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Thronfolger. Applaus für Jonas Kaufmann in der Philharmonie.
© Thomas Bartilla/Staatsoper

Festtage der Staatsoper: Der Welt abhanden gekommen

Startenor Jonas Kaufmann singt Mahler mit Barenboims Staatskapelle in der Philharmonie

Dass die Zeit kontinuierlich voranschreitet und sonst gar nichts, hat die Musik schon immer infrage zu stellen gewusst. Sie öffnet uns einen klingenden Raum, in dem sich Erinnertes und Erahntes durchdringen, und löst die Zuhörer aus ihrer knapp bemessenen Jetztzeit – wenn sie es denn zulassen. Tritt jedoch Jonas Kaufmann aufs Podium der Philharmonie, dann hört man das Auslösergeräusch von Handys und Tablets noch bis tief hinein ins erste von Gustav Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“. Dabei tut der Startenor alles, um hier nicht Hof zu halten. Doch was hilft bescheidenes Auftreten, wenn man sich einen Placido-Domingo-Bart wachsen lässt. Ein Thron darf niemals leer bleiben.

Kaufmann wird Mahlers Orchesterlieder langsam, sehr langsam singen. Nicht, damit seine vielsprachigen Fans mehr von ihm mitbekommen, sondern weil Daniel Barenboim es auf dem extrahohen Dirigentenpodest so will. Der Maestro hat eine klare Meinung zum Klang: „Er stirbt, wenn wir ihn nicht am Leben halten.“ Wie sehr sich lebenserhaltende Maßnahmen hinziehen, auch wie fraglich sie erscheinen können, davon zeugt sein Mahler-Dirigat. Für seinen Sänger ist es schlicht halsbrecherisch. Denn obwohl Kaufmann schier endloser verborgener Resonanzraum zur Verfügung steht: Barenboim weist ihm Grenzen auf, nimmt ihm zielstrebig Luft und Kraft.

Startenor sein bei den Staatsopern-Festtagen, heißt sich in Demut üben

Doch Innerlichkeit lässt sich nicht erzwingen, und der naive Tonfall, den Mahler stets von seinen Interpreten eingefordert hat, lebt auch von einem Gutteil Robustheit. Dazu ist selbst Kaufmann trotz seriösen Bemühens im Barenboim’schen Arrangement nicht mehr in der Lage. Das zugegebene „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ löst das Sänger-Ich dann endgültig auf, und man hört nur noch die 9. Symphonie. Mahler, vom Ende her gehört, büßt trotz mancher Delikatesse im Spiel der Staatskapelle erheblich an Charme ein. Denn in seinem Werk ist von Anfang an alle Fülle von Gedanken und Erinnerungen eingeschrieben – und die Chronologie glücklich überwunden. Ein demütiger Startenor verlässt die Bühne.

Wie eine Vorwegnahme des Brexit erklingt nach der Pause das einleitende Thema von Edward Elgars 1908 uraufgeführter 1. Symphonie. Britisch, auf eine stoische Weise erhaben – und zugleich ziemlich vorbei. Man kann sich künftige Dokumentationen über das losgelöste Britannien zu diesem musikalischen Thema vorstellen. Dabei ging es Elgar selbst doch um eine „massive Hoffnung auf die Zukunft“. Bereits zum zweiten Mal in dieser Saison legt Barenboim die Partitur auf die Pulte seiner Musiker, eine Überzeugungstat, die viel Geduld beim Zuhören fordert. Denn zügiger als im vergangenen September leitet Barenboim nicht durch das Werk, das seinen Schwung weniger aus den klar auszumachenden Vorbildern – Brahms, Wagner, Tschaikowsky – bezieht, als aus einer unverbrüchlichen Emotionalität. Hier aber steigt Barenboim erst sehr spät ein und pumpt zum Finale hin Pathos in den Saal. Das steht uns bis zur der Abstimmung auf der Insel auch noch bevor.

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