Roger Waters in Berlin: Der Stinkstiefel und seine Suada gegen Israel
Große Songs, wirre Thesen: Roger Waters' zeigt in Berlin eine großartige Pink-Floyd-Reinkarnation. Doch er endet mit missionarischem Eifer. Eine Konzertkritik.
Natürlich dreht es nach zwei Stunden doch seine Ehrenrunde durch die Mehrzweckhalle am Ostbahnhof: das berüchtigte aufblasbare Gummischwein, von Drohnen gesteuert, ein Wunderwerk der Bühnentechnik. Es wird beim Konzert von Roger Waters von mehr als 10.000 Zuschauern bestaunt und bejubelt. Erstaunlicherweise kommt das Schwein ohne kontroverse Symbolik samt Davidstern aus, stattdessen prangt auf ihm ein neutraler „Stay Human“-Schriftzug.
Das Lied dazu heißt „Pigs (Three Different Ones)“, stammt aus dem Jahr 1977 und wird visuell zum Anti-Trump-Song umgedeutet. Nicht, dass der 45. Präsident der USA sich nicht jeden Schmähsong verdient hätte. Aber sein Konterfei auf Tierkörper oder kleinpimmelige Antikentorsi zu montieren und das zehnminütige Progrock-Monstrum im hallenbreiten Schriftzug „Trump ist ein Schwein“ münden zu lassen, ist nicht gerade subtil.
Gesegnet mit Altersattraktivität
Maßhalten war noch nie eine Tugend von Roger Waters. An seinem kreativen Furor, der sich in den ambitionierten Konzeptalben „Animals“ (1977) und „The Wall“ (1979) und immer monströseren Tourneen zeigte, ist Pink Floyd zerbrochen. Nicht zuletzt durch den hässlichen Streit mit seinen Ex-Kollegen galt Waters lange als eingetragenes Markenzeichen für Stinkstiefeligkeit.
Davon ist an diesem Abend mit dem ersten von zwei Konzerten wenig zu spüren. Der 74-Jährige, gesegnet mit einer an Richard Gere erinnernden Altersattraktivität, verhält sich zu seiner achtköpfigen Tourband very gentlemanlike, schwingt sich gar zu einer liebevollen Vorstellung auf. Dazu hat er auch allen Grund, trägt ihn das angeheuerte Kollektiv doch traumwandlerisch durch das zu drei Vierteln aus Pink-Floyd-Klassikern bestehende und mit Stücken von Waters’ jüngstem Solo-Album komplettierte Programm.
Vom technischen Niveau her dürfte dies eine der besten Pink-Floyd-Reinkarnationen sein, die man für Geld bekommen kann. Der Brite Dave Kilminster und der Kalifornier Jonathan Wilson („our resident hippie“) teilen sich als Leadgitarrist und Sänger den Job, den einst Dave Gilmour verrichtete – und machen es großartig. Kilminsters filigrane Soli sind angenehm unprahlerisch und maximal effektiv, Wilsons Gesang trifft exakt Gilmours elegischen Tonfall. Die unkaputtbare Lagerfeuerhymne „Wish You Were Here“ wird durch ein Interplay auf zwei Akustikgitarren in himmlische Sphären gehoben.
Waghalsige Koloraturen
Wo komplexere Satzgesänge nötig sind, greifen die Backgroundsängerinnen Jess Wolfe und Holly Laessig von der New Yorker Indie-Band Lucius ein, die sich bei „The Great Gig In The Sky“ in waghalsige Koloraturen schrauben. Vier weitere Cracks, darunter Schlagzeuger Joey Waronker als Nick-Mason-Ersatz, sorgen für das Fundament bei der korrekten Umsetzung der sakrosankten Floyd-Songs, so dass sich Waters auf knurriges Bassgeplonke, den Gesang bei Solo-Stücken und animierendes Gestikulieren konzentrieren kann.
Dass dies mehr als ein nostalgieseliger Abend wird, dafür sorgt der Homo Politicus Roger Waters. Zu „Another Brick In The Wall“ lässt er ein Dutzend Berliner Schulkinder in Guantanamo-Häftlingskleidung auf die Bühne kommen, unter der sie T-Shirts mit der Aufschrift „Resist“ (Widerstehen) tragen. Wogegen man sich wehren soll, wird während der anschließenden Pause eingeblendet: Mark Zuckerberg, Neofaschismus, Nikki Haley (UN-Botschafterin der USA), Antisemitismus – und „Israeli Anti-Semitism“.
Her mit der Zeitmaschine
Wie zentral ihm dieses Anliegen ist, macht Waters kurz vor Konzertende – im Anschluss an das herzzerschmelzend schöne „Eclipse“ – in einer polternden Suada deutlich, in der er für die israelfeindliche BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) wirbt und den Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, angreift. Und auch wenn es durchaus Beifall für Waters’ wirre Thesen gibt, winden sich viele Fans unbehaglich in ihren Sitzen, wären sie doch gern vom missionarischen Eifer ihres Helden verschont geblieben.
„Es müsste eine Zeitmaschine geben, alle müssten wieder jung sein“, sagt eine ältere Dame zu ihrem Begleiter. Genau: zurück in eine Zeit, als Rockmusik noch unschuldig sein konnte. Dass sie es heute nicht mehr ist, macht dieser widersprüchliche Abend schmerzhaft klar.
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