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Das Cover des Pink-Floyd-Albums „Atom Heart Mother“ aus dem Jahr 1970.
© Edel Books

Kunst auf Plattencovern: Die Augen hören mit

Irritation im Quadrat: Wie das britische Grafikstudio Hipgnosis von den sechziger bis in die achtziger Jahre die Kunst des Plattencovers revolutionierte.

Eine schwarzbunte Kuh im Ganzkörperporträt. Sie blickt in die Kamera, ihr Euter ist prall gefüllt. Vater, Mutter und zwei Kinder, an einem weißgedeckten Tisch um ein seltsames schwarzes Objekt versammelt. Ein Tourist im Hawaiihemd steht an einem Palmenstrand. Er verschwindet fast hinter einer Landkarte, die ihm der Wind ins Gesicht presst. Und ein Mann, dessen schwarz-weißer Kopf wie bei einer Wachsfigur zerfließt.

Die Bilder gehören zu den Ikonen der Popkultur. Sie stammen aus dem britischen Grafikdesign-Studio Hipgnosis. Die Liste lässt sich ewig fortsetzen: Wer sich für Pop interessiert, kennt mindestens zwanzig Plattencover, mit denen Hipgnosis die Ästhetik der Rockmusik von den späten sechziger bis in die achtziger Jahre prägten. Die Strategie: Irritation.

Die Kuh schmückt das Pink-Floyd-Album „Atom Heart Mother“ aus dem Jahr 1970. Bandname und Titel fehlen. Die Plattenfirma hasste die Idee, aber „wir fanden es witzig und die Band auch“, sagte Hipgnosis-Gründer Storm Thorgerson. Für ein ähnliches Rätsel sorgt 1976 die Hülle der Led-Zeppelin-Platte „Presence“. Als Jimmy Page und Robert Plant fragen, was der schwarze Obelisk auf dem Familientisch bedeute, antwortet Thorgersons Kollege Aubrey Powell achselzuckend: „Keine Ahnung“.

LSD war Teil des Bildungsprogramms

Der Mann im Hawaiihemd auf dem Hochglanzbild von „Bloody Tourist“, einem 10cc-Album von 1978, verkörpert die Leere des Rock’n’Roll-Geschäfts. Sein Blick ist blind, von seiner Umgebung nimmt er genauso wenig wahr wie ein Musiker auf Tour. Und Peter Gabriels Gesicht scheint 1980 dahinzuschmelzen, weil die Polaroidaufnahme während der Entwicklung manipuliert wurde.

Storm Thorgerson ist 2013 gestorben, nun präsentiert sein Kompagnon Aubrey Powell die Geschichte der gemeinsamen Firma in dem Prachtband „Vinyl – Album – Cover – Art. Hipgnosis, das Gesamtwerk“ (Edel Verlag, Hamburg 2018. 320 S., 35 €) mit mehr als 300 Abbildungen ihrer besten Werke. „Letztendlich kommt es im Leben weniger auf das an, was man kann, als vielmehr darauf, wen man kennt“, schreibt Powell. Thorgerson und er waren aus Cambridge nach London gekommen, zusammen mit einer Gruppe von Hippies und Künstlern, zu der auch Syd Barrett, Roger Waters und David Gilmour von Pink Floyd gehörten. Sie schlugen sich als Schaufensterdekorateur durch (Powell), studierten Film (Thorgerson) oder Kunst (Barrett), zogen in einen Altbau in South Kensington und erlebten die „coolste Zeit auf der ganzen Welt“. Es ging um Bewusstseinserweiterung, LSD war Teil des Bildungsprogramms.

Das fiese Paar am Telefon ist auf „How dare you!“ von 10cc aus dem Jahr 1976 zu finden.
Das fiese Paar am Telefon ist auf „How dare you!“ von 10cc aus dem Jahr 1976 zu finden.
© Edel Books

Thorgerson und Powell verehrten Stan Lee, den kreativen Kopf der Marvel-Comics, und klebten für „A Saucerful of Secrets“, das zweite Album von Pink Floyd, eine wirbelnde Space- und Comic-Collage zusammen, die das Interesse der Gegenkultur an Alchemie und allem Kosmischen bediente. Der Erfolg war, so Powell, „reiner Zufall“. Den Firmennamen Hipgnosis erfand Syd Barett, als er das Wort mit Kugelschreiber an ihre Wohnungstür schrieb. Später trieben ihn Drogen in die Paranoia, das Frontfoto seines Soloalbums „The Madcap Laughs“ zeigt Barett in Hockstellung auf den blau und rot gestrichenen Dielen seines Apartments.

LPs bekommen Fetischcharakter

Mit Peter Blakes Cover des Beatles-Albums „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ hatte 1967 eine neue Ära begonnen. Aus Gebrauchsdesign wurde Kunst. Die 12 Zoll (30,48 cm) im Quadrat, die eine Plattenhülle misst: ein Spielfeld für Ideen. Ihre ersten Aufträge bekommen Hipgnosis, „weil wir billig waren“, bald beziehen sie zwei Büroetagen in Soho und heuern Mitarbeiter an. Das gesteigerte Selbstbewusstsein ändert die Umgangsformen. Statt auf die Frage „Wie viel nehmt ihr?“ zu antworten, fragen sie nun: „Was seid ihr bereit zu zahlen?“. Für ein Cover der Glamrock-Band The Sweet bekommen sie 800 Pfund, vier Mal so viel wie für ihre frühen Arbeiten.

Das Yes-Album-Cover für „Going for the One“ von 1977.
Das Yes-Album-Cover für „Going for the One“ von 1977.
© Edel Books

Mit dem Fotografen Peter Christopherson, der später auch als Musiker mit Throbbing Gristle bekannt wurde, ist das Dreigestirn von Hipgnosis 1974 komplett. Die Musikbranche prosperiert, vom Pink-Floyd-Album „The Dark Side of the Moon“ mit dem berühmten Prisma auf dem Cover werden mehr als 50 Millionen Exemplare verkauft. LPs bekommen Fetischcharakter, sie kriegen einen Ehrenplatz neben der High-End-Anlage. Manchmal werden sie auch nur wegen ihrer Verpackung gekauft. Die Hipgnosis-Leute treten zunehmend selbst wie Rockstars auf. Für Grafikarbeiten am Led-Zeppelin-Film „The Song Remains the Same“ quartiert sich Powell einen Monat lang im New Yorker Plaza-Hotel ein. Er begleitet Paul McCartney auf einer USA-Tournee im Privatjet, um jeden seiner Schritte zu dokumentieren. Weil die Wellen in Brighton nicht die richtige Fernwehfarbe besitzen, fliegt er für die Aufnahmen zum Cover der 10cc-Platte „Look Hear?“ nach Hawaii.

1985 muss Hipgnosis Insolvenz anmelden

„Schau genau hin“, lautet Powells Credo. Plattencover sollen überraschen, Neugier wecken, egal, ob sie einen direkten Bezug zum Image der Band, ihrer Musik oder den Texten haben. „Wenn es nach oben hin keine Grenzen gibt, versucht man, so weit nach oben zu kommen wie eben möglich.“ Ihren psychedelischen Anfängen bleiben die Gestalter treu, auch wenn ihre Werke immer perfektionistischer werden. Fotos wie das fürs Pink-Floyd-Album „Wish You Were Here“ – zwei Anzugträger schütteln sich die Hand, wobei einer von ihnen in Flammen steht – entstehen in tagelangen Sessions. Witz und Ironie blühen. Während die Rockmusik Leichtigkeit und Luxus feiert, setzt das Design auf Oberflächenschönheit wie in der Werbung. Auf dem Cover des Yes-Werkes „Tormato“ scheint eine zerquetschte Tomate zu kleben. Bei „Pyramid“ von The Alan Parsons Project sitzt ein Mann im Schlafanzug auf dem Bett und verruckelt zur Geistererscheinung. Aus dem Fenster geht der Blick auf eine Pyramide im Mondlicht.

Das Debütalbum „Peter Gabriel“ von 1977
Das Debütalbum „Peter Gabriel“ von 1977
© Edel Books

Als die CD eingeführt wird, endet die Zeit der großen Budgets und kreativen Höhenflüge. Powell und Thorgerson drehen Musikvideos, mit dem Filmchen zu Paul Youngs Song „Wherever I Lay My Hat“ gelingt ihnen ein MTV-Hit. 1985 muss Hipgnosis Insolvenz anmelden. Erbittert wird um Geld gestritten, die beiden Gründer, die einst „wie Brüder“ waren, gehen sich zehn Jahre lang aus dem Weg. Christopherson stirbt 2010. „Wir haben einige wunderbare Jahre zusammen verbracht und hatten das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein“, sagt Powell. Er untertreibt. Hipgnosis halfen, die Augen für die Musik zu öffnen.

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