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Das Auge liest mit. Zum fünften Mal kürt der Tagesspiegel die besten Comics des Jahres.
© Illustration: Kachaev Valeriy / Studiostoks / Fotolia

Comic-Bestenliste: Die besten Comics 2016 – Barbara Buchholz' Favoriten

Welches sind die besten Comics des zu Ende gehenden Jahres? Das wollen wir von unseren Lesern und von einer Fachjury wissen. Heute: Die Top-5-Titel von Kulturjournalistin Barbara Buchholz.

Auch in diesem Jahr fragen wir unsere Leserinnen und Leser wieder, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren. Parallel dazu war wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt worden. Der gehören in diesem Jahr an:
Barbara Buchholz, Kulturjournalistin (www.bbuchholz.de)
Gesine Claus, Comic-Fachhändlerin (Strips & Stories, Hamburg)
Andrea Heinze, Kulturjournalistin (kulturradio vom rbb, BR, SWR Deutschlandfunk, MDR)
Lars von Törne, Tagesspiegel-Redakteur (www.tagesspiegel.de/comics)
Micha Wießler, Comic-Fachhändler (Modern Graphics, Berlin)
Frank Wochatz, Comic-Fachhändler (Comics & Graphics, Berlin)

Die Mitglieder der Jury küren derzeit ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres, die in den bis dahin vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Diese Favoritenlisten veröffentlichen wir sukzessive in den kommenden Tagen auf den Tagesspiegel-Comicseiten. Jeder individuelle Favorit wird von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt. Daraus ergibt sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten landeten. Diese Shortlist wird abschließend von allen neun Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet - daraus ergibt sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die am 24. November bekannt gegeben wird.

Barbara Buchholz.
Barbara Buchholz.
© privat

Hier dokumentieren wir die Favoriten von Kulturjournalistin Barbara Buchholz (www.bbuchholz.de)

Platz 5:
David Prudhomme & Pascal Rabaté: Rein in die Fluten (Reprodukt)
Dieser Comic schwamm auf der Sommerferienwelle, was ja thematisch wie die Faust aufs Auge passt: Prudhomme & Rabaté erzählen in hellen Farben, lockerem Strich, großen und regelmäßig angeordneten Panels von einem Tag am Strand in einem fiktiven französischen Badeort. Dabei verfolgt man das Treiben der unterschiedlichen Gestalten, bei dem die Autoren ungeniert draufhalten. Was es da zu sehen gibt, ist eigentlich banal, interessant ist, wie es gezeigt wird: Ich mag die vielen Details, die karikierten Figuren, die einfallsreichen Perspektiven und Bildausschnitte und grafischen Ideen. Außerdem tröstet diese schonungslose Darstellung von Strandurlaub über die Tatsache hinweg, dass der Sommer so weit weg ist.

Platz 4:
Igort: Berichte aus Japan. Eine Reise ins Reich der Zeichen (Reprodukt)
So oft der italienische Comiczeichner Igort Japan besucht, immer steht er vor neuen Rätseln. Er versucht seit vielen Jahren, das Wesen dieses Landes zu fassen. Dass es nie ganz gelingt, macht seine Faszination aus. Seit Igort in den 90er Jahren zum ersten Mal nach Tokio flog, um für einen großen Verlag dort zu arbeiten, füllt er Skizzenbücher, die nun seinen „Berichten aus Japan“ zugrunde liegen. Igort erzählt darin, wie ihn das Japan-Virus befallen hat und wie er sich daran abarbeitet. Man kann das beim Blättern gut nachvollziehen: die Bewunderung für die Manga-Industrie und die Herausforderung, dafür zu arbeiten, die Ästhetik in Werken japanischer Künstler und Dichter, aber eben auch die Schattenseiten einer Traditionen verpflichteten Gesellschaft. Insgesamt ist es ein angenehm unaufgeregtes Japan-Bild, das Igort vermittelt. Mir gefällt außerdem die stilistische Vielfalt: Tusche- und Aquarellzeichnungen, klare Linien, Zitate japanischer Holzschnitte, Manga-Cover oder Spielkarten.

Platz 3:
Max Baitinger: Röhner (Rotopol)
„Röhner“ hat es mir angetan wegen seines lakonischen Tonfalls und der dazu passenden grafischen Gestaltung in Schwarzweiß. Röhner dringt eines Tages ungefragt in das Leben seines „alten Kumpels“ ein, des eigenbrötlerischen Ich-Erzählers. Dieser lebt einen von Ritualen geordneten Alltag und pflegt einen Austausch gegenseitiger Dienste mit seiner umtriebigen Nachbarin „Dings“. Max Baitinger erzählt in wenigen Worten, klaren Linien, abstrakten Formen und viel Weißraum, wie der raumgreifende Eindringling die etablierte Ordnung durcheinander bringt: In einem Panel löst Röhner sich in eine schwarzweiße Wellenform auf, die durchs Wohnzimmer schwappt, in einem anderen sitzt und liegt er in mehrfacher Ausführung auf Sofa, Sitzelement, Regal und Boden herum – während der Erzähler in einem inneren Monolog probt, wie er Röhner hinauswerfen könnte. Aber dazu, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, ringt er sich erst durch, als Röhner sich an „Dings“ heranmacht. Klingt vielleicht verkopft, liest sich aber sehr unterhaltsam.

Das hier sind die beiden Top-Titel von Barbara Buchholz

Platz 2:
Nicolas Wouters/Mikael Ross: Totem (Avant)
„Totem“ zieht einen tiefer in den düsteren Wald der Ardennen, als einem lieb ist. Der Comic erzählt vom Ende einer Kindheit: Louis wird in ein verregnetes Pfadfinder-Sommercamp geschickt, während sein kleiner Bruder im Krankenhaus liegt und stirbt. Als Neuankömmling muss Louis seinen Platz in der Gruppe der zum Teil schon älteren Jungs finden und sich einem Initiationsritus unterziehen. Auf quadratischen Seiten entfaltet sich diese Parallelwelt mit archaischen Riten, kindlicher Grausamkeit und Natur, die mystisch, unheimlich und bedrohlich ist, aber gelegentlich auch schön. Im relativ großen Format auf mattem Papier kommen die Zeichnungen toll zur Geltung. Grobe Striche und Aquarell in düsteren Blau- und Grüntönen dominieren, durchsetzt von kräftigen Akzenten: dem Ziegelrot von Louis‘ Regencape oder seiner Fuchsmaske, die er nach dem Aufnahmeritual trägt, dem Gelb-Orange eines lodernden Feuers oder dem fahlen Ocker der Lichtstreifen auf dem Fell des Leoparden, dem Louis plötzlich Auge in Auge gegenübersteht. Eindringlich und beeindruckend.

Platz 1:
Thierry Smolderen & Alexandre Clérisse: Ein Diabolischer Sommer (Carlsen)
Dieses Buch ist eine reine Augenweide mit seinen wie aus Papierschablonen zusammengesetzten Bildern, in denen stilisierte Formen auf expressive Farben treffen, und seinen visuellen Zitaten aus Comics und Malerei der 60er Jahre. Smolderen & Clérisse erzählen außerdem eine spannende und klug konstruierte Geschichte, die erst in der Rahmenhandlung im zweiten Teil des Buchs aufgelöst wird. Darüber hinaus ist „Ein Diabolischer Sommer“ auch eine Liebeserklärung an die Kiosk-Hefte der 60er, vor allem an die um den maskierten Verbrecherhelden „Diabolik“ - und entwickelt daraus eine reizvolle Symbolik des unbekannten, ambigen, nicht zu fassenden Bösen. Schon den vorigen Comic dieses Autoren-Zeichner-Duos, „Das Imperium des Atoms“, fand ich groß. Aber mit dem „Diabolischen Sommer“ haben die beiden aus meiner Sicht noch einen drauf gesetzt.

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© Illustration: Kachaev Valeriy / Studiostoks / Fotolia

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