Der Komponist Isang Yun und seine Heimat Korea: Der unbequeme Held
Das Musikfestival im koreanischen Tongyeong feiert den Komponisten Isang Yun und dessen Wahlheimat Berlin - kurz vor Yuns 100. Geburtstag im September.
Der Frühling überkommt Tongyeong. Die ersten Falter torkeln über die Hänge, Magnolien und Kamelien strotzen um die Wette, und die Kirschblüte spannt einen flaumigen Baldachin über die Straßen. Dann durchbricht ein ungeheuerliches Stück Musik diese Idylle, das Cellokonzert von Isang Yun. Es ließe sich schwerlich ein radikaleres Werk finden, um das hiesige Musikfestival zu eröffnen, auch kein passenderes. Denn Isang Yun oder, um der koreanischen Konvention die Ehre zu geben, Yun I-sang, ist in dieser romantischen Küstenstadt aufgewachsen.
Ein Leben lang hat er darum gerungen, die koreanische Kultur in die Musikgeschichte einzuschreiben – um den Preis, seine Heimat nie wiederzusehen. Begraben liegt er dort, wo er ein zweites Zuhause und eine tragfähige Arbeitsbasis gefunden hatte, in West-Berlin. Draußen in Kladow, wo die amphibische Havellandschaft mit ihren Buchten und Inseln wie ein Tongyeong en miniature anmutet. Umgekehrt ist sein Berliner Wohnhaus hier augenzwinkernd nachgebaut worden, ebenfalls im Kleinformat. Zwischen diesen beiden Lebenspolen schwingt sein Werk.
Yun wurde aus Berlin verschleppt, verurteilt - und kam wieder frei
Das Cellokonzert erzählt die Geschichte einer erzwungenen Individuation. Als Yuns ureigenes Instrument, fungiert es als sein alter ego. Langsam schält sich seine Stimme aus dem Flageolett der Violinen heraus und gelangt schließlich über die Selbstbetrachtung zur Selbstbestimmung. Dabei gerät es mehr und mehr in Gegensatz zur Gesellschaft, sprich zum Orchester. Schon die Sitzordnung macht kein Hehl daraus: der Solist füllt notdürftig eine klaffende Lücke im Halbkreis, eine Bresche im Kranz; weitere Celli sieht die Partitur nicht vor.
Der Mittelteil korrespondiert mit dem schwärzesten Abschnitt in Yuns Biografie: Nachdem der südkoreanische Geheimdienst ihn 1967 aus Berlin verschleppt hatte – mit Billigung oder vermutlich sogar Beihilfe deutscher Regierungsstellen –, wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte es gewagt, via Ost-Berlin nach Nordkorea zu reisen. Eine quälende, nicht abzustellende Tinnitusmusik beschwört die Gefängniszeit herauf. Das Cello wird mehr geschlagen als gezupft und gewaltsam zur Gitarre umfunktioniert. Angst, Wut und Ohnmacht setzten dem Protagonisten zu. Dennoch behauptet er sich auf verlorenem Posten. Dank weltweiter Proteste überlebte Yun und kam nach zwei Jahren frei. Uraufgeführt wurde das Werk 1976 von Siegfried Palm. In Tongyeong tritt mit Nicolas Altstaedt wiederum ein Berliner Cellist an. Er geht gewohnt furios zu Werke, passagenweise brachial, legt mit dramatischem Gestus diese Passionsgeschichte eines Künstlers frei.
Nach der Pause dann erneut ein Kraftakt, Beethovens Neunte. Ein paradoxes Gespann: Während gerade das asiatische Stück die radikale Vereinzelung durchexerziert, stimmt das europäische den Lobgesang des Kollektivs an. Gleich zwei Chöre treten an, die Herren im Frack, die Damen in antikisch weißen Roben. Das Orchester ist allein für den Eröffnungsabend zusammengestellt und durch einige ausländische Stimmführer verstärkt worden. Sein Enthusiasmus macht die fehlende Übung nicht wett, und auch ein so arbeitswütiger Dirigent wie Stefan Soltesz kann da mit ein paar wenigen Proben nur bedingt etwas ausrichten. Statt Dynamik kommt nur das immergleiche Forte, einmal überholt das Orchester die Solisten. Am Ende dennoch rauschender Beifall für beide Stücke.
Seine Oper "Der Traum des Liu-Tung" wurde 1965 in Berlin uraufgeführt
Yun, dessen hundertster Geburtstag im September ansteht, ist der Fixstern des diesjährigen Festivals. Beinah jedes der gut zwanzig Konzerte stellt eines seiner Werke vor. Angefangen von frühen Liedern aus den vierziger Jahren, die einen Hauch von Salonmusik haben, aber auch melodische Kraft und Sinn für Effekt. Mit hingebungsvollem Ernst dargeboten von der Sopranistin Yeree Suh, Koreanerin und Wahlberlinerin auch sie, schon auf dem Sprung zur großen Karriere. Die kompromisslos moderne Periode, als Yun regelmäßiger Gast der Darmstädter Ferienkurse wie der Donaueschinger Musiktage war, kulminierte dann in der Oper „Der Traum des Liu-Tung“, uraufgeführt 1965 bei den Berliner Festspielen. Zur eher dürftigen Fabel eines fernöstlichen Traumspiels schuf er eine erregende, opulente, farbige Musik, die unter der inspirierenden Leitung von Stefan Asbury zu einem Höhepunkt des Festivals geriet.
Dann kam der Lebensbruch durch Entführung und Haft. Die darauf bezogenen Werke erscheinen unmenschlich streng und schwierig wie etwa die „Images“, erarbeitet von den Isang Yun Solisten Berlin, einem Ensemble einstiger Weggefährten. Die späteren Werke, vertreten durch das Klarinettenkonzert oder das letzte Streichquartett, zelebriert von den Ardittis, schlagen dann oft kontemplative, versöhnlichere Töne an.
Isang Yun war der erste nicht-westliche Komponist in den Reihen der Avantgarde, der Exot vom Dienst, von vielen bestaunt und von manchen auch beargwöhnt. Er brachte einen ganzen Kontinent auf die musikalische Weltkarte. Nicht durch folkloristischen Schnickschnack, sondern indem er moderne Musik als Weltsprache erprobte. Besucht man die Gedenkstätte in Tongyeong, überkommt einen Nostalgie nach der Avantgarde. Die feinsäuberlich archivierten Programmhefte von diversen „Tagen der Neuen Musik“, der revolutionäre Zeitgeist, die komplexen Partituren. Yuns Kladower Hausstand vom Taschenrechner bis zum Tonband wird treu gehütet, die Limousine prangt in einer gläsernen Garage. Künstlerisch bedingungslos modern, erscheint er privat als ein etwas altmodischer pater familias, mit bulliger Aktentasche, großen Brillenschilden und breiten, geometrischen Krawatten.
Yun beharrte auf der ungeteilten Kulturnation Korea - und eckte damit überall an
Seine Tochter Djong und seine Witwe Sooja lassen es sich nicht nehmen, bei jeder Aufführung präsent zu sein. Sie leben mittlerweile in Tongyeong, „in das zurückkehren zu können er ein Leben lang vergeblich hoffte“, erklärt die neunzigjährige Dame in tadellosem Deutsch. Ihr Mann hatte darauf bestanden, dass Korea als Kulturnation unteilbar sei, und mit gehörigem Sendungsbewusstsein suchte er diese höhere Einheit zu verkörpern. So schuf er sich im Süden Feinde und im Norden falsche Freunde.
Unter der nun geschassten Präsidentin Park Geun-hye kursierte eine schwarze Liste von Künstlern und Kulturinstitutionen, die keine staatliche Förderung mehr erhalten sollten. Auch dem Festival wurde der Geldhahn zugedreht. Pikanterweise ist sie die Tochter eben jenes Militärdiktators Park Chung-hee, der Yun damals kidnappen und foltern ließ. Diese schicksalshaften Verstrickungen und das ungleiche Tauziehen von Kunst und Macht gäben selbst einen prallen Opernstoff ab.
Tongyeong setzt auf seine Bedeutung als Kulturstadt, mit Yun als Galionsfigur
Der Bürgermeister stemmte sich mit bemerkenswerter Courage gegen die Vorgaben der Zentralregierung. Nach dem Niedergang des Schiffbaus setzt Tongyeong ganz auf seine Bedeutung als Kulturstadt, mit Yun als wichtigster Galionsfigur. Seiner Präsenz verdankt sich auch die hochmoderne Konzerthalle mit 1300 Plätzen, die als weithin sichtbare Kultstätte auf einer Klippe thront. Das Festival hat diesem musikalischen Odysseus eine postume, aber triumphale Heimkehr nach Ithaka bereitet.
Stefan Schomann
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