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Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Ulrich Tukur und andere an der Protestaktion #allesdichtmachen beteiligte Schauspieler:innen
© dpa

Youtube-Aktion #allesdichtmachen: Der Witz und sein mordsmächtiger Gegner

Was kann Satire, worauf zielt sie? Vor allem darf sie nicht wehleidig sein. Über die Schwierigkeit guter Corona-Witze und die Protestaktion #allesdichtmachen.

Was kann, was darf Satire? Ob Hitler-Komödien, Erdogan- Schmähung, Mohammed-Karikaturen oder ein blöder Witz von Annegret Kramp-Karrenbauer über Toiletten für das dritte Geschlecht, die Aufregung ist jedes Mal groß. Und jedes Mal wird sortiert, zwischen Chefwitzen, Opferwitzen, Kinderwitzen undsoweiter.

Der Witz kratzt immer an Autoritäten, ist eine Waffe der Ohnmächtigen gegen die Mächtigen, manchmal auch gegen die Autorität der Moral und der Correctness. Er folgt der Dramaturgie der Entwaffnung im Märchen von „Des Kaisers neue Kleider“.

Der Kabarettist Florian Schroeder hatte diese Entlarvungsspiel letzten Sommer auf einer Querdenker-Kundgebung gespielt. Vor einem sich mächtig einigen Alu-Hüte-Publikum hatte er die Minderheitenposition der Vernunft behauptet und für Verunsicherung beim querdenkenden Publikum gesorgt, indem er ihm den Spiegel vorhielt.
Auch wenn das Kaiser-Märchen in einem der #allesdichtmachen-Videos erwähnt wird: Die meisten Beiträge der Schauspieler:innen gegen vermeintlich überzogene Corona-Maßnahmen entlarven vor allem sich selbst, sie kehren sich gegen die eigene Absicht.

Schauspieler sind Darstellungsprofis, als Autor:innen sind sie meist Laien. Bei der Satire als zugespitztem Witz, bei Ironie und Sarkasmus gehört die Wortwahl zu den schwersten Kunststücken. Wenn die Pointe nicht sitzt, wird sie zum Flachgag oder zum Eigentor. Wen bitte ironisiert Richy Müller mit seiner „Zwei-Tüten-Atmung“: die Aerosolforscher, die unbequeme Tatsache, dass Innenräume gefährlicher sind als Open-Air, die eigenen Ängste?

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Gerade die Ängste machen es kompliziert: Während Jan Josef Liefers sich in Gestalt seines Rollen-Ichs über den Alarmismus der Medien mokiert, schlägt er diesseits der Rollenprosa auf Twitter eine andere Tonart an, ist „bei all denen, die zwischen die Fronten geraten sind", den Verängstigten, Verunsicherten, Verstummten, Hin- und Hergerissenen. Und denen, die häusliche Gewalt erleiden. Als Liefers bei der "3 nach 9"-Talkshow am Freitagabend zugeschaltet wurde, wirkte er selbst verunsichert und mitgenommen ob der vielfachen Kritik an der Videoaktion.
Verunsicherung ist eine schlechte Basis für Witze. Die eigene Angst, die eigene Unzulänglichkeit zu ironisieren, dürfte die allerhöchste Kunst sein. Gute Witze trotzen dem Tod und dem Terror, sie sind vor allem nicht wehleidig – wenn man es denn kann mit dem Witz.

Was haben Corona und die DDR gemeinsam? Es ist nichts los auf den Straßen, und es gibt wenig zu kaufen. Gelungen oder blöd? Gibt es gute Corona-Witze?

Ironie und Protest gehören zum Kern der Demokratie. Aber so?

Wir brauchen Kritik, Streit, Satire, gerade jetzt. Humor in eigener Sache gehört zum Kern der Demokratie. Und wir brauchen Kulturschaffende, die dagegen protestieren, dass die Politik sie in der Krise marginalisiert. Nach 13 Monaten Corona trifft sich Kanzlerin Merkel nächste Woche erstmals mit Künstlerinnen und Künstlern, verdammt spät.
Ich trau mich was: Die Geste paart sich bei #allesdichtmachen mit Selbstgefälligkeit. Sind „Tatort“-Stars ohnmächtig? Und gegen welche Macht polemisieren sie? Die öffentliche Raum ist voll von Kontroversen zur Corona-Politik, täglich wird gerungen, debattiert, geschimpft. Der mordsmächtige Gegner, mit dem die Welt und jeder Einzelne gerade zu kämpfen hat, ob Kanzlerin, Schauspielerin oder Krankenpfleger, heißt Covid-19.

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