Zum Tod von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher: Ein Wunderkind mit Freude am Experiment
Er war ein intellektueller Spieler, den die ganz großen Themen bewegten. Jetzt ist Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, mit nur 54 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Wenn er ein ganz besonderes Talent besaß, so war es die Kunst, sich als seine eigene Marke zu entwerfen. Denn Frank Schirrmacher war nicht von Grund auf Intellektueller, er war nicht von Grund auf Journalist. Er war etwas dazwischen - durchaus aufgeschlossen für komplizierte Ideen, doch sehr viel mehr als an den Ideen selbst daran interessiert, sie ins mediale Erregungssystem einzuspeisen. Von Anfang an verfügte er dabei über einen ausgeprägten Machtinstinkt, sorgte für sein Fortkommen aber nicht nur mit machiavellistischem Kalkül, sondern vor allem mit spielerischer Lust.
Einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren deutscher Sprache
Schirrmacher agierte weniger im Namen kultureller Ideale als mit der Neugier eines Mannes, der von der Schaltzentrale seines 25-Quadratmeter-Büros im Frankfurter Gallusviertel aus herausfinden will, wie man mit einem Feuilleton die ganze Republik auf Trab hält – und zwar mit dem führenden der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die in Gestalt von Karl Korn und Joachim Fest schon sehr viel wertkonservativere Temperamente zu Herausgebern berufen hatte.
Der 24-Jährige kam dorthin 1985 als Wunderkind. Der 54-Jährige verlässt es nach einem tödlichen Herzinfarkt nun als Zeitungslegende - und als einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren deutscher Sprache. Erst im vergangenen Jahr veröffentlichte er mit „Ego – Das Spiel des Lebens“ ein kapitalismuskritisches Pamphlet, das vor der algorithmischen Berechenbarkeit des Menschen warnte. Das Thema beschäftigte ihn vielleicht auch deshalb, weil ihm alles Berechnende selbst nicht fremd war. Wie man Mitarbeiter am ausgestreckten Arm verhungern lässt, welcher überraschende Spin sich einer ausgetretenen Debatte noch einmal geben lässt – damit experimentierte er leidenschaftlich gerne.
Er verstand etwas von Literatur - aber sie langweilte ihn
Die 30 Jahre seiner Karriere begann er als Hospitant im Feuilleton. Er kam frisch von der Universität, wo er nach einem glatten Einserabitur Germanistik, Anglistik und Philosophie studiert hatte. Schon 1985 bestellte ihn Joachim Fest zum Redakteur. Im Januar 1989 beerbte er Marcel Reich-Ranicki als Leiter der Literaturredaktion. Noch einmal fünf Jahre später folgte er seinem Mentor Joachim Fest als Herausgeber nach. Das Tempo seines Aufstiegs muss selbst ihn verblüfft haben. In einem Anfall von Koketterie spiegelte er sich zu Beginn seiner Ära als Literaturchef einmal in einem Essay zu Lion Feuchtwangers Roman „Erfolg“.
Der eruptiv schreibende Beamtensohn aus Wiesbaden, der 1987 bei Suhrkamp einen Essay über Kafkas „Prozess“ veröffentlicht hatte, verstand etwas von Literatur, aber er langweilte sich bald mit ihr. Sie wurde ihm als Spielfeld zu eng. Die Debatten, von denen er träumte, hatten eine andere Breitenwirkung, und wenn sich auch keineswegs behaupten lässt, dass er mit Themen wie der gesellschaftlichen Überalterung, die er 2004 auch in dem Bestseller „Das Methusalem-Komplott“ verhandelte, seine Berufung verriet, so opferte er den Ernst seines Denkens doch zuweilen einem tremolierenden Pathos, das einem die literaturkritische Praxis eigentlich ausgetrieben haben sollte. Noch als Marcel Reich-Ranicki im letzten September starb, überschrieb er seinen Nachruf mit den Worten „Ein sehr großer Mann“ und machte den Kritiker mit dem Adverb kleiner, als es in seinem Sinn gelegen haben kann.
Laufender Wechsel wurde seine zweite Natur
Der Autor und Feuilletonregent Schirrmacher hatte immer seine Themen – und seit der Jahrtausendwende auch schon die große technologische Wende im Blick. Damals sorgte er, vermittelt durch den amerikanischen Third-Culture-Agenten John Brockman, mit „Warum die Zukunft uns nicht braucht“, einem dystopischen Essay von Bill Joy, für wochenlange Diskussionen. Aber hatte er eigentlich jemals einen eigenen Ton? Schirrmacher war viel eher ein begabter Stimmenimitator: herrenreiterhaft, wenn er zu Beginn Joachim Fest imponieren wollte. Staatsmännisch abgeklärt und paulskirchenreif, wenn es später das Ambiente hergab. Und predigerhaft, wenn er nach den Massen schielte. Hinter den Kulissen kam aber mitunter auch infantile Töne zum Vorschein. Das Kindkaiserhafte, das man ihm gelegentlich nachgesagt hat, wurde er auch im höheren Alter nicht los. Da wirkte er zwar äußerlich längst nicht mehr jungenhaft, aber wahrscheinlich war er im Herzen jünger – und ganz bestimmt den Problemen seiner Zeit eher zugetan als in seinen anpassungsaufwendigen Anfangsjahren.
Der laufende Registerwechsel wird ihm wohl zur zweiten Natur geworden sein. Wenn man dies nur auf sein Werk bezieht, kann man einerseits bedauern, dass er, obwohl er das Zeug dazu gehabt hätte, nicht substanziellere und haltbarere Bücher schrieb. Andererseits ist es sein einzigartiges Verdienst, Themen popularisiert zu haben, die sonst nur schwer aus Expertenkreisen herausgefunden hätten. Er erkannte sie in ihrer Tragweite, war dann aber rücksichtslos darin, sie zu Tode reiten.
Der Erfolg der Zeitung rechtfertigte seine Tyrannei
Nicht schon wieder, konnte man in den letzten Wochen stöhnen, wenn einem aus dem aus Spargründen um die Hälfte abgespeckten Feuilleton schon wieder eines jener Anti-Google-Manifeste in roten Riesenlettern entgegensah, das Schirrmacher gegen ein vermeintlich erschöpftes Rezensionsfeuilleton – und seine armen Redakteure – mobilisierte.
Auch sie können ein Lied von seinem doppelten Gesicht singen. Das Maß, in dem er sie drangsalierte, demütigte, beschimpfte, maßregelte und kujonierte, wurde von vielen als dämonisch empfunden. Schirrmacher verfolgte eine Shock-and-Awe-Taktik, die arbeitsökonomisch gewiss unsinnig war, weil sie mehr Verschleiß als Produktivität erzeugte. So durften beispielsweise die Zimmertüren der Büros nicht geschlossen werden, damit jeder ständig den Blicken des Chefs zugänglich ist. Zugleich konnte sich Schirrmacher aber mit seiner ganzen Kraft und Autorität schützend vor die Mannschaft werfen, um sie vor weiteren Sparmaßnahmen zu schützen.
Solange die „FAZ“ prosperierte und die Ergebnisse die Tyrannei rechtfertigten, waren dies einfach die Verhältnisse. Nachdem die Zeitung nun aber verzweifelt einen Investor sucht, ist auch das Schirrmacher-Modell in eine Krise geraten.
Sein Tod trifft die „FAZ“ in einem schweren Moment. Denn wenn das Blatt, das sich zuletzt einen Readerscan verordnete, bald aussieht wie jedes andere, vernichtet es damit seine unvergleichliche Stellung auf der publizistischen Agora. Es ist nicht gesagt, dass es für die Geschäftsführung ohne Schirrmacher nun leichter wird – höchstens für einige, die sich ganz besonders unter ihm wegducken mussten.
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