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Robin Ticciati
© Peter Adamik/DSO

Brahms-Zyklus des Deutschen Symphonie-Orchesters: Der Wellenreiter als Gipfelstürmer

Robin Ticciati und das Deutsche Symphonie-Orchester stellen die Sinfonien von Johannes Brahms in ein unerhörtes Umfeld.

Die Spielzeit der Staatsoper Unter den Linden firmiert unter dem Motto „furchtlos“. Verdient hätte diese hehre Zuschreibung aber eher Robin Ticciati, der Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters. In seiner zweiten Berliner Saison setzt er seine Repertoireerweiterung mit einer Kombination aus französischer Musik und romantisch-deutschen Gipfelwerken ebenso begeistert wie unbeirrbar fort. Sein Mentor Simon Rattle benötigte dazu bei den Philharmonikern viele von Rückschlägen flankierte Arbeitsjahre, in denen ihm vorgeworfen wurde, den Sound des Orchesters zu zerstören. Ticciati hat es da leichter beim DSO, zu dessen Selbstverständnis Beweglichkeit und Wandelbarkeit gehören, unabhängig von einer zu verteidigenden Klangheimat.

Eine Lektion von Barenboim

Leichtfertig geht der 35-Jährige dennoch nicht zu Werke, auch wenn er jetzt einen Brahms-Zyklus auflegt und damit in Regionen vordringt, in denen gereifte Maestri den Ton angeben. Gerade hat Daniel Barenboim mit seiner Staatskapelle eine herrische Brahms-Lektion erteilt. Ausprobieren, experimentieren gar mit den vier symphonischen Meisterwerken des von Skrupeln geplagten Universalerben der Klassik? Nicht vorgesehen, noch immer. Ticciati hat sich seinen Brahms intensiv erarbeitet, auf einen Fingerzeig des Schicksals hin. Eine Tournee mit dem Scottish Chamber Orchestra, dessen Chef er neun Jahre lang war, fiel kurzfristig aus. Fast drei Wochen Zeit boten sich den Musikerinnen und Musikern mit ihrem Dirigenten. Sie investierten sie in Brahms und spielten einen lichten Symphonien-Zyklus ein, der Rückblick und Aussicht zugleich ist.

Mit dem DSO geht Ticciati nun noch einen Schritt weiter. Er will nicht nur die Symphonien spielen, die zwei extrem verdichtete Standardprogramme ergeben hätten. Jedes Werk bekommt ein eigenes Klangumfeld, das ein perspektivisches Hören ermöglichen soll. So entstehen vier Abende samt Choreinsatz und Solisten, die jeweils in einer Brahms-Sinfonie gipfeln. Geht es überhaupt darunter? Oder ist, wo Brahms erklingt, nicht immer der Höhepunkt erreicht?

Das erste Konzert meldet da gleich mal Zweifel an: Es beginnt mit Heinrich Schütz’ Motette auf den Psalm 116, ein nach harmonisch aufreibender Todesangst erstrahlendes Gottesbekenntnis, vom Rias Kammerchor mit fein gefasstem Funkeln gesungen, eine Viertelstunde strenge Vokalpracht.

Levit beschwört Geister

Was von ihr in Schumanns Klavierkonzert nachhallt, lässt sich nur schwer fassen, zumal mit Igor Levit ein Interpret am Flügel Platz nimmt, der eigene Geister beschwört. Ticciati lässt das DSO in der gleichen Besetzung spielen, mit der er auch die 1. Symphonie aufführen wird. Nur zehn erste Geigen wie einst die gefeierte Meininger Hofkapelle unter Hans von Bülow. Das rückt die Bläser mehr in den Vordergrund, wird aber problematisch, als Ticciati seine Streicher zu Beginn des Schumann-Konzerts zu körperlosem Spiel anhält. Alle Bindungskräfte scheinen aufgebraucht, doch abheben kann die Musik dadurch auch nicht. Selbst wenn es in der Romantik auch um das Nichthörbare geht, muss es einen gemeinsamen Absprungpunkt geben. Levit und Ticciati sind so sehr ins Tüfteln vertieft, dass sie ihn an diesem Abend in der Philharmonie verpassen.

Dann endlich die Erste mit ihren eröffnenden 48 Paukenschlägen, die Ticciati unmittelbar Musik und Strom werden lässt. Das DSO blüht auf, und der Dirigent merkt gerade noch, wo er zu effektvolle Tonblenden setzen will. Übergänge müssen heranreifen, sie gelingen nicht alle beim ersten Anlauf. Und dann diese vertrackten Auf- und Abschwünge aus ganz schmalem Tonmaterial. Brahms macht daraus ein atemberaubendes Finale, bei Ticciati merkt man nach wunderbar gelösten Innensätzen die Mühen dieser Steigerungen.

Kernigkeit, nicht herzlos

Die 2. Symphonie am Abend darauf mit ihren lichten Schönheiten sollte dem Dirigenten eigentlich mehr liegen. Die Bläsersolisten zeigen ihre Klasse, doch die überbordende Süße drängt über die Ränder. Wie man zu einer Kernigkeit findet, die nicht herzlos ist, müssen das Orchester und sein Chef noch ausloten.

Der Anlauf auf die Zweite mit Werken von Dutilleux ist alles andere als zwingend. Wenn er aber so selbstverständlich souverän gestaltet wird, wie Nicolas Altstaedt das mit einem eröffnenden Solo und dem Cellokonzert tut, glaubt man daran, dass die Grenzen des Repertoires tatsächlich ins Fließen kommen können. Das Gefühl, für dieses Orchester Verantwortung übernehmen zu wollen, habe ihn wie eine Flutwelle erfasst, gesteht Ticciati nach dem Konzert. „Nun muss ich lernen, auf der Welle zu surfen.“ Brahms' Symphonien drei und vier bieten dazu noch reichhaltige Möglichkeiten.

Der zweite Teil des Zyklus’ findet am 22. und 23. Februar statt, jeweils 20 Uhr in der Philharmonie. Infos: www.dso-berlin.de

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