Corona-Verharmloser in Berliner Bar: Parteigründung via Livestream – Polizei löst auch zweites Treffen auf
An zwei Abenden in Folge versuchten Corona-Verharmloser in einer Berliner Bar eine Partei zu gründen. Mit dabei: die bekannte Hutmacherin Rike Feurstein.
Die Treffen waren skurril, beide Versuche scheiterten kläglich. In einer Bar im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg trafen sich am Donnerstagabend 28 Corona-Verharmloser:innen, um eine Partei zu gründen. Auch am Freitag kamen sie wieder zusammen, doch da war das Schauspiel noch schneller beendet.
Die Veranstaltung am Donnerstag wurde im Livestream bei Youtube übertragen. Selbst als die Berliner Polizei anrückte und die Veranstaltung auflösen wollte, lief die Kamera weiter. Die Polizei war gegen 20.10 Uhr von anonymen Hinweisgebern auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht worden, hieß es in einer Mitteilung von Freitag.
Die Teilnehmenden trugen größtenteils keine Masken, die Abstandsregeln wurden nicht eingehalten. Nach knapp zwei Stunden betraten Einsatzkräfte der Polizei den Kneipenraum und beendeten die Versammlung. Daraufhin kam es erst zu Diskussionen mit den Polizeibeamt:innen, die auch im Livestream zu sehen waren.
Bei der Bar handelt es sich um das Scotch & Sofa in der Kollwitzstraße. Die Polizei stellte neun Frauen und 19 Männer zwischen 32 und 69 Jahren fest. Gegen sie wurden Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen die Infektionsschutzverordnung, gegen das Versammlungsgesetz und wegen versuchter Körperverletzung eingeleitet.
Anwesend waren auch ein szenebekannter Ufo-Forscher und die prominente Berliner Hutmacherin Rike Feurstein, die allerdings im Kosmos der Coronaleugner:innen als Rechtsanwältin Viviane Fischer auftritt.
Nachdem das Video beendet wurde, wurde nach Tagesspiegel-Informationen eine Journalistin angegriffen, die über das Treffen und die Räumung berichtete. Eine Teilnehmerin der Veranstaltung schlug ihr auf die Kamera, die Täterin wurde anschließend festgenommen. Zur Verstärkung rückte eine weitere Hundertschaft der Polizei an.
Ein Teilnehmer erklärte gegenüber dem Tagesspiegel: „Das hier ist das Experiment gewesen, wie weit man mit der Demokratie gehen kann.“
Als "Coach" führte Rike Feurstein, die bekannte Berliner Hutmacherin, durch den Abend im Scotch & Sofa. Feurstein hatte 2015 eine Show bei der Fashion-Week, ist Gewinnerin eines Design-Awards. Nach eigener Aussage besitzt Victoria Beckham einen ihrer Hüte. Im März 2020 wurde sie in den Vorstand des „Vereins Berliner Modedesigner“ gewählt. Als Viviane Fischer macht Rike Feurstein aus ihren Überzeugungen keinen Hehl: Die Gefährlichkeit des Coronavirus sei „der einer Grippe sehr, sehr ähnlich“, die Politik baue wegen eines „höchstwahrscheinlich gar nicht bestehenden Notstandes” die Demokratie ab. Masken schützten nicht.
Außerdem warnt Rike Feurstein alias Viviane Fischer ausdrücklich vorm Impfen gegen Corona: „Die Leute sollten davon Abstand nehmen.” Sie müssten „aufgeklärt werden, dass sie sich da wahrscheinlich irgendein Teufelszeug spritzen lassen müssen.“ Am Donnerstagabend ermunterte sie einen Redner, seine Maske abzusetzen. Auf Anfrage des Tagesspiegels erklärt sie, Feurstein sei ihr Geburtsname. Sie ist Mitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin.
Der Bar-Betreiber hatte alle eingeladen
Geladen zu dem Treffen am Donnerstag hatte Sören P., der Betreiber des Scotch & Sofa. Er sagte, sein Wunsch sei, endlich wieder seine Bar zu öffnen. Die BRD sei ein Selbstbedienungsladen, die Presse ein "Organ der Regierung". P. würde "alle Parteien verbieten" zur Zeit. Die Parteigründung sollte unter dem Motto „Team Freiheit” erfolgen. Das Vorhaben sei auch vom sogenannten „Corona-Ausschuss” inspiriert, der von Rike Feurstein und drei anderen Rechtsanwält:innen zur „Beweisaufnahme zur Corona-Krise” gegründet wurde.
Zu den stundenlangen Sitzungen ihres Ausschusses laden Feurstein alias Fischer und ihre Mitstreiter jeweils „unabhängige Experten“ ein. Zu diesen unabhängigen Experten gehören etwa: der Publizist Hermann Ploppa, der auf der Bühne der Berliner Querdenken-Demo vor geheimen Eliten warnte, die „genetisch“ niedriger stünden. Oder der Ex-Fußballer Thomas Berthold, der glaubt, dass „wir in einer großen Manipulation leben”. Oder der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz, der Angela Merkels Kritik an Pegida als „Hetze von oben“ empfand und sagte, man dürfe „Pegida oder auch die große Zahl der AfD-Wähler auf keinen Fall als Rechtsextreme einordnen“.
Das seriöse Auftreten als Rechtsanwältin Viviane Fischer kommt an. Es hilft ihr, als Gesprächspartner auf Augenhöhe akzeptiert zu werden. „Die Zeit“ lud Feurstein - unter dem Namen Viviane Fischer - im September gar zu einem Streitgespräch mit Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) ein. Dort durfte sie von der Redaktion unwidersprochen verkünden, bei der Querdenken-Versammlung im Tiergarten hätten ihrer Schätzung nach „eine halbe Million Menschen” teilgenommen.
Später tadelte sie, der Innensenator sei scheinbar „irgendwie gar nicht besonders tief drin in der Corona-Problematik oder der Maßnahmenproblematik“ gewesen.
Skurril: Auch als Hutmacherin hat sich Rike Feurstein bereits zu Corona geäußert. In einem Offenen Brief mit anderen Modedesignern zweifelt sie aber nicht etwa die Gefährlichkeit des Virus an, sondern fordert die Politik zu langfristigen finanziellen Hilfen für ihre Branche auf, die deutlich über die bereits gewährten Corona-Soforthilfen hinausgingen. Denn es sei „gänzlich ungewiss, wann die Kauffreude für Mode in der Gesellschaft wieder anspringt und wann die Touristen zurückkommen.“
Mit dabei ist auch ein Ufo-Forscher
Bei dem Treffen zur Parteigründung war auch der Ufo-Forscher und Verschwörungsideologe Robert Fleischer anwesend. Er betreibt einen Youtube-Kanal, in dem Sendungen wie „Geheime Ufo-Forschung im Pentagon” oder „Gibt es einen geheimen Vertrag mit Aliens?” laufen. Dort hatte er auch schon Rike Feurstein alias Viviane Fischer zu Gast.
Auch bei Demonstrationen, die Rike Feurstein besucht, bemerkt sie keine problematischen Personen. Bei der großen Querdenken-Versammlung im Tiergarten habe sie keine Rechtsextremen und Antisemiten gesehen, behauptet sie. Und den Aufmarsch am 18. November vorm Brandenburger Tor, bei dem in Wahrheit etliche Reichsbürger und militante Neo-Nazis mitprotestierten, beschreibt Feurstein als friedliebende Menge: „Da waren null komische Vögel dabei“, es sei auch niemand aggressiv gewesen.
Was die Rechtsanwältin Fischer beziehungsweise die Hutmacherin Feurstein persönlich antreibt, hat sie ebenfalls verraten: Es komme auf das eigene Gefühl für Gerechtigkeit an, auch für „Richtigkeit“ und „Wahrheit“. Ihr Großonkel sei NS-Widerständler gewesen, habe sich gegen Euthanasie der Nazis ausgesprochen, sei 1942 von der Gestapo abgeholt worden und in Dachau zu Tode gekommen. Deshalb könne sie selbst heute keine Ungerechtigkeiten zulassen.
Feurstein hofft auf einen Untersuchungsausschuss
Mittlerweile hat der "Corona-Ausschuss" einen Zwischenbericht veröffentlicht. Er kommt überraschend zu der Erkenntnis, dass Fischers beziehungsweise Feursteins Einschätzung der Lage korrekt ist. Das von Corona ausgehende Risiko werde stark überschätzt. Feurstein hofft, dass die Tätigkeit des Ausschusses ernst genommen wird, vielleicht könne man diese irgendwann „in einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss umleiten“.
Rike Feurstein sagte im Anschluss an das Treffen vom Donnerstagabend, es sei eine urdemokratische Aktion, nämlich die Gründung einer Partei, gestört worden. Die Satzung sei gerade in Verhandlung gewesen. Etwa sei diskutiert worden, ob man den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk "in der Form braucht", da er "ja offenbar nicht in der Lage ist, seine Aufgabe zu erfüllen".
Am Freitag kommen sie nur bis vor die Bar
Wie angekündigt, kam es auch am Freitagabend zu einer Menschenansammlung vor dem Scotch & Sofa. Nach Polizeiangaben fanden sich nach 18 Uhr zwischenzeitlich bis zu 30 Personen vor der Lokalität in der Kollwitzstraße ein. Dabei seien Hygieneregeln missachtet worden.
Erneut befanden sich Protagonisten der Berliner "Corona-Protest-Szene" wie die Hutmacherin Rike Feurstein unter den Teilnehmenden. Diese erklärte vor Ort, dass man die "Parteigründung" am Freitagabend eigentlich fortführen wollte, jedoch abermals von Beamten wegen eines "fehlenden Hygienekonzeptes" gestoppt wurde. Die Teilnehmenden wurden daraufhin von Einsatzkräften nach Hause geschickt. Gegen 20 Uhr war die Lage in der Kollwitzstraße nach Tagesspiegel-Informationen wieder ruhig.
Scotch & Sofa: Mietvertrag gekündigt, Drohungen - und Bußgeld?
Für Sören P., den Betreiber des Scotch & Sofa, hat das Treffen von Donnerstagabend unmittelbare Konsequenzen. Wie er am Freitag erklärte, habe sich sein Vermieter gemeldet und ihm den Mietvertrag gekündigt. Zudem geht er davon aus, dass er ein Bußgeld von 25.000 Euro für das Öffnen der Bar erhalten wird. Weiterhin sagte P., er bekomme seit Donnerstagnacht laufend anonyme Drohanrufe. Sein ganzes Leben sei durch die drei Stunden Baröffnung umgekrempelt worden.
Der „Verein Berliner Modedesigner“, in dessen Vorstand Rike Feurstein im März 2020 gewählt wurde, hat inzwischen erklärt, dass sich Feurstein aus der aktiven Vereinsarbeit zurückgezogen habe. Die verbliebenen beiden Vorstandsmitglieder distanzieren sich „stellvertretend für den Verein in aller Form“ von Feursteins „Äußerungen und Aktivitäten“ im Rahmen des Corona-Ausschusses. Im Laufe des Freitags wurde ihr Name aus dem Impressum der Vereinsseite gelöscht. (mit dpa)