Michel Houellebecq: Der Zündler vom Dienst
Der Islam und das Neoreaktionäre: Michel Houellebecqs Rede zum Frank-Schirrmacher-Preis bleibt wirr - eine Analyse.
Was gute Literatur sagt und welche Meinungen ein Autor mit sich herumträgt, sind im Idealfall zwei verschiedene Dinge. Andernfalls könnte man den politisch unzurechnungsfähigen Antisemiten Louis-Ferdinand Céline nicht für einen großen Erzähler halten. Man dürfte den genialen Dichter Gottfried Benn nicht von jenem biertrinkenden Feierabendbürger in Räuberzivil trennen, der lange nach seiner NS-Verirrung, bis in die Anfänge der Bundesrepublik hinein, ein skeptisches Verhältnis zu seinem Land unterhielt. Und man müsste sich umgekehrt verkneifen, die stets aufrecht linksliberale Juli Zeh eine schlechte Schriftstellerin zu nennen.
Diese Trennung der Sphären darf auch Michel Houellebecq für sich beanspruchen. Von seinem Romandebüt „Ausweitung der Kampfzone“ bis zu „Unterwerfung“, der Vision eines freundlich islamisierten Frankreich, hat er verstörende Versuchsanordnungen geschaffen, die einer selbstzufrieden im Licht von Aufklärung, Emanzipation und Fortschritt schwelgenden Gesellschaft ihre verschwiegenen killing fields vorführen. Im Jahr 2016 darüber zu staunen, dass Houellebecq nie ein Linker war, ist deshalb ein Kunststück, das nur auf dem Mist medialer Reflexe gewachsen sein kann. Ausgelöst haben sie die „Mémoires d’outre-France“ (Éditions des Équateurs), ein Buch von Houellebecqs Übersetzer ins Englische, dem Schotten Gavin Bowd. Er geht darin der abenteuerlichen Konversion einst linker Intellektueller in Richtung Front National nach und würzt seine Überlegungen mit einem Bekenntnis Houellebecqs, das dieser im Januar 2013 bei einem Abendessen in trauter Runde abgegeben haben soll: Er wolle in einem Interview zum Bürgerkrieg gegen den Islam in Frankreich aufrufen und zur Wahl von Marine Le Pen.
Nun fällt auch ein solches Bekenntnis zunächst unter den Schutz einer privaten Äußerung, erst recht nach dem dritten Glas Wein, und im Wissen um die Provokationslust eines Mannes, der im Austeilen so schnell ist, wie er um der Originalität willen seine Meinung ändert. Houellebecq ist ein Zündler vom Dienst, der sich nach dem Erwachen fragt: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?
Unversöhnliches miteinander reagieren lassen
Selbst die böswilligste Lektüre von „Unterwerfung“ wird aber weder islamophobe Neigungen noch Sympathien für die extreme Rechte ausmachen können, wohl aber ein diabolisches Vergnügen daran, die Korruptionsanfälligkeit einer säkularen Linken für religiöse Verheißungen zu karikieren. Zweifellos nimmt der Roman auch viele eher einer rechten Kulturkritik entstammende Motive aus Houellebecqs übrigem Werk auf: das Konsumfeindliche, das sich gegen einen biopolitisch ausgedehnten Kapitalismus wendet, in dem jeder die eigene Haut meistbietend zu Markte trägt. Oder die Widersprüche von sexuellem Befreiungsstreben, körperlichem Verfall und männlich dominiertem Begehren.
Das Produktive dieser literarischen Inszenierungen ist, dass sie Unversöhnliches miteinander reagieren lassen: Sie lassen sich ideologisch jedenfalls nicht dienstbar machen. Und dennoch kann man fragen, wo denn die Grenze zwischen dem Künstler und dem Bürger Houellebecq verläuft. Die Dankesrede, die er am Montag in Berlin bei der Entgegennahme des Frank-Schirrmacher-Preises der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hielt, gibt darauf wieder nur eine bewusst ungenaue Antwort. Von der grotesken Selbstsicherheit, mit der die Islamkritikerin Necla Kelek Houellebecq vereinnahmte, war er weit entfernt. „Ihr Werk“, erklärte Kelek, „folgt weder den formalen Sprachexperimenten und der gehäckselten Realität des Nouveau roman, der Agitprop-Prosa oder des Bad-Acting-Staatstheaters oder dem Politkitsch des Agitationstheaters von einer ,Neomigrantin’, das mithilfe von Raubtiernummern zum ,Theater des Jahres’ emporrezensiert wird.“ Weiß sie, was sie da sagt?
Houellebecq exponiert und entzieht sich zugleich
Schwieriger ist es bei Houellebecq, der jeder Geste rhetorischer Offenheit ein Moment des Unausgesprochenen beimischt. Als Sprecher exponiert und entzieht er sich zugleich. Wenn man sich gleich auf die Klimax seines wirren Textes stürzt, dann ist für Frankreichs Intellektuelle endlich das Zeitalter für ein „neues Denken" angebrochen, weil sie die „Zwangsjacke der Linken“ ablegen durften. Zum Beweis führt er an, dass die „heiligen Kühe“ Marx, Freud und Nietzsche tot seien. Das verstehe, wer will. Also zurück zum Anfang, wo Houellebecq erst einmal sein Mütchen an der verhassten „Le Monde“ kühlt, um sich dann auf einen drittklassigen Rechtenjäger namens Daniel Lindenberg zu stürzen, der mit seiner Schrift „Aufruf zur Ordnung – Untersuchung der Neuen Reaktionäre“ (2002) in Deutschland zu Recht keine Spuren hinterlassen hat.
Allerdings will er damit auch zwei hierzulande nicht weniger unbekannte Autoren als Propheten des Dschihadismus in Erinnerung bringen: Maurice Dantec und Philippe Muray. Insbesondere der selbst erklärte Zionist Dantec (1959–2016), der gegen den Islam nur das Kraut der beiden anderen Monotheismen gewachsen sah, ist in seiner Nähe zu identitären Kreisen eine problematische Gestalt. Doch Houellebecq ist schon beim nächsten Thema, dem romantischen Dichter Alphonse de Lamartine, der sich kurz vor der Revolution von 1848 auch als Autor einer blutrünstigen „Histoire des Girondins“ rund um 1789 hervortat.
Lamartine habe ihn daran erinnert, was Heldentum sei. Wenn nun auch noch der Name von Joseph de Maistre fällt, dem Verteidiger des Ancien Régime und Gegenaufklärer schlechthin, den man getrost als Urahn der heutigen nouvelle droite bezeichnen kann, scheinen sich die Zeichen für Houellebecqs Spielen mit dem rechten Feuer ganz zu verdichten. Mehr als ein Insinuieren, das man vielleicht selbst als Ausweis eines gefährlichen Denkens deuten kann, ist hier aber nicht zu haben.
Der Rest ist Provokation von der alten Sorte, immerhin mit klaren Aussagen. Die demografische Entwicklung sei in Frankreich auf der Seite des Islam – auch wenn der Dschihadimus früher oder später ein Ende finden werde. Und: „Die Prostitution abschaffen heißt, eine der Säulen der sozialen Ordnung abzuschaffen.“ Sie sei das Korrektiv der Ehe und eine Grundlage unserer Gesellschaft. Da hört man ein einziges Mal den ironischen Houellebecq keckern, wie er über die Vermessenheit einer Weltverbesserung spottet, die man aus ganz anderen Gründen für falsch halten kann. Der Rätselmann aber, der sich auch in der öffentlichen Rede hinter Andeutungen versteckt, ist eine Zumutung.
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