Von Tacheles bis Checkpoint Charlie: Die Berliner Politik gibt das Innere der Stadt zu leicht auf
Das Tacheles ist Symbol der Gentrifizierung in Berlin. Dass auf das Gelände jetzt eine schwedische Fotogalerie ziehen soll, gefällt nicht jedem. Ein Kommentar.
Geschichte ist etwas, das in Berlin besonders langsam vergeht, wenn überhaupt. Und es gibt Orte in der Stadt, wo einen diese spezielle Befindlichkeit geradezu anspringt. An der Volksbühne zum Beispiel, um die ein jahrelanger Kulturkampf tobte, oder am Checkpoint Charlie – dort bemüht sich, wenn auch reichlich spät, eine Gruppe von Kulturpersönlichkeiten um eine Bebauung und Bespielung jenseits des Touristenkarnevals. Der ehemalige Staatssekretär Tim Renner und Jochen Sandig, Tacheles-Mitgründer, gehören zu den Aktivisten. Ähnlich ist die Lage am Tacheles. Da stehen sich auf den ersten Blick Kapital und Kultur, altes und neues Berlin, Träume und Pragmatismus gegenüber. Kurz: ein Fall von heftiger Gentrifizierung.
Das ehemalige Kunsthaus soll Teil eines Neubaukomplexes werden, den ein internationaler Fonds finanziert. Nächste Woche wird der Grundstein gelegt. In den Verträgen steht auch verbindlich eine kulturelle Nutzung. Wie es aussieht, soll diese von der schwedischen „Fotografiska“-Kette ausgefüllt werden, mit Shopping, Gastronomie und Galeriebetrieb. Es rumort deswegen in der Kulturszene, doch niemand will sich momentan trotz starker Phantomschmerzen dazu äußern.
Tacheles? Das off-kulturelle Leben in der fotogenen Kaufhausruine ist seit Jahren erloschen. Am Ende waren die Künstler zerstritten, das Projekt aus der Nachwendezeit implodierte, wie es häufig geschieht in der alternativen Szene. Das steckt in ihrer Natur, nicht tragisch. Das Tacheles war tot und lebt plötzlich wieder auf als Symbol in einem Berlin, das sich überfordert fühlt, überrollt, in seinem rebellisch-kreativen Wesen bedroht. Fotografiska sei wie Ikea, hört man es raunen - nicht die richtige Kultur für diesen Ort oder auch bloß kulturell kaschierter Kommerz. Was an die feindseligen Reaktionen erinnert, die Chris Dercon entgegenschlugen, als er nach Berlin kam, um die Volksbühne zu übernehmen.
Was bringen „Freiräume for Future“?
Nun garantiert das Architekturbüro Herzog & de Meuron, das mit der Generalplanung am Tacheles beauftragt ist, eine gewisse Qualität. Und dem Fotounternehmen aus Stockholm, das derzeit international expandiert, lässt sich der kulturelle Charakter nicht einfach absprechen. In der Oranienburger Straße, dem Tacheles gegenüber, haben sich namhafte Galerien angesiedelt, die selbstverständlich kommerziell agieren müssen. Die Frage ist nur: Gab es überhaupt andere Möglichkeiten, Visionen gar für eine kulturelle Wiedereröffnung des Tacheles als die Vermietung an Fotografiska, die Firma ist ja nicht an den symbolträchtigen Ort in Mitte gebunden? Und wie könnten diese vielleicht besseren Pläne aussehen?
Interdisziplinär, interkulturell vernetzt, Begegnungsstätte, Diskussionsforum, Ateliers, kleinteilige freie Szene: So kann man sich das ja auch am Checkpoint Charlie vorstellen, auch wenn es einem Großinvestor nicht gefällt. Aber wird galoppierende Gentrifizierung damit aufgehalten, wenn man in einem Luxuskomplex „Freiräume for Future“ einbaut? Der Ärger liegt darin begründet, beim Checkpoint Charlie wie beim Tacheles, dass die Berliner Politik an diesen neuralgischen Orten machtlos wirkt. Die Innenstadt, das Innere der Stadt, ihre Geschichte und damit auch ihre Chancen – das wird oft zu leicht aufgegeben.