Barenboim startet Brahms-Zyklus: Ein Dirigent auf dem Sockel
Trotzig stampfender Gigant: Daniel Barenboim und seine Staatskapelle Berlin spielen Brahms' Symphonien 1 und 2.
Erst die CD, dann die Tournee nach Übersee und nun das Heimspiel: Daniel Barenboim und seine Staatskapelle Berlin haben viel Zeit mit den Symphonien von Johannes Brahms verbracht. Nun füllen sie zwei Abo-Konzerte, Unter den Linden und in der Philharmonie, gestreckt über einen Zeitraum von sechs Wochen. Dabei darf man sich darauf verlassen, sich auf nichts verlassen zu können. Eines aber ist gewiss: Irgendwann kommt die Phase, in der Barenboims Zugriff herrisch und fest wird. So wie jetzt in der Philharmonie bei den Symphonien Nummer 1 und 2.
Einen Riesen will Brahms hinter sich marschieren gehört haben und glaubte aus Angst vor dem übergroßen Vorbild Beethovens, nie eine Symphonie schreiben zu können. Bei Barenboim wird Brahms selbst zum trotzig stampfenden Giganten: Die 48 Paukenschläge zu Beginn der Ersten wollen gar nicht zum Herzschlag der Musik werden, sie zerschlagen das Leben, das sich da unter Mühen aus den Streichern emporheben will.
Ein Akt der Willkür
Man muss Brahms nicht so generös deuten wie Herbert Blomstedt vor Kurzem mit der Staatskapelle Dresden – obwohl das eine lichte Wohltat war. Ihn aber als vor Ingrimm starrenden Wiedergänger Beethovens zu interpretieren, besitzt wenig Charme. Wer das als Lesart für die Erste noch akzeptieren mag, ist dann sprachlos bei der Zweiten. Als ob es keine Entwicklung in Brahms’ Schaffen gegeben hätte, nachdem die Skrupel etwas nachgelassen hatten, dominiert auch hier Barenboims herbe Klassizistik. Und das so rigide, dass selbst die extrem kundige und engagierte Staatskapelle bei der Intonation ins Schlingern kommt und im Finale die Tempomanipulationen nicht mehr gemeinsam mittragen kann. Dazu passt es, dass der Dirigent zum Schlusspunkt laut ausschnaufend den Taktstock in Richtung Musikerinnen und Musiker rammt wie Wotan sein Schwert in die Weltesche. Ein Akt der Willkür.
Der Höreindruck des Abends passt zu seiner Inszenierung. Barenboim klettert auf ein sehr hohes Podest, das mit diesem Brahms zum Sockel wird. Zwischen ihm und dem Orchester liegt ein räumlicher Abgrund, der sich musikalisch nicht gänzlich überbrücken lässt. Barenboims Biografie im Programmheft hat unterdessen die Länge eines Nachrufs erreicht. Am 21./22. Januar geht es weiter mit den Symphonien 3 und 4.