Vampirfilm „A Girl Walks Home Alone at Night“: Die Schlimmen werden totgebissen
Vampirin mit Moral: Ana Lily Amirpours betörender Schwarz-Weißfilm „A Girl Walks Home Alone at Night“ ist ein Fest für Genre-Fans - und eine Metapher für die unterdrückte Stärke der iranischen Frauen.
Vorweg: „A Girl Walks Home Alone at Night“ ist keineswegs der „erste iranische Vampirfilm“, als der er nun überall vermarktet wird. Richtig ist: Die Vampirin trägt einen Tschador. Auch wird durchgehend Farsi gesprochen, außerdem haben die Regisseurin und einige Schauspieler iranische Wurzeln. Damit aber hat es sich schon, zumindest fürs Erste. Der Rest ist lupenreines Amerika.
Die 35-jährige, in England geborene Regisseurin Ana Lily Amirpour ist in Florida und Kalifornien aufgewachsen, wo sie jahrelang Sängerin einer Indie-Rockband war und nun ihr Langfilmdebüt gedreht hat. Als Location für die „Bad City“ genannte iranische Geisterstadt, in der der Film spielt, diente ein Kaff in der kalifornischen Wüste, das von der Ölförderung lebt. Die Vorbilder für ihren Vampirfilm nennt Amirpour selber prägnant beim Namen: „Es ist, als hätten Sergio Leone und David Lynch ein gemeinsames Baby und dafür Nosferatu als Babysitter bestellt.“ Und als Paten, darf man hinzufügen, wären ein in sein Frühwerk vernarrter und vertraut langsamkeitssüchtiger Jim Jarmusch sowie ein ausnahmsweise nicht gar so blutrünstiger Quentin Tarantino hinzugekommen.
Die Schlimmen werden totgebissen
Der mittelgroße Etikettenschwindel mit dem Iran aber stört nicht weiter, sobald die ersten Schwarz-Weiß-Bilder im Kinosaal ihr betörendes Spiel mit Licht und Schatten beginnen. Auch die lässig heruntererzählte – oder besser: dahingeträumte – Story stört nicht ernstlich, schließlich ist der Film ein einziges Fest der Zitate, von den Posing Fifties des James Dean über die Undergroundfilme des Andy Warhol bis zu Punk. So suggestiv auch setzt er seine meditative Grundstimmung, dass der Zuschauer sich bald wie in einem verspielten Retro-Panorama aus Stand- und Einzelbildern umfangen und geborgen fühlt.
Arash, dargestellt von dem Hamburger Schauspieler Arash Marandi, ist der coole, aber auch gutherzige James-Dean-Typ. Einen tollen Thunderbird-Zweisitzer hat er sich angespart – und muss ihn schon früh dem Dealer und Zuhälter Saeed (Dominic Rains) überlassen, schließlich wollen die Schulden für Arashs Junkie-Vater (Marshall Manesh) ausgelöst sein. Grundfinster also geht es zu in Bad City, bis „The Girl“ (Sheila Vand) stets nächtens auftaucht, die Schlimmen totbeißt und die Guten verschont.
Vampir-Märchen zwischen Bela-Lugosi-Postern und Patti-Smith-Covern
Ein moralisches Märchen? Vielleicht. Eine Liebesgeschichte? In zarter finaler Andeutung. Eine Reise durch leere, weite Siedlungs- und Industrielandschaften und, zum Ausgleich, durch vollgestopfte Innenräume? Sehr. So prangen im Angeber-Apartment des Dealers ausgestopfte Hirschköpfe beidseits der Tür, schmücken Leoparden-Vleecedecken das Sofa, und irgendwo hinterm Riesen-Flatscreen steht ein Schlagzeug in der Ecke. „The Girl“ dagegen wohnt in einer Einzimmerhöhle mit an die Wand getackerten Bela-Lugosi-Postern und Patti-Smith-Covern, und die Saphirnadel kratzt sich rein in Lionel Richies schmachtendes „Hello“. Oder war’s doch die Heroinnadel?
Ein Film über die unterdrückte Stärke iranischer Frauen
Egal, der Film schneidet von einer Nadel zu nächsten, von einem Genre ins andere, und wenn das Mädchen zu Hause im Ringelhemdchen herumgeht, löst sich auch der eisige Blick, den sie für ihre kühl mörderischen Nachtgänge aufträgt wie Kajal. Richtig ist: Der Tschador ist auch für sie die Uniform für draußen – und nach einer tiefen Weile verwandelt sich die so amerikanisch anmutende Seelenszenerie doch in eine Metapher für die unterdrückte Stärke der iranischen Frauen. Auf der anderen Seite der Erdkugel, auf der Nachtseite der Welt, warten sie auf ihre Stunde.
Filmkunst 66, Kulturbrauerei; OmU: Brotfabrik, Filmrauschpalast, Hackesche Höfe, Moviemento
Jan Schulz-Ojala
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