Neuer Tagesspiegel Comic-Strip: Die fabelhafte Welt der Olivia Vieweg
Olivia Vieweg ist eine der interessantesten Comiczeichnerinnen im deutschsprachigen Raum. Ab diesem Sonntag zeichnet sie einen regelmäßigen Strip im Tagesspiegel.
Olivia Vieweg überschreitet die Grenzen der Genres und Stilmittel mit scheinbarer Mühelosigkeit. Die Weimarer Zeichnerin hat Dutzende Manga-Geschichten für Anthologien wie „Paper Theatre“ gezeichnet. Sie hat die Texte der deutschen Folk-Metal-Rockband Subway to Sally in Bildgeschichten umgesetzt und eine erfolgreiche Katzen-Cartoon-Serie („Warum Katzen besser sind als Männer“) gestartet. Ihr Geld verdient sie auch als Illustratorin für Jugendbücher wie „Vampirinternat Schloss Schauerfels“ und für Werbe-Aufträge. In jüngster Zeit hat die 1987 geborene Zeichnerin sich aber vor allem als vielversprechende Graphic-Novel-Autorin einen Namen gemacht.
Im Team mit Flix, Mawil und Tim Dinter
Ab diesem Sonntag kommt noch ein weiteres Betätigungsfeld hinzu: Olivia Vieweg wird alle vier Wochen im Wechsel mit den Tagesspiegel-Zeichnern Tim Dinter, Flix und Mawil einen Strip für die Rückseite der Sonntagsbeilage zeichnen. Darin wird die Autorin, die dieses Jahr bei der renommierten Drehbuchwerkstatt in München angenommen wurde, persönliche Geschichten von Filmen erzählen, die ihr viel bedeuten. Der Strip des Hamburger Zeichners Arne Bellstorf, der bislang der vierte in der Runde war, endete kürzlich.
Während andere Zeichner oft dem einmal entwickelten Stil treu bleiben, sucht die in Jena aufgewachsene Künstlerin stets nach neuen Ausdrucksformen und kombiniert dabei gerne vermeintliche Gegensätze. So besticht ihre 2012 beim Verlag Schwarzer Turm veröffentlichte Graphic Novel „Endzeit“ durch die Verbindung von niedlich anmutender Manga-Ästhetik mit einer gruseligen Zombie-Horror-Geschichte.
Ihre beim renommierten Suhrkamp Verlag veröffentlichte Mark-Twain-Adaption „Huck Finn“ verpflanzt die Grundhandlung des US-amerikanischen Literaturklassikers nach Ostdeutschland und weist zeichnerisch Bezüge unter anderem zu japanischen Anime-Trickfilmen auf. Und in ihrem jüngsten längeren Buch „Antoinette kehrt zurück“ verarbeitet sie das Thema Mobbing unter Jugendlichen auf so überraschende wie schockierende Weise.
Bunte Mischung aus Stilen und Genres
Die Mischung aus Stilen und Genres, die Olivia Viewegs Werk auszeichnet, ist zum Teil das Ergebnis der unterschiedlichen Einflüsse, aus denen sie seit Kindertagen ihre Inspiration bezieht. So hat sie anfangs vor allem europäische Comics wie „Tim und Struppi“ oder Disney-Comics wie die „Lustigen Taschenbücher“ gelesen, als Teenager begann sie dann vor allem Mangas zu konsumieren und zunehmend selbst zu zeichnen.
Heute, als Mittzwanzigerin, liest sie Mangas und Comics westlicher Herkunft gleichermaßen. „Das meiste, was ich gelernt habe, habe ich beim Manga gelernt“, sagt sie rückblickend.
Das zeigt sich vor allem im Erzähltempo und der Figurengebung. So bricht Olivia Vieweg oftmals Szenen in viele einzelne Panels herunter, was eine spezielle Dynamik erzeugt und zugleich die Erzählzeit langsamer verstreichen lässt. Und ihre Figuren weisen auch in ihren aktuellen Veröffentlichungen wie „Huck Finn“ dank der großen Augen und der cartoonhaften Reduktion deutlich auf die genannten Vorbilder hin.
Als weiteren wichtigen Einfluss nennt Olivia Vieweg ihr Studium der Visuellen Kommunikation an der Bauhaus-Universität Weimar. Vorher sei ihr Lebensziel gewesen, Mangazeichnerin zu werden, sagt sie. An der Universität lernte sie ein größeres Spektrum an Ausdrucksformen und Techniken kennen, dadurch änderte sich auch ihr eigener Stil, sie begann skizzenhafter und freier zu zeichnen.
Vorübergehend hatte sie während ihrer Studienzeit vor, Kinderbuchillustratorin zu werden. Aber dann führte die Graphic Novel „Endzeit“, ihr von den Kritikern sehr positiv aufgenommenes Abschlussprojekt der Bauhaus-Universität Weimar, zu dem lukrativen Auftrag, für den Suhrkamp Verlag ein Buch ihrer Wahl zu adaptieren.
Ein Road-Movie als Graphic Novel
Aus dem Programm des renommierten Verlages wählte sie Mark Twains „Abenteuer von Hucklebery Finn“ – wegen des Road-Movie-Charakters der Handlung, aber auch weil ihr die Geschichte angenehm vertraut war. Allerdings nicht durch die Lektüre des Originals, das sie zuvor nie gelesen hatte – sondern aus den japanischen Anime-Reihen, die den Roman in den 1970er- bis 90er-Jahren als Trickfilmserie adaptierten. Viewegs Adaption zeichnet sich dadurch aus, dass sie wesentliche Handlungselemente des Originals übernimmt, diese aber durch ihre Verortung in Halle an der Saale und durch eine Anpassung der Figuren an das deutsche Umfeld der Gegenwart zu einer ganz eigenständig wirkenden Erzählung macht. Die visuelle Anmutung wirkt jugendlich-leicht, aber die angesprochenen Themen wie Selbstfindung, Ausbeutung, Gewalt und die Suche nach einem menschenwürdigen Leben unter widrigen Umständen sprechen auch erwachsene Leser an.
Ihre jüngste Graphic Novel, „Antoinette kehrt zurück“ handelt von einer jungen Frau, die in den USA lebt, aber auf unerwartete Weise mit ihrer deutschen Vergangenheit konfrontiert wird. Mit dem Exposé dafür gewann sie vor zwei Jahren das Egmont-Comic-Stipendium. In Anspielung auf ein Dürrenmatt-Zitat führt sie vor, wie eine junge Frau erst durch die Hölle geht und dann für andere zur Hölle wird, um sich selbst von der Last der Vergangenheit zu befreien. Das ist packend erzählt und voller Überraschungen, die diesen Gewinner des Egmont-Comic-Stipendiums (dessen Jury der Autor dieses Artikels angehörte) zu einem beeindruckenden Leseerlebnis machen. Vor allem weil Viewegs Bilder freundlich anmuten und doch eine sehr böse Geschichte erzählen.
Mehr von und über Olivia Vieweg gibt es auf ihrer Website zu lesen. Dieser Artikel ist die überarbeitete und aktualisierte Fassung eines Olivia-Vieweg-Porträts aus dem Jahr 2013.
Lars von Törne
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