Die Berlinale Talents sind eine Plattform für junge Filmschaffende
Nausheen Dadabhoy ist eine von 250 Filmschaffenden, die sich bei der Nachwuchsplattform der Berlinale treffen. In Workshops zu Schnitt, Kamera und Drehbuch können sie sich austauschen, bei öffentlichen Gesprächsrunden erfahrenen Kollegen und Kolleginnen wie Paul Verhoeven, Agnieszka Holland und Christo Fragen stellen. Überdies gibt es viele Kennenlern- und Vernetzungstreffen. „Eigentlich sind wir nur fürs Reden hier!“, erklärt Kamerafrau Dadabhoy beim Kaffee vergnügt. Aber die 34-jährige US- Amerikanerin weiß auch, wozu das gut ist. Projekte wie der Kurzfilm „La Femme et la TGV“ ergeben sich nur durch Kontakte. Sie hat in der Schweiz gedreht, mit einem großartigen Team und Jane Birkin in der Hauptrolle. Jetzt ist der 30-Minüter für den Oscar in der Kategorie „Best Live Action Short“ nominiert. Nausheen Dadabhoy war für die Bilder verantwortet: Geduldige Weitwinkelaufnahmen von Zuggleisen in sommerlicher Landschaft und von einer Frau, die tagtäglich fahnenschwenkend den vorbeifahrenden Zug begrüßt. Mit der Handkamera filmte Dadabhoy diese sture, verliebte Alte.
Eine "Kamera-Nomadin" auf der Suche nach Geschichten
„Als Kamerafrau bin ich diejenige, die ganz nah rankommt. Deswegen liebe ich das: weil ich jede Regung im Gesicht der Schauspieler beobachten kann. Ein bisschen voyeuristisch ist das schon“, sagt sie lachend, „aber ich bin eben neugierig!“ Als „Kamera-Nomadin“ ist sie immer auf der Suche nach neuen Geschichten – und nach Kooperationen mit anderen Künstlern, mit denen eine interessante Dynamik entsteht.
Vielleicht ergeht es ihr mit den Berlinale Talents wie Ana Lily Amirpour. Die britische Regisseurin ist eine von mittlerweile 5000 Alumni. Dieses Jahr ist sie nach ihrem Indie-Hit „A Girl Walks Home Alone at Night“ von 2014 wieder dabei – als Expertin. Gerade erst hat sie einen Film mit Diego Luna realisiert („Bad Batch“), den sie damals bei den Talents kennengelernt hatte.
Der Kurzfilm "La Femme et le TGV" ist für einen Oscar nominiert
Das sind Geschichten, die Mut machen. Auch darum geht es bei den Talents. Das Filmgeschäft ist schließlich hart. Nausheen Dadabhoy mangelt es nicht an Schneid. Nach ihrem Abschluss am American Film Institute in Kalifornien hat sie fünf Jahre in Pakistan gearbeitet, dem Geburtsland ihrer Eltern. Dass dort Frauen hinter der Kamera ein Novum sind, hemmte sie nicht. Im Gegenteil: Für gute Bilder riskierte sie sogar, mit dem pakistanischen Geheimdienst aneinanderzugeraten. Auch den Terroristen an der afghanischen Grenze kam sie einmal bedenklich nahe. Ihr aktuelles Projekt: eine Dokumentation über muslimische Bürgerrechtler in den USA. Aber erst mal geht es nach L.A. – zu den Oscars.
Carolin Haentjes