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Jakob Augstein, 51, ist Verleger und Chefredakteur der Wochenzeitung „Freitag“.
© pa/dpa

Jakob Augstein im Interview: „Die demokratische Gesellschaft muss sich mit der AfD befassen“

Darf man mit Rechten reden? Jakob Augstein findet: man muss - vorausgesetzt das Setting stimmt.

Mit Jakob Augstein sprach die Tagesspiegel-Kolumnistin Liane Bednarz im Anschluss an ein Streitgespräch zwischen Augstein und dem Autor Karlheinz Weißmann, einem der Vordenker der Neuen Rechten, auf Schloss Ettersburg bei Weimar.

Herr Augstein, Sie sind der erste prominente Publizist, der es vor ein paar Wochen gewagt hat, öffentlich mit Karlheinz Weißmann und folglich mit einem der zentralen rechten Vordenker zu diskutieren. Nach dem Mord an Walter Lübcke, den verrohten Reaktionen von Pegida-Anhängern, gegen die nun die Staatsanwaltschaft ermittelt, und der Kritik an Frank Plasbergs „Hart aber fair“-Sendung zum Thema: Warum reden Sie mit Rechten?

Der Dramatik, mit der Sie Ihre Frage formulieren, kann ich nicht ganz folgen. Ich bin Journalist, es ist mein Beruf, mit allen möglichen Leuten zu sprechen. Ich muss mit Rechten reden, wenn ich verstehen möchte, warum sie bei einem Teil der Wähler so gut ankommen. Die AfD ist noch keine Volkspartei – aber sie könnte es werden.

Die sogenannten Linken und die sogenannten Linksliberalen sind im Angesicht der rechten Revolution, die wir erleben, sehr stark darin, Haltung zu demonstrieren. Aber es fehlt ihnen ganz offensichtlich an einer Strategie, wie man dieser Revolution Herr werden kann. Wer heute sagt, dass er nicht mit Rechten reden will, den muss man fragen, ob er sich vor fünf oder vor zehn Jahren darum bemüht hat, den Rechtsruck, den wir derzeit erleben, zu verhindern.

Nach der Plasberg-Sendung hieß es, der Moderator habe dem AfDler Uwe Junge zu viel Sendezeit eingeräumt und ihm die Gelegenheit gegeben, Rechtsextremismus zu verharmlosen. Hat diese Entwicklung Ihre Meinung verändert?
Ich habe diese Sendung nicht gesehen. Ich glaube aber, solche Formate sind für die Auseinandersetzung mit den Rechten grundsätzlich der falsche Platz.

Sie sagen, dass man als Linker in der Diskussion mit Rechten auch den eigenen Standpunkt schärfen und die liberale Demokratie verteidigen könne. Was meinen Sie damit?
Wenn eine Partei bei den Wahlen 20 und mehr Prozent bekommt, hat die demokratische Gesellschaft gar keine andere Option als sich mit den Inhalten und Argumenten dieser Partei und ihrer Sympathisanten auseinanderzusetzen. Dafür braucht es allerdings den richtigen Rahmen. Jenseits der Schaukämpfe der Talkshows benötigt es das echte Gespräch, die echte Debatte. Eine solche Debatte wollte ich kürzlich mit Karlheinz Weißmann führen. Er ist dafür ein guter Kandidat.

Wir sprechen dauernd über die so genannte Neue Rechte und übersehen dabei vollkommen, dass Leute wie Karlheinz Weißmann schon immer rechts waren. Die waren ja nicht verschwunden und sind dann plötzlich wieder aufgetaucht. Weißmann steht in einer ganz alten deutschen Geistestradition: Das ist ein norddeutscher, deutschnationaler Protestantismus, der Sehnsucht nach Bismarcks Preußen hat.

Wie beurteilen Sie nach der Europawahl das rechte Denken und dessen Rekurs auf die Nation?
Die europäischen Rechten sind untereinander extrem gut vernetzt und arbeiten eng zusammen. Aber nur, solange sich ihre Arbeit gegen „Brüssel“ richtet. Wenn man sie hingegen nach einem konstruktiven Projekt für Europa fragt, wird klar, dass sie keines haben.

Und über das gerade für die Rechten so zentrale Thema Asylpolitik zerstreiten sie sich komplett, weil Ost- und Südeuropäer hier naturgemäß unterschiedliche Interessen haben – die Südeuropäer wollen eine faire Verteilung der Migranten und die Osteuropäer wollen gar keine. Das passt nicht zusammen.

Aus Ihrer Sicht geht die Haltung der Rechten außerdem an den wirtschaftlichen Realitäten vorbei.
Ich habe in der Diskussion mit Karlheinz Weißmann darauf hingewiesen, dass die deutsche Wirtschaft Zuwanderung braucht und Verlautbarungen entsprechender Wirtschaftsverbände erwähnt, die von einem jährlichen Bedarf an Migranten sprechen. Dieser liegt irgendwo zwischen 200 000 und 400 000 Zuwanderern pro Jahr. Das ist sehr viel.

Dabei geht es allerdings nicht um Asylbewerber, sondern um Arbeitskräfte, die sich die Unternehmen selbst aussuchen. Ich wüsste gerne, ob die AfD-Wähler bereit wären, für den Verzicht auf Migration auch Einbußen in der deutschen Wirtschaftskraft in Kauf zu nehmen. Weißmann hat gesagt, er hoffe, dass durch Künstliche Intelligenz viele Arbeitskräfte ersetzt werden könnten.

Weißmann will die AfD inhaltlich weg vom rechten Rand in die Mitte führen. Ist das ausgerechnet jetzt glaubhaft?
Was ist der rechte Rand? Reaktionäre Konservative wie Weißmann teilen eine grundsätzliche Überzeugung der Aufklärung nicht: dass alle Menschen frei und gleich geboren sind und gleiche Rechte haben. Diese Haltung ist ihrem Wesen nach extrem, sie lässt sich nicht in die politische Mitte überführen, man kann nur das politische System nach rechts führen. Ich glaube, das ist das Ziel der AfD.

AfD-Vize Georg Pazderski hat gerade erst vom rechtsnationalen „Flügel“ seiner Partei eine Abgrenzung nach rechts gefordert. Gibt es für Sie im Diskurs mit Rechten rote Linien wie etwa ein Streitgespräch mit dem Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke?
Das kommt auf das Setting an. Wenn es ein Setting ist, in dem ich meine Fragen nicht so stellen kann, wie ich sie stellen möchte, wäre ich nicht zu einer Diskussion bereit.

Wann wäre das der Fall?
Ich will mit Rechten reden, aber ihnen nicht auf den Leim gehen. Natürlich muss man damit rechnen, instrumentalisiert zu werden. Das ist auch in Ordnung. Man sollte nicht naiv sein, aber selber auch nicht heucheln: Niemand geht tatsächlich ergebnisoffen in ein solches Gespräch, niemand ist in einer solchen Gesprächsumgebung bereit, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen. Es geht darum, die eigenen Argumente und die des Gegenübers zu prüfen. Das ist schon viel.

Liane Bednarz

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