Kunsthaus Tacheles geräumt: Alles ruiniert
22 lange Jahre Besetzung und viel Streit. Um Ideale, um Freiheit – und Geld. Am Dienstag wurde das Kunsthaus Tacheles geräumt. Widerstand gab es nicht. Das hat am Ende auch den Gerichtsvollzieher überrascht.
Bei einer Ruine ist es schwer zu sagen, wann ihre Zeit vorbei ist. Das Kunsthaus Tacheles war immer eine Ruine. In seinen Anfangstagen prangte ein Transparent an der aufgerissenen Hausfassade, darauf stand: „Die Ideale sind ruiniert, retten wir die Ruine.“ Trotzdem hat das Tacheles seither vor allem Idealisten angezogen. Es waren Künstler, die nicht Geld machen wollten, sondern frei sein. Und Investoren, die große Versprechungen abgaben, aber das Geld dafür nicht hatten.
Am letzten Tag des Tacheles hängen wieder Transparente an der Fassade. Sie erzählen nicht mehr viel von Idealismus und auch von Protest nur sehr zahm. An diesem Dienstag, bei strahlendem Sonnenschein und milden Temperaturen in Berlin-Mitte, wird das Tacheles geräumt. Endgültig.
Und zwischen Sofas, Tischen, Barhockern und sonstigem Gerümpel, das schon vor dem Haus auf dem Gehweg liegt, steht Pedro und streicht sich über den langen dunklen Bart. Pedro, der Künstler, weigert sich. Jedenfalls noch für einen Moment. Sein finsterer Blick ist undurchdringlich. So direkt hat er sich das vielleicht nicht vorgestellt mit den Konsequenzen. Dass es ihn trifft, ihn persönlich.
Vor Pedro steht sein Anwalt. Es geht um eine Unterschrift, die Pedro leisten müsste, damit für ihn nun alles vorbei sein kann, aber Pedro spricht nur Spanisch. „Wir haben ihm erklärt, worum es geht“, sagt der Mann im schwarzem Anzug, Markus Fränkle heißt er. Er vertritt etwa ein Dutzend Tacheles-Künstler. Pedro als einer von ihnen soll eine Räumungsvereinbarung unterschreiben. Sie würde ihm nicht nur viel Ärger ersparen. Vor allem würden ihm Mietschulden erlassen und er müsste nicht mit mehreren tausend Euro bei einer Räumungsklage rechnen. Geld, das er nicht hat.
Pedro und seine Freunde kommen aus Ecuador, Peru, Chile und leben vom Verkauf von Kunsthandwerk. Ihre Werkstatt befindet sich im 3. Stock des Tacheles. Aber es ist mehr als nur ein Arbeitsraum für sie. Die Möbel auf der Straße sind Teil eines Lebensentwurfs. Sie wussten, dass dieser Moment kommen würde. Aber sollen sie jetzt wirklich klein beigeben? So wie die anderen vom Verein Tacheles? Die stehen herum und sagen Dinge wie: „Das ist ein großer Verlust für Berlin.“ Aber auch: „Wir weichen der Gewalt.“
22 Jahre lang war das Tacheles besetzt gewesen. Es war den Berlinern Kneipe, Kino und Theater, den Künstlern Werkstatt und Ausstellungsraum – und zwar beides in einem. Der Ruf reichte weit: In New York kannten sie die bunte Ruine, in London und in Athen. Das Tacheles war Punk, schmuddelig und ein kleines bisschen wild. Gerade so viel, dass es noch zugänglich war und doch Kontrast blieb zum Rest der Oranienburger Straße mit ihren zunehmend sanierten Fassaden und Touristen-Bars.
Das Nachwende-Niemandsland ist keines mehr
Im Jahr 1990 hatten Künstler aus der Umgebung die Ruine besetzt, um so die drohende Sprengung zu verhindern. Das letzte verbliebene Gebäude eines alten Kaufhauskomplexes, erbaut Anfang des 20. Jahrhunderts, hatte da schon einiges überstanden. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Beispiel und die Versuche der Ostberliner Stadtverwaltung in den 80er Jahren, Teile abzureißen.
Für die Touristen hatte das Tacheles den Charme des für immer unfertigen Berlin, es war Stein gewordener Mythos, Symbol der Nachwendezeit, in der Kunst nicht bewertet und auf einen Marktwert taxiert wurde, sondern unbequem und schrullig, schmutzig und unverständlich sein durfte. Als sich im Dezember 2002 eine 25-jährige Künstlerin aus einem der oberen Stockwerke in den Tod stürzte, fotografierten Touristen am nächsten Morgen ihre Leiche, die über Nacht unentdeckt im Hinterhof gelegen hatte. Man hielt den Körper für eine Kunstinstallation.
Das Nachwende-Niemandsland, aus dem die Ruine einst ragte, ist inzwischen längst keines mehr. Mit den Miet- und Immobilienpreisen rundherum stieg auch der Wert des Tacheles. Mittlerweile könnte er laut Schätzungen bei 35 Millionen Euro liegen. Ohne die Künstler, versteht sich. Die sind herausgerechnet aus der Kalkulation. Das Gebäude soll versteigert werden. Seit die HSH Nordbank das Tacheles-Areal unter Zwangsverwaltung gestellt hat, treibt sie die Entmietung voran. 80 bis 100 Künstler sollen bis Mai dieses Jahres Ateliers im Tacheles unterhalten haben. Am Vorabend der Räumung schleppen die Letzten von ihnen Holzbalken, Gemälde, Farbtuben, Schweißgeräte aus dem Haus. Der verbliebene harte Kern der Nutzer hat sich auf Stühlen und Bänken niedergelassen, trinkt Bier, redet, stiert ins Nichts. "Man muss auch verlieren können", sagt Linda Cerna. Sie ist Sprecherin des Tacheles, jetzt, an diesem letzten Tachelesabend, flattert ihre Stimme vor Enttäuschung bei Sätzen, die sie in den verganegen Monaten oft gesagt hat. "Die Sekretärin" wird sie von einigen Mitstreitern genannt, weil sie den Schriftverkehr geregelt und den Kampf mit Behörden geführt hat, einen Kampf, der viele andere im Tacheles überfordert hätte. Nun steht sie blass, mit hängenden Mundwinkeln, aber durchgedrücktem Kreuz im Eingangsbereich und sagt: "Juristisch konnten wir nicht gewinnen, das war klar. Die Politik hätte sich öffentlich gegen die Räumung erklären müssen." Sie findet, dass vor allem die Stadt ein Symbol dafür einbüßt, dass alles käuflich ist, "nur die Künstler eben hier nicht".
Die wehren sich am Dienstag kaum, halten einige ihrer Bilder als Warnschilder und Voodoo-Zeichen in die Luft. Es ist der Tag für eine letzte stoische Geste. Und für weitreichende Erklärungen, warum es soweit kommen musste. Meist sind andere Schuld. Das Hin-und-Her in den Besitzverhältnissen in den vergangenen Jahren. Dass man zum Spielball des Immobilienmarktes geworden sei. Ein neuer Käufer, der nur darauf warte, das Tacheles zu ersteigern, stünde schon bereit. Fakt ist, dass das Grundstück vor Jahren einem Zwangsverwalter überantwortet wurde, nachdem der letzte Investor, die Fundus-Gruppe, offenbar finanzielle Probleme bekommen hatte. In wessen Namen der Zwangsverwalter nun agiert, will er nicht sagen. Für die Polizei wird es ein sehr entspannter Einsatz. Um viertel vor Acht am Morgen stoppt das erste Polizeiauto in der Oranienburger Straße, es folgt ein zweiter Bus und dann zwei der klassischen Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei. Da hat es in den vergangenen Jahren ganz andere Einsätze gegeben, mit behelmten Hundertschaften, knatternden Hubschraubern, Räumpanzern und anschließenden Straßenschlachten. Immer wenn linke Szeneobjekte geräumt wurden, gab es die so genannten „Ausschreitungen“. In der Yorckstraße 59 zum Beispiel, der Liebig 14 und der Brunnenstraße. Doch vom Tacheles hat sich die linke Szene und vor allem die linksradikale und militante Szene vor langer Zeit abgewandt. Auch da ging es ums Geld, zunächst um das, was im Haus verdient wurde und schließlich um jenes, das die Künstler annahmen, um das Haus freiwillig zu verlassen. Bereits im Sommer vergangenen Jahres begann die Front der Tacheles-Kämpfer zu bröckeln. Als die ersten für Geld ihre Sachen packten. Das sei der letzte Sündenfall gewesen, sagt ein leitender Polizist, das Tacheles sei regelrecht fallengelassen worden..
Andreas Rost glaubt, dass der Anfang vom Ende schon viel früher kam. Nämlich als die Künstler nicht mehr umsonst essen konnten. Der heute 46-jährige Fotograf zählt zu den etwa 20 Künstlern, die im Februar 1990 auf das Dach eines alten Feuerwehrautos stiegen, um durch ein Fenster in das ehemalige Kaufhaus zu klettern und es zu besetzen. Ein „urkommunistisches Projekt“ wurde damals geboren, Rost nennt es auch „unser Kind“. Eines, dem sein eigener Erfolg zum Verhängnis wurde. „Wir sind selbst dran schuld, dass es so gekommen ist“, sagt Rost heute.
"Mit einem Fuß immer neben dem Gesetz"
Das Tacheles wurde zum Magnet. Mit Argwohn blickten die Urbesetzer Mitte der 90er Jahre auf die Clubs, die Galerien, Bars in der Umgebung, die vom Erfolg des Tacheles profitierten. Auch im Haus selbst verdienten die Ersten gut, erzählt Rost. Fragen kamen auf. Vor allem die: Wie kommerziell soll das Haus genutzt werden? Sie stritten darüber, prügelten sich sogar. Das Café Zapata im Erdgeschoss machte Umsätze, in den Etagen darüber kam nichts davon an. Andreas Rost glaubt, dass das Projekt schon damals zerbrach. Integrationsfiguren verschwanden. Clemens Wallrodt, der Maler und Elektriker, verunglückte 1995 mit dem Auto. Im Wagen wurde er von seinen eigenen Kunstwerken erschlagen. Leo Kondeyne und auch Rost selbst verließen das Tacheles.
Darauf, dass nun auch die letzten gehen, wartet am Dienstagmorgen Polizeidirektor Thomas Dublies. Zu tun hat er nichts, ins Gebäude hat er seine junge Kollegin geschickt, die ihm aus einem der Fenster im obersten Stock des Altbaus zuwinkt. Seit einigen Monaten ist Dublies als Leiter des Abschnitts 31 in Mitte für das Tacheles zuständig. In dieser kurzen Zeit ist dies bereits sein dritter Einsatz, mit dem er den Gerichtsvollzieher unterstützt. Im Juni hatte das Berliner Landgericht die Tacheles-Nutzer endgültig zur Räumung des Theatersaals und der Galerie aufgefordert. Im August wurde dann auch das Publikum wegen Brandschutzmängeln vom Bauamt ausgesperrt. Ein Teil des Stroms im Hause wurde abgestellt. Nur die Nutzer selbst durften noch in das Haus. Mit ihnen verschwindet jetzt der Anwalt im dunklen Treppenhaus. Kurz zuvor hat er noch erklärt, dass die Räume der Künstler, die sich wehren, nicht versiegelt würden. Aber schon der Erste, der zurückkehrt, stellt ein paar letzte Habseligkeiten auf die Straße und breitete erleichtert die Arme aus. Er hat unterschrieben. „Muss ja alles geregelt werden“, sagt er. „Wir standen mit einem Fuß immer neben dem Gesetz.“ Nun, mit der Unterschrift, hat ihn das Gesetz ganz wieder.
Sehen Sie hier Bilder von der Räumung des Tacheles:
Und das Gesetz freut sich: „Für mich ist das heute eine Überraschung“, sagt Olaf Schmalbein, der Gerichtsvollzieher. Er hätte nicht gedacht, dass die Künstler dann doch so friedlich aufgeben würden.
Unter den vielen schwierigen Aufgaben, die Schmalbein im Bezirk Mitte wahrnimmt, war das Tacheles immer seine verworrenste. Sie hat ihn oft lächerlich aussehen lassen. Dann wenn er wieder einmal unverrichteter Dinge abziehen musste – unter dem Hohngelächter der Tacheles-Aktivisten. Sie glaubten, dem Gesetz ein Schnippchen schlagen zu können, indem immer wieder andere Künstler sich zu Nutzern der Ateliers erklärten. Schmalbein durfte aber nur jene Räume requirieren lassen, die auch tatsächlich von ihren Mietern beansprucht wurden. Die ganze Woche hatte Schmalbein sich vorsichtshalber für die komplizierte Klärung frei gehalten. „Nun war es sehr viel einfacher, weil man sich aufgegeben hatte.“ Nach fünf Stunden war alles vorbei, „reine Fleißarbeit“. Die Ateliers waren entweder leer oder der Boden mit Müll bedeckt. Wertloses wird entsorgt. Aber in einem der oberen Räume stutzte Schmalbein. Er sah eine fragile Konstruktion aus Brettern, einem Barhocker und urbanem Treibgut, um das jemand ein leuchtend blaues Nylonseil gebunden hatte. Von der Decke baumelte ein Umzugskarton. "Mir war klar, dass es sich um ein Kunstwerk handelt", sagt Schmalbein, "das wollte ich nicht zerstören." Was Schmalbein nicht wissen konnte, dass das Objekt nur für ihn bestimmt war. Die Trash-Künstlerin Adler A.F. hat es am Vortag errichtet aus Fundsachen wie sie das immer macht. Diese "installative Raumzeichnung" mit dem schwingenden Umzugskarton drücke aus, "dass wir wiederkommen". Die Frau, von der Statur her untersetzt und ihrem bajuwarischen Gemüt nach energisch, prophezeit, dass die Berliner es mal wieder als Letzte kapieren werden. "Den Wert einer Einrichtung wie des Tacheles', des Tempelhofer Flughafens, des Palasts der Republik verstehen sie hier immer erst, wenn's verschwunden ist. Dann sagen alle: Warum gibt's das nicht mehr?"
Einer, der ein letztes Mal aus der Ruine geht, glaubt, dass es bald auch die Museen begreifen werden. Die Tacheles-Künstler seien Nachfahren der Künstlergruppe Die Brücke. Nolde, Kirchner, Schmidt-Rottluff. Erst bespuckt und dann im Museum. „Das wird uns jetzt auch passieren“, sagt er – und zieht mit seinem hoch beladenen Fahrradanhänger davon.
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