„Rein in die Fluten!“: Milieustudien am Meer
Der Sommer neigt sich seinem Ende zu - der Episodencomic „Rein in die Fluten!“ von David Prudhomme und Pascal Rabaté lässt die Besonderheiten der Saison Revue passieren.
„Rein in die Fluten!“ ist ein Titel mit Appellcharakter, dem man nach der Lektüre augenblicklich folgen möchte. Der Episodencomic kommt ohne komplizierten Plot aus und erinnert in der Verspieltheit seiner Momentaufnahmen an den französischen Urlaubsfilm-Klassiker „Die Ferien des Monsieur Hulot“. Jacques Tatis Film portraitiert die Spezies des Strandurlaubers aus den Fünfzigern, der Comic des bewährten Duos David Prudhomme und Pascal Rabaté (deren hoch-amüsante Zusammenarbeit „Die Plastikmadonna“ in Deutschland leider kaum rezipiert wurde) leistet ähnliches für die Sonnenanbeter von heute.
Paare, Singles und Familien aus allen Generationen und Milieus treffen im fiktiven „Polovos Plage“ aufeinander. Wir lernen sie bereits während ihrer Anreise kennen: Den Familienvater, der sich im Tankstellenstau über die Langsamkeit der anderen echauffiert. Die Rückbank-Kinder, die in Dauerschleife „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ singen. Das ältere Camper-Ehepaar, das im Zug primär damit beschäftigt ist, die Menge der mitgebrachten Pasteten-Vorräte zu eruieren. Was sie dann im Urlaub tun? Nichts Spektakuläres: Spazieren, Schwitzen, Schweigen, Streiten, Starren.
„Man riecht schon das Meer!“
Die meisten Situationen sind dem Leser aus eigener Erfahrung bestens vertraut. Verbringt man auch nur einen Tag am Strand, lassen sich viele Absurditäten und Eigenarten beobachten: Der besondere Reiz des Comics liegt in der Detailliertheit der Beobachtungen, die man gut als liebevoll gehässig bezeichnen könnte.
Skizziert werden unter anderem der Voyeur, der so tut als interessiere er sich nicht für den naheliegenden FKK-Strand, das Kind, das eine leere Austernschale bedient wie ein Smartphone oder die Frau des Muschelsammlers, die sich sichtlich lieber im glamourösen St. Tropez räkelte.
Viele Szenen werden erst durch die Dialoge so richtig schön bissig. Die Dokumentation eines Flirts zum Beispiel wird durch die akkurate Wiedergabe der Wortbeiträge zum Slapstick, die inhaltliche Flachheit genüsslich zelebriert: „Was hören Sie denn so für Musik?“ fragt der Werbende. „Ziemlich alles... Und Sie?“, so die Antwort. „Alles eigentlich.“ Und dann: „Das ist ein sehr schöner Strand...!“ „Finde ich auch ... Da haben wir schon was gemeinsam.“
Genauso wichtig wie die Textbausteine sind die Aufzeichnungen der Optik der verschiedenen Urlaubertypen: Der Strand entpuppt sich als ein Skurrilitätenkabinett absurder Tätowierungen und zeigt die Fülle möglicher Körper und die Interaktionen ihrer Besitzer. Da treffen wohlgebräunte Strandnixen auf ältere Herren in changierenden Rottönen, deren sonstige vestimentäre Vorlieben „oben ohne“ nicht zu übersehen sind.
Trotz oder gerade aufgrund der bissigen Beobachtungen ist der Comic eine Hommage an den Strandurlaub. Dabei kommt kein Sinn zu kurz. Visuell handelt es sich um ganz großes (und farbenfrohes) Kino, dessen Wirkung sich dann auch olfaktorisch entfaltet. „Man riecht schon das Meer!“ lautet der erste Satz, der nicht nur für die Figuren gilt. Wir riechen bei der Lektüre nämlich mit: Tankstellen, Meer, Sonnenmilch, heiße Luft und Garnelen. Die Folge, auch wenn der Sommer sich jetzt langsam dem Ende zuneigt: Ein Riesenappetit auf Strandurlaub und Meeresfrüchte.
David Prudhomme & Pascal Rabaté, Rein in die Fluten!, Reprodukt, 120 Seiten, 24 Euro.
Marie Schröer
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