Filmbranche und Querdenker: Die Geschichte hinter #allesdichtmachen
Neue Erkenntnisse zu der Internet-Kampagne“: Maskenverweigerer am Set, Verwerfungen innerhalb der Filmbranche und die große Frage: Who done it?
Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes war die Rede von einem „antidemokratischen Netzwerk“, das hinter der Aktion steckt könnte. Dies hat sich als nichtzutreffend herausgestellt. Zudem wurden einige im Text genannte Personen, insbesondere Paul Brandenburg und Dietrich Brüggemann, nicht um eine Stellungnahme in Bezug auf ihre Rolle gebeten. Dadurch ist ein falscher Eindruck der Aktion und der daran beteiligten Personen entstanden. Wir bitten für diese Fehler, unangemessene Zuschreibungen und die daraus entstandenen Folgen um Entschuldigung. Hinweise auf geänderte bzw. nachträgliche ergänzte Passagen finden Sie am Ende des Textes. Eine Stellungnahme von Dietrich Brüggemann finden Sie hier.
Niemand von den Beteiligten schien mit der Wucht der Aktion gerechnet zu haben. Nach einer Woche ist in der Branche eine Spaltung zwischen verschiedenen Fraktionen von Filmschaffenden zu beobachten: denen, die der Kritik an der Corona-Politik in #allesdichtmachen punktuell etwas abgewinnen können. Und jenen, die die Aktion aufgrund ihrer verharmlosenden Polemik und zahlreicher auch in rechten Kreisen verbreiteter Argumente scharf verurteilen.
Am 1. Mai werden in Berlin wieder Dutzende von Demonstrationen erwartet, darunter auch vereinzelte Veranstaltungen aus dem "Querdenker"-Milieu. Die Szene hat im vergangenen Jahr großen Zulauf bekommen. #allesdichtmachen kam nicht aus heiterem Himmel.
Am 20. März sitzt Paul Brandenburg bei „Kaiser TV“, einem YouTube-Talkformat des Autors Gunnar Kaiser. Unter dem Sendungstitel „Es ist eine Katastrophe!“ sprechen sie über die „Lust an Grundrechtseinschränkung“ in der Pandemie. Was wie ein netter Plausch unter Gleichgesinnten wirkt, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Aktion #allesdichtmachen von langer Hand geplant war und von Beginn an eine politische Agenda verfolgte.
„Wir stehen kurz davor, dass sich sehr viele outen werden“
Brandenburg ist Notfallmediziner, Unternehmer und Begründer der Initiative „1bis19“, zu deren Hunderten von Unterstützer:innen auch der Schauspieler Volker Bruch und Regisseur Dietrich Brüggemann gehören.
Sein Gesprächspartner Kaiser gibt auf Facebook mit Suggestivfragen schon mal einen scharfen Ton vor: „Haben ältere Menschen, die das (Anm.: die Corona-Maßnahmen) hinnehmen und freudig akzeptieren für ein paar eigene Lebensjahre mehr, diese Lebensjahre dann verdient?“ Auf diesen Punkt läuft es bei Kaiser und Brandenburg oft hinaus: Menschenleben werden gegen Freiheitsrechte ausgespielt. In der Sendung spricht Paul Brandenburg von einer „Art Kulturkampf des Rechtes auf physisches Leben gegen Menschenwürde und Lebensqualität“ und, dass die Freiheitsrechte „absolut zurücktreten“ würden gegen die „maximale Lebensverlängerung“. Das sei medizinischer und wohl auch juristischer Unsinn. Später führt er aus: „Das, was wir gerade als gesammelte Corona-Maßnahmen in Deutschland erleben, ob Shutdown, wie man es technisch korrekt sagen müsste, oder Maskenpflicht, ist im ganz überwiegendem Maße Unsinn."
Ab Minute 14 wird es dann interessant. Brandenburg spricht über die Unterstützer:innen seiner Initiative: „Wir haben aus dem Medien- und Kunstbereich Namen, die im Vorabend- und Hauptabendprogramm bekannt sind aus den großen Sendern.“ Und weiter: „Wir stehen kurz davor, dass sich sehr viele outen werden. Und ich freue mich auf diesen Tag.“
Er sei gespannt, wie die „Cancel Culture” gegen diese Menschen vorgehen werde. Kaiser wendet ein: „Wenn sich sehr viele gleichzeitig äußern, die bisher einen reinen Namen haben, wird es sehr schwer, das zu canceln.“ Brandenburg pflichtet ihm bei: „Unmöglich! Das sind Menschen, die sich politisch links verordnen, sozial sehr aktiv waren.“
Bei so viel demonstrativem Pluralismus sollte nicht unerwähnt bleiben, dass auch Martin Sellner, der Sprecher der Identitären Bewegung Österreich, schon für eine Debatte auf Augenhöhe in Kaisers Sendung saß. Berührungsängste mit der extremen Rechten gibt es offensichtlich nicht. Nur einen Monat später erfüllt sich Brandenburgs Prophezeiung: #allesdichtmachen geht online.
Die interessante Figur im Hintergrund: Paul Brandenburg
In der vergangenen Woche galt das mediale Interesse an der Kampagne ausschließlich den prominenteren Namen, wie dem Regisseur Dietrich Brüggemann sowie den Schauspielern Jan Josef Liefers und Volker Bruch; wobei letzterer in der Öffentlichkeit bisher weniger auffällig in Erscheinung trat. Dabei ist die eigentlich interessante Figur im Hintergrund Paul Brandenburg. Auch er ist medial sehr umtriebig, saß zum Beispiel am 22. Dezember 2020 im Sat1-Frühstücksfernsehen und präsentierte dort, rhetorisch sehr geschickt, seine Thesen zur Gefährlichkeit des Virus. Überwiegend bewegt er sich allerdings in Kreisen, die eher unter dem Radar der Öffentlichkeit operieren.
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Die Initiative „1bis19“ wurde im Mai 2020 von Brandenburg, Utz Hennig, einem Oberstleutnant der Bundeswehr, der Anwältin Barbara von Gayling-Westphal sowie dem Literaturagenten Alexander Simon gegründet. Erklärtes Ziel der Gruppe ist es, die bürgerliche Mitte der Gesellschaft zu erreichen und zu vernetzen, um gegen die „Einschränkung der Grundrechte“ aufgrund der Corona-Eindämmungsmaßnahmen zu opponieren.
Barbara von Gayling-Westphal will mittlerweile nichts mehr mit der Initiative zu tun haben. Wie die Juristin in einer Mail schreibt, die den Tagesspiegel nach der Erstveröffentlichung dieses Textes erreichte, habe sie sich schon im Mai 2020 "aus guten Gründen" von Paul Brandenburg distanziert. Er habe den gemeinsam gewählten Namen ohne Absprache für seinen eigenen Verein weitergeführt. Auch Alexander Simon weist inzwischen alle Verbindungen zu "1bis19" zurück und erklärt in einem Schreiben an den Tagesspiegel, dass er die Initiative "wenige Monate nach deren Gründung" wieder verlassen habe.
Paul Brandenburg bezeichnet die Gruppe als „sehr bürgerlich, mit einer erstaunlich hohen Quote an Hochschulabsolventen“. Unter den Unterstützer:innen finden sich zahlreiche Kulturschaffende, Ärzte, Unternehmer, aber auch eine Staatsanwältin und ein ehemaliger Richter.
Brandenburg fällt durch zahlreiche Auftritte in sogenannten „alternativen Medien“ wie Oval Media, Kaiser TV und der Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand auf. Berührungsängste bestehen aber auch nicht zu russischen Medien, die staatliche Propaganda verbreiten. Im Februar war Brandenburg als Talkgast beim Sender SNA eingeladen, der zur selben Mediengruppe wie Russia Today und Sputnik gehört.
Im November 2020 war er unter anderem als Gast bei Oval Media, zum Thema „Die Verdrängung der Sterblichkeit“. Die Medienagentur ist federführend bei der Produktion der Live-Übertragungen der „Stiftung Corona Ausschuss“ um Dr. Wolfgang Wodarg, Rechtsanwalt Reiner Füllmich sowie der Rechtsanwältin und Hutmacherin Viviane Fischer.
Die drei treten inzwischen auch als Kandidat:innen zur Bundestagswahl für die aus dem “Querdenken”-Spektrum hervorgegangenen Partei „Die Basis“ an. Der “Corona Ausschuss” versteht sich als außerparlamentarischer Untersuchungsausschuss, der in zahlreichen mehrstündigen Live-Übertragungen die Pandemie bagatellisiert und die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung als übergriffig bezeichnet. In diesem Format wurden auch Spenden für eine internationale Sammelklage gegen die Aussagekraft des PCR-Tests akquiriert.
Er sucht die Ursache der Krise nicht beim Virus
Besonders deutlich äußerte sich Paul Brandenburg im März gegenüber der Publikation „Demokratischer Widerstand“ von Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp, den Mitinitiatoren der „Hygiene-Demonstrationen“ in Berlin: „Es scheint, als habe eine Verkettung aus Inkompetenz und kalter politischer Berechnung ohne objektive Not zu dieser Jahrhundertkatastrophe geführt.“ Brandenburg sucht die Ursache der aktuellen Krise nicht beim Sars-Cov2-Virus, sondern bei den politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.
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Populistische Meinungsäußerungen finden sich bei Brandenburg zuhauf: „Eine intellektuell nackte Regentschaft ist fest von ihrer eigenen Herrlichkeit überzeugt und lässt sich von loyalen Staatsmedien bejubeln. Die vermelden dem Volk täglich, welche Brillanz und Entschlossenheit das Handeln seiner Regenten auszeichnet.“ Oder auch: "Ich halte gerade unsere Regierungsverantwortlichen überfällig für einen Austausch." Und bekräftigt noch: "Es wird nicht ohne harte Auseinandersetzungen gehen."
Die Webseite der “Querdenken”-Initiative „Christen stehen auf“ zitiert Brandenburg damit, dass die Lage auf den Intensivstationen nicht bedrohlich sei. So begründet er seine Ablehnung der Lockdown-Maßnahmen.
Am 22. Februar empfing Brandenburg auf seinem YouTube-Kanal „zwanzig/eins“ Dietrich Brüggemann und den Theologen Thomas Dietz. Thema der Sendung: „Der stille Tod von Kunst und christlichem Leben – Herrscht im Kulturbetrieb und den Kirchen einhellige Überzeugung von solcher Notwendigkeit oder doch Konformitätsdruck?“ In der Sendung wird das Narrativ des „Arbeitsverbots von Künstlern“ und „mangelnder Beistand für Alte und Kranke“ bedient.
Nähe zu neurechten Positionen
Doch Brüggemann ist keineswegs nur Unterstützer von „1bis19“. Er und Brandenburg teilen sich auch ein Berliner Postfach. Auf seinem Blog “D-Trick” merkt der Regisseur diese Woche süffisant an, wie sehr er sich darüber freue, dass sich die “Investigativjournalisten” (O-Ton) auf dieses Fundstück gestürzt hätten. Er habe nichts zu verbergen.
Und fährt fort: „Ich unterstütze die Arbeit der von Paul Brandenburg mitgegründeten Initiative '1bis19', weil ich die Aussagen des Positionspapiers für richtig halte. Darüber habe ich Paul Brandenburg kennengelernt und halte ihn für einen integren Mediziner und Staatsbürger.” Bei diesen “Positionen” handelt es sich unter anderem um die Kritik, “die Medien” hätten in der Corona-Pandemie „ihre Aufgabe der unabhängigen Berichterstattung im Sinne einer vierten Säule der Demokratie nicht erfüllt”.
Diese Kritik kennt man inzwischen auch aus dem einen oder anderen Video der Aktion #allesdichtmachen. Die Nähe zu solchen neurechten Positionen, verpackt mit den Mitteln der Satire, war ein Grund, warum die Aktion am vergangenen Freitag zum Teil so heftige Reaktionen aus der Kultur- und Medienbranche auslöste.
Im Wissen um die Verbindungen Brüggemanns zu Brandenburg kommt auch die Frage der Autorenschaft von #allesdichtmachen wieder auf, das der Regisseur weiterhin als ein Gemeinschaftsprojekt der Beteiligten bezeichnet. In den Medien, unter anderem dem Tagesspiegel, wurde in den vergangenen Tagen vermutet, dass Brüggemann der Hauptautor der Videos sein könnte. Ein genauerer Blick auf die Texte lässt allerdings Zweifel an dieser Theorie aufkommen.
Das Ziel: Vertrauen in staatlichen Maßnahmen untergraben
Die Skripte von #allesdichtmachen bedienen zahlreiche Themen, die auch auf “Querdenken”-Bühnen und in „alternativen Medien“ wie Reitschuster.de sowie den auf Youtube inzwischen gesperrten Kanälen Ken FM und Rubikon vorzufinden sind. Die satirische Inszenierung der Corona-Maßnahmen findet sich etwa auch im Konzept der Aktion „Schwarze Wahrheiten“ wieder.
Bei diesen Performances tragen Aktivist:innen Schutzanzüge und verbreiten eine dystopische Stimmung, die den „totalen Lockdown“ und ein komplettes Social Distancing einfordert. Ziel ist es, durch Überspitzung das Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen zu untergraben. Auffällig ist, dass sich Brüggemanns Verlautbarungen in den sozialen Netzwerken erst in den letzten Wochen vor dem Launch von #allesdichtmachen in Sprache und Rhetorik dem aggressiven Tonfall in den “alternativen Medien” sukzessive angenähert haben.
[Lesen Sie hier, was Martenstein zu der Aktion sagt: Satire darf alles – außer Corona und Medien T+]
Brandenburg und Brüggemann verweisen darauf, dass Brandenburg selber mit der Aktion #allesdichtmachen nichts zu tun hat. Brüggemann: "Er wusste davon, genau wie viele andere, mit denen ich mich im Laufe des vergangenen Jahres vernetzt hatte. Mehr nicht."
Die Schäden, die die Kampagne in der Filmbranche angerichtet hat, lassen sich im Moment kaum abschätzen. Unter Filmschaffenden hat #allesdichtmachen Zwietracht gesät, was sich laut Schilderungen von Beteiligten sogar auf Dreharbeiten auswirkt. Mit seiner Befreiung vom Tragen einer Maske am Filmset von “Babylon Berlin” hat Volker Bruch unter Kolleg:innen für Irritationen und Protest gesorgt, das Hygienekonzept der Produktion musste aus rechtlichen und versicherungstechnischen Gründen an dessen ärztliche Sondergenehmigung angepasst werden, wie die Produktionsfirma X Filme Creative Pool bestätigt.
Welche Rolle hatte Moritz Bleibtreu?
In den vergangenen Tagen haben sich sechs Schauspieler:innen gegenüber dem Tagesspiegel zu Wort gemeldet, die entweder für ihre Mitarbeit an #allesdichtmachen angefragt wurden oder ihre Videos wieder zurückgezogen haben. Niemand möchte namentlich genannt werden, aber alle bestätigen, dass die Kampagne schon längere Zeit für Verwerfungen innerhalb der Filmbranche sorgt.
Doch traut sich niemand, öffentlich über die Entstehungsgeschichte zu reden, weil damit in einem Umfeld, in dem persönliche Beziehungen eine wichtige Rolle spielen, die eigene Karriere aufs Spiel gesetzt werden könnte. Auch #allesdichtmachen ist ein Produkt dieser Verflechtung privater und beruflicher Kontakte. Und einiges deutet darauf hin, dass größere Namen involviert sind, über deren Beteiligung bisher nur gemunkelt wird.
Der Mitinitiator Volker Bruch etwa genießt dank des Erfolgs von “Babylon Berlin” inzwischen internationales Ansehen und daher ein gewisses Standing. Inzwischen verdichten sich aber die Hinweise, dass auch Moritz Bleibtreu bereits zu einem frühen Zeitpunkt in die Aktion eingebunden war.
Bleibtreu, der gerade die Miniserie “Faking H.” über die Enthüllung der gefälschten Hitler-Tagebücher dreht, ließ über seine Presseagentin dem Tagesspiegel nur ein kurzes Statement über seine Rolle in #allesdichtmachen zukommen: “Ich wurde für die Aktion angefragt und stand eine Zeit lang mit mehreren Kollegen dazu im Dialog. Schlussendlich habe ich mich dazu entschlossen, die Aktion nicht zu unterstützen. Mich betrübt die aus der Aktion resultierende Stimmung sehr und ich würde mir ein friedlicheres Miteinander wünschen.“
Niemand in der Szene möchte Namen nennen
“Im Dialog stehen” ist eine unverfängliche Formulierung, sie kann vieles bedeuten. Dass Bleibtreu nach Informationen des Tagesspiegel mindestens sieben Kolleg:innen angesprochen haben soll, von denen einige auch teilnahmen, lässt seine Darstellung eines “Dialogs” in einem etwas anderen Licht erscheinen.
Die Kontaktaufnahme soll auf telefonischem Wege erfolgt sein, es liegt keine schriftliche Korrespondenz vor. Und niemand wagt, Bleibtreu als aktiven Rekrutierer von #allesdichtmachen zu bestätigen. “Der lässt dich dann eventuell aus dem nächsten Projekt kicken, wo er besetzt ist“, erzählt eine Quelle dem Tagesspiegel.
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Hinzu kommt, dass Bleibtreu einige Kolleg:innen vor den Kopf gestoßen haben soll, weil er kurz vor dem Start von #allesdichtmachen wieder aus der Kampagne ausgestiegen war (angeblich auf Druck eines verärgerten Werbepartners). Ohne allerdings die Personen, die er zuvor rekrutiert hatte, über diesen Schritt zu informieren.
Nach Informationen des Tagesspiegel reagierte eine Schauspielerin, die sich nur wegen seines persönlichen Engagements an #allesdichtmachen beteiligte, am Donnerstagabend geschockt, als sich Bleibtreu plötzlich nicht mehr unter den 52 Beteiligten befand. Dietrich Brüggemann bestätigt ein solches Versäumnis indirekt in seinem Blog “D-Trick”, erklärt es aber mit einem “organisatorischen Fehler”.
Das ist eine sehr euphemistische Umschreibung. Wie eine Schauspielerin, die mit dem Tagesspiegel in Kontakt steht, bestätigt, habe Bleibtreu Volker Bruch mit der Aufgabe betraut, die von ihm kontaktierten Personen in Kenntnis zu setzen. Dieser habe jedoch aus Sorge, es könnten daraufhin weitere prominente Beteiligte abspringen, niemanden über Bleibtreus Rückzug informiert.
Das falsche Spiel der Initiatoren
Das falsche Spiel der Initiatoren, vielleicht auch die mangelhafte Organisation, ist ein maßgeblicher Grund, warum in der Filmbranche derzeit der Ärger so groß ist. Auch die Agenturen der Beteiligten fühlen sich von ihren Klient:innen hinters Licht geführt, was sich schon daran erkennen lässt, dass sie auf Nachfrage ungewöhnlich offen ihre Kritik an #allesdichtmachen äußern – auch weil einige von ihnen Künstler:innen vertreten, die selbst Corona-Betroffene in der Familie oder im Freundeskreis haben.
In Gesprächen mit dem Tagesspiegel wird zwar immer wieder auf das bestehende Vertrauensverhältnis hingewiesen, aber auch deutlich gesagt, dass man eine mediale Aufklärung der Kampagne und ihrer Hintergründe befürwortet. Das ist umso bemerkenswerter, als dass langsam ein viel komplexeres Bild der Entstehungsgeschichte von #allesdichtmachen entsteht.
Die Verbindungen von Paul Brandenburg zum “Corona Ausschuss” sind auch im Zusammenhang mit der österreichischen Schauspielerin Nina Proll aufschlussreich, die ebenfalls an #allesdichtmachen beteiligt ist. Proll nahm Ende Januar als Gast an einer Sitzung des “Corona Ausschuss” teil, sie spricht dort von einem “totalitären System der Maßnahmen” und erklärt: “Der Schutz der Minderheiten kann ja nicht der Schaden der Mehrheit sein." (Beim Wort Schutz zeichnet sie einmal Anführungszeichen in die Luft)
Diese Variante Sozialdarwinismus ist unter Kritiker:innen der Corona-Maßnahmen weit verbreitet. Dass Nina Proll nun auch unter den Teilnehmenden von Brüggemanns Aktion auftaucht, verdankt sich eines Netzwerks, das weit über die Filmbranche hinausreicht.
Wie weit dieses Netzwerk inzwischen reicht, zeigt auch die Video-Aktion “Danke #allesdichtmachen”, zu der Brandenburg und Friedrich Pürner am 28. April aufriefen: eine Reaktion auf die Protestinitiative #allemalneschichtmachen aus den Reihen des deutschen Krankenhaus- und Pflegepersonals. Pürner ist ehemaliger Leiter des Gesundheitsamts Aichach, er wurde wegen seiner umstrittenen Ansichten zur Pandemie an das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit abgeordnet. Gegen diese Versetzung klagt er aktuell vor Gericht.
Vertrauen in den Berufsstand der Mediziner missbraucht
Der Aufruf zu “Danke #allesdichtmachen” richtete sich primär an Ärzt:innen, sie sollten sich in kurzen Videos von maximal 60 Sekunden solidarisch mit #allesdichtmachen erklären. Dabei entstanden bislang 26 Videobeiträge, die noch auf YouTube zu finden sind; auch Brandenburg und Pürner gehören zu den Teilnehmenden.
Auffällig sind auch hier zahlreiche Überschneidungen mit Mitgliedern der “Querdenken”-Initiative „Ärzte für Aufklärung“ – wie Thomas Külken, Imke Querengässer, Angela Müller. Diese Initiative nutzt das allgemeine Vertrauen in den Berufsstand, um Falschinformationen über die Corona-Pandemie zu lancieren. So wurden in der Vergangenheit Flugblätter verteilt, die das Infektionsgeschehen bagatellisieren, vor einer angeblich bevorstehenden Impfpflicht warnen und die Wirksamkeit des Mund-Nasenschutzes in Zweifel ziehen.
Desweiteren stand Brandenburg auch im Mittelpunkt eines von über 100 Ermittlungsverfahren des Landeskriminalamts Berlin gegen eine Gruppe von Ärzten – wegen der Ausstellung falscher Gesundheitszeugnisse. Dies hatte Brandenburg im Talk mit Gunnar Kaiser nonchalant bestätigt. Der Berliner Polizei liegen bereits seit September 2020 Hunderte von Anzeigen gegen Menschen vor, die mit Hilfe falscher Atteste von Ärzten aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht befreit wurden (“aus medizinischen Gründen unzumutbar" ist eine gängige Alibi-Formulierung).
Listen dieser Ärzte, die mit im Internet kostenlos herunterladbaren Blanko-Bescheinigungen arbeiten, kursieren schon lange im Lager der Corona-Leugner und Teilnehmenden von “Hygiene-Demos”. Ob Brandenburg auch das Attest für Volker Bruch ausstellte, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt. Sicher ist hingegen, dass Paul Brandenburg aktuell bei zwei Corona-Teststellen (in der Sonnenallee 61 und der Husemannstr. 17), die vom Berliner Senat gefördert werden, als Geschäftsführer gelistet ist. Somit wird immer klarer, dass #allesdichtmachen nicht bloß die spontane Äußerung einer Gruppe von ernstlich besorgten Filmschaffenden ist, als die sie Dietrich Brüggemann in den Medien darstellt. Sondern Teil einer größeren Kampagne, die eine politische Agenda verfolgt.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es: „In der Sendung spricht Paul Brandenburg von einer „Art Kulturkampf des Rechtes auf physisches Leben gegen Menschenwürde und Lebensqualität“. Er sieht keinerlei rationalen Grund für die Corona-Maßnahmen, sie seien „medizinischer und juristischer Unsinn“.
Wir haben die entsprechende Passage wie folgt korrigiert: In der Sendung spricht Paul Brandenburg von einer „Art Kulturkampf des Rechtes auf physisches Leben gegen Menschenwürde und Lebensqualität“ und, dass die Freiheitsrechte „absolut zurücktreten“ würden gegen die „maximale Lebensverlängerung“. Das sei medizinischer und wohl auch juristischer Unsinn. Später führt er aus: „Das, was wir gerade als gesammelte Corona-Maßnahmen in Deutschland erleben, ob Shutdown, wie man es technisch korrekt sagen müsste, oder Maskenpflicht, ist im ganz überwiegendem Maße Unsinn."
Außerdem hieß es in einer früheren Version: "Haben womöglich Ideologen aus dem Dunstkreis von Brandenburgs Netzwerken sogar an den Skripten von #allesdichtmachen mitgeschrieben? Das könnte auch erklären, warum in dem Aufruf an die Filmschaffenden zum Beispiel die staatliche Pandemiepolitik als "Propaganda" bezeichnet wird." Wir haben die Passage gelöscht und wie folgt ersetzt: Brandenburg und Brüggemann verweisen darauf, dass Brandenburg selber mit der Aktion #allesdichtmachen nichts zu tun hat. Brüggemann: "Er wusste davon, genau wie viele andere, mit denen ich mich im Laufe des vergangenen Jahres vernetzt hatte. Mehr nicht."
Und die Passage: "Bei näherer Betrachtung ergeben sich immer mehr solcher Rückschlüsse in dem Komplex #allesdichtmachen-Brandenburg." wurde gelöscht.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Recherchenetzwerk Antischwurbler, einem zivilgesellschaftlichen Rechercheteam, das sich schwerpunktmäßig mit antidemokratischen Strömungen und der Neuen Rechten befasst.