Albrecht Dürer und William Kentridge: Ganz dicke Freunde
Sie trennen 500 Jahre - und doch begegnen sich Albrecht Dürer und William Kentridge jetzt in der Ausstellung "Double Vision" im Berliner Kupferstichkabinett.
Albrecht Dürer, den bedeutendsten deutschen Renaissancekünstler, mit William Kentridge, dem renommiertesten Gegenwartskünstler Südafrikas, zusammenzu- spannen, darauf muss man erst einmal kommen. Vor acht Jahren hat diese Idee bereits im Frankfurter Städel mit einer kleinen Präsentation gezündet, nun macht das Berliner Kupferstichkabinett mit „Double Vision“ eine große Ausstellung daraus, ermöglicht durch ein Transferprojekt der Deutschen Forschungsgesellschaft, die Gelder gibt, wenn ihre Wissenschaftler mit „öffentlich relevanten Feldern“ zusammenarbeiten. Bei einem Museum darf man mit Fug und Recht davon ausgehen, dass es diese Kriterien erfüllt. Die Mittel konnten also fließen, die Kuratoren durften reisen bis zu Kentridges legendärem Atelier in Johannesburg, wo all jene Filme entstanden, die in den letzten Jahren auf Biennalen und Documentas das Medium der Zeichnung auf höchst ingeniöse Weise mit Performance und Film verbanden.
Bild-Evidenz lautet das Zauberwort, das den Zeitgenossen mit einem Wimpernschlag über fünf Jahrhunderte hinweg mit dem Gründervater der künstlerischen Druckgrafik zusammenbringt. Bild-Evidenz ist auch der Name des feinen Kollegs, das in einer Dahlemer Villa als eine Art Center for Advanced Studies logiert. Dort versucht man herauszufinden, wie viel ästhetisches Eigenrecht Bilder besitzen oder ob sie nur im Kontext bedeutsam sind, wie die Gegenseite der Bildwissenschaft argumentiert.
Was akademisch kompliziert klingt – die gängige Bedeutung von Evidenz als dem Einleuchtenden lässt sich kaum aus dem Kopf verbannen – ist in der Ausstellung selbst zum Glück wie weggeblasen. Hier begegnen sich zwei zeitlich ferne Großkünstler auf Augenhöhe, die weit mehr als erwartet miteinander verbindet. Beide sind Meister des Schwarz-Weiß und Grau, großartige Zeichner und Grafiker, beide haben einem Urvieh ihre Aufmerksamkeit geschenkt, das in der hohen Kunst ansonsten eher selten vorkommt: dem Rhinozeros.
Dürers Nashorn verkörpert für Kentridge Europas Idee von Afrika als fremdem Kontinent
Passenderweise feiert Dürers berühmtes Blatt in diesem Jahr seinen 500. Geburtstag. Nicht von ungefähr beziehen sich viele Arbeiten von Kentridge gerade auf dieses Werk, verkörpert Dürers fiktives Nashorn, das anatomisch nicht gerade korrekt auf der Grundlage einer nach Nürnberg gelangten brieflichen Beschreibung entstand, doch für den Johannesburger Künstlers zugleich Europas Idee von Afrika als einem fremden fernen Kontinent.
Die Ausstellung dekliniert die Anknüpfungspunkte zwar etwas schulmeisterlich durch. Doch macht sie dies so vielseitig und intelligent, so spielerisch mit den Variablen der Ausstellungstechnik von der unterschiedlichen Rahmung bis zur Verschiebung des Betrachterstandpunktes, dass der Besucher leicht vergisst, dass er sich eigentlich in einem begehbaren Kolleg befindet. Ganz oben auf der Liste der Gemeinsamkeiten der beiden Künstler steht bei allem zeichnerischen Talent doch ein Faible für technische Instrumente, für das Handwerkliche ihres Schaffens. Kentridge ließ sich von Dürers Lehrbuch „Underweysung der Messung“ von 1525 direkt inspirieren.
Beide untersuchen mit geradezu wissenschaftlichem Interesse die Konstruktion des Raumes, den Verlauf der Fluchtlinien. Immer wieder demonstrierte Dürer in seinen Holzschnitten, wie sich mit Hilfe eines Rahmens die korrekte Perspektive zeichnen lässt. Kentridge zitiert ihn hier direkt, indem er den Schlüssellochblick auf den Schoß einer liegenden Frau übernimmt, die allerdings picassoeske Formen besitzt. Der Bildtitel „Etant donné“ schlägt den Bogen nochmals weiter zu Duchamp. Kentridge führt mustergültig vor, wie wichtig Kunstgeschichte für zeitgenössisches Schaffen ist.
Für Kentridge bedeutet es zweifellos eine große Huldigung, mit Dürer auf die gleiche Ebene gehoben zu werden. Das Berliner Kupferstichkabinett, das einen der umfangreichsten Bestände an Dürer-Grafik weltweit hütet, konnte dafür aus dem Vollen schöpfen. Kentridge gab ebenfalls großzügig nach Berlin. Der Stadt bleibt er ohnehin auch im kommenden Jahr verbunden, widmet ihm doch der Martin-Gropius-Bau eine große Ausstellung parallel zu fünf seiner Bühnenproduktionen beim Festival Foreign Affairs der Berliner Festspiele. Ob ihn die gesponnenen Verbindungslinien der Kupferstich-Kuratoren aber immer überzeugten, verriet er nicht. Nur so viel ließ er bei der Eröffnung wissen, dass er Dürer zwar verehrt, dessen berühmtes Selbstporträt als Christus oder seine betenden Hände jedoch gar nicht mag.
Tatsächlich tragen die in der Wechselausstellungshalle am Kulturforum gebauten Brücken nicht immer. Wenn bei Dürer anthropomorphe Figuren aus den Felsformationen seiner Landschaften hervortreten, so besteht nur eine sehr lockere Verbindung zu den aus Papierschnipseln zusammengefügten Schattenriss-Gestalten bei Kentridge. Beide formen vage Konstellationen, beide schaffen ambivalente Kreaturen, die im Ungefähren bleiben, beim nächsten Blick auf das Blatt entziehen sie sich auch schon wieder. Mit Freud und Psychoanalyse lässt sich hier viel hineininterpretieren. Dass aber beide Künstler in politischen Umbruchzeiten wirkten und wirken und sich deshalb dieses Mittels bedienen, erscheint wie eine Plattitüde. Gute Kunst reagiert immer auf politische Strömungen. Auch ohne solchen Überbau geben Dürer und Kentridge eine großartige Paarung ab.
Kulturforum, bis 6. März; Di, Mi, Fr 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Sa/So 11- 18 Uhr. Katalog (Sieveking Verlag) 34,90 €.
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