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Tusch! Dagmar Manzel und Ensemble in der Paul-Abraham-Operette "Ball im Savoy".
© Iko Freese/ Dama Berlin

Komische Oper ausgezeichnet: Berliner Duft

Teamgeist und frische Ideen: Wie die Komische Oper den Titel „Opernhaus des Jahres“ errungen hat.

Einer der Ersten, der die Komische Oper am Dienstag beglückwünschte, war Dietmar Schwarz, der Intendant der Deutschen Oper: „Von ganzem Herzen gratuliere ich meinem Freund Barrie Kosky zum Titel ,Opernhaus des Jahres’. Mit seinem Team hat er auf begeisternde Weise gezeigt, wie man spannendes Musiktheater abseits der großen Opernwerke des 19. Jahrhunderts machen kann.“ Erst danach freut sich Schwarz in der Pressemitteilung darüber, dass auch sein Haus bei der jährlichen Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Opernwelt“ in einer Kategorie den Sieg davongetragen hat. Für seine souveräne Leitung von Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ an der Bismarckstraße wurde Lothar Zagrosek zum „Dirigenten des Jahres“ gekürt.

Diese kollegiale Huldigung zeugt vom guten Verhältnis, das die Berliner Musiktheater derzeit untereinander pflegen. Man kann das als positive Langzeitwirkung der umstrittenen „Opernstiftung“ sehen. Unter dem Dach der Kulturholding können sich die drei Ensembles ganz auf die Kunst konzentrieren – in freundschaftlicher, fruchtbarer Konkurrenz.

Gern trifft das besonders personalintensive Genre ja der Vorwurf, überteuert zu sein. Wenn aber so lebendige, selbst in den Augen hauptberuflicher Kritiker absolut außergewöhnliche Produktionen dabei herauskommen wie in der ersten Saison von Barrie Kosky an der Komischen Oper, dann sind die Investitionen gut angelegt. Unnötig, darauf hinzuweisen, wie viel Handarbeit im Musiktheater steckt, wie viele hoch spezialisierte Fachleute in allen Gewerken nötig sind, um das Wunderwerk in Gang zu bringen, und dass sich die hohen Kosten keineswegs auf überdurchschnittliche Löhne für die Beteiligten zurückführen lassen – im Gegenteil! Gerade die Mitarbeiter der Komischen Oper sind für ihr rückhaltloses Engagement bekannt. Hier ist man stolz auf Traditionen, hier geht man offen in jedes Experiment, hier stimmt der spirit.

Der Chef. Der 1967 in Melbourne geborene Barrie Kosky leitet das Haus seit 2012.
Der Chef. Der 1967 in Melbourne geborene Barrie Kosky leitet das Haus seit 2012.
© dpa

Und nicht erst, seit Barrie Kosky im Herbst 2012 das Intendantenamt von Andreas Homoki übernommen hat (in dessen Amtszeit die Komische schon mal „Opernhaus des Jahres war“). Aber dem Australier ist es gelungen, die kollektive Begeisterungsfähigkeit noch einmal auf eine neue Stufe zu heben, Energien freizusetzen, die man sich in dem wahrlich nicht komfortabel ausgestatteten, längst renovierungsbedürftigen Haus selber kaum zugetraut hätte. Kosky ist dabei ein echter primus inter pares, ein Arbeitswütiger, der quasi im Chefzimmer lebt, zusammen mit seinem Hund Blumfeld. In seiner ersten Spielzeit hat Kosky neben allen Managementaufgaben mehrere Inszenierungen als Regisseur betreut, in seiner zweiten will er es wieder so halten.

„Heterogenität ist ein Kennzeichen des 21. Jahrhunderts“, postuliert Kosky in dem Interview, mit der die „Opernwelt“ ihr gestern erschienenes Jahrbuch eröffnet. Und diese „Verschiedenheit in der Zusammensetzung“, wie sich das aus dem Griechischen abgeleitete Wort übersetzen lässt, prägt in der Tat das ganze „Opernhaus des Jahres“. Das fängt schon beim Intendanten selber an: Er stammt aus einer jüdischen Familie, die Großeltern wanderten aus Polen, Russland und Ungarn nach Australien ein, wo er aufwuchs, bevor er in Wien und Berlin als Regisseur Furore machte. Kosky ist offen schwul, schwärmt für die Marx Brothers und Mel Brooks, inszeniert ebenso quietschbunte Revuen wie tief berührende Dramen, bringt in der gerade angelaufenen Saison sowohl den Musicalklassiker „West Side Story“ auf die Bühne wie auch „Castor et Pollux“, ein Werk des französischen Barockkomponisten Jean-Philippe Rameau. Seine erste Saison startete er mit einem Megaspektakel, als er alle drei Opern Monteverdis an einem Tag herausbrachte, er beauftragte die Komponistin Olga Neuwirth mit einer Neufassung des Alban-Berg-Meisterwerks „Lulu“, ließ Tschaikowskys „Mazeppa“ auf Russisch singen, spielte als Kinderstück „Ali Baba und die 40 Räuber“ mit neuer Musik eines türkischen Tonsetzers, begeisterte die Massen mit einer „Zauberflöten“-Show, die als Stummfilm mit lebendigen Sängern angelegt ist, und krönte schließlich die Saison mit der Wiederentdeckung von Paul Abrahams vergessener Operette „Ball im Savoy“ aus den Dreißigerjahren. Berliner Showgeschichte, jüdische Geschichte sind da zu entdecken.

Ebenso heterogen wie das Programm sind auch die Zuschauer der Komischen Oper – und ebenso ernsthaft an der jeweiligen Produktion interessiert wie die Macher selber. Dass sie in der Behrenstraße genau jene Besucher haben, die jeder Intendant bei sich im Saal sehen möchte, ist gleichzeitig auch eine Bürde. Denn dieses junge, neugierige, auf Überraschungen erpichte Publikum kommt gerne in die Neuinszenierungen, macht sich aber wenig aus dem Repertoire. Dabei sind es ja gerade die besten Produktionen, die in den Dauerspielbetrieb übernommen werden. Wenn es sich herumspricht, dass „Wiederaufnahme“ nicht für „Routine“ steht, sondern für „geprüfte Qualität“, kann die Komische Oper – mit dem Kritiker-Ehrentitel im Rücken – in den kommenden Monaten vielleicht endlich auch bei der Platzauslastung zu den beiden anderen Hauptstadthäusern aufschließen. Zu wünschen wäre es ihr.

Zwei echte Knaller-Pläne hat Kosky übrigens der „Opernwelt“ im Gefühlsüberschwang des Titelgewinns verraten: Die Künstlergruppe Gob Squad arbeitet zusammen mit einem Professor der Humboldt-Uni an einem Roboter-Stück nach dem Pygmalion-Mythos – und René Pollesch schreibt ein Operettenlibretto. Die Musik dazu wird Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow liefern.

Frederik Hanssen

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