Berlin: Wannsee westwärts
Einst war Kladow ein Bauerndorf. Dann bauten Berliner prächtige Villen, Künstler ließen sich inspirieren. Und Gatow? Besitzt die Villa Lemm am Havelufer. In deren Garten spielte Einstein Orgel
Die Freude, die Anastasius Ludwig Mencken an der großzügigen Gabe seines Chefs hatte, währte ziemlich genau zwei Jahre. 1799 überließ Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. seinem Kabinettsrat das Lehnschulzengut Neukladow; er wollte den Vertrauten ständig in seiner Nähe wissen. 1801 aber starb Mencken. Das prächtige Haus, das er am Havelufer hatte bauen lassen, war kaum fertig.
Dass das am Uferweg Richtung Gatow gelegene Gut einmal jener Künstlertreff sein würde, dem Kladow seine künstlerisch bedeutendste Zeit verdankt, war damals noch nicht zu erahnen. Heute steht das alte Herrenhaus zerzaust auf einer ehemaligen Haveldüne, eingezäunt, unbeachtet von vielen Spaziergängern, und die wenigsten wissen um seine Geschichte.
Nach Menckens Tod verbrachte seine Tochter Luise Wilhelmine im Gut ihre Jugend – bevor sie auszog, um zu heiraten und 1815 einen Sohn namens Otto von Bismarck zu gebären. Die Künstler kamen viel später, mit Johannes Guthmann. 1909 übernahm der Kunsthistoriker das Gut von seinem Vater, dem reichen Bauunternehmer Robert Guthmann. Anders als dieser wollte der Sohn keinen prächtigen Neubau errichten, sondern das Herrenhaus erhalten. Ihm, der mit dem Schriftsteller Gerhart Hauptmann und dem Maler Max Slevogt gut befreundet war, schwebte ein Musentempel vor. Er fand einen Architekten, der seine Vorstellungen umsetzte und ihm ein Amphitheater errichtete. Regisseur Max Reinhardt war begeistert. Und Slevogt schmückte den Pavillon mit famosen Wandbildern. Die Landschaft, vor allem der Havelblick, inspiriere ihn, sagte er. Das Gut hat Spuren in seinem Werk hinterlassen, er hat es häufig gemalt.
Neukladow blieb aber nicht lange Künstlertreff. 1921 zerstritt sich Johannes Guthmann so mit seinem Vater, dass der ihm das Haus abnahm. Etwa zu der Zeit, als die Familie Guthmann das Gut kaufte, begann sich Kladow zu wandeln. Bis 1900 war der Ort ein kleines Bauerndorf, früher slawische Siedlung. Um die Jahrhundertwende aber entdeckten reiche Berliner das westliche Havelufer als Sommerfrische. Kladow, nicht Gatow. Gatow besaß zwar auch den ländlichen Charme und Wasser – aber eben nur die schmale Havel. Kladow dagegen hatte den Großen Wannsee mit Blick auf die Pfaueninsel. Außerdem versickerten in Gatows Hinterland damals noch Berlins stinkende Abwässer. Also waren es die Kladower Bauern, die ihr Land für viel Geld verkauften. Deshalb entstanden in Kladow jene prächtigen Villen und Landhäuser, die bis heute das Bild der Uferpromenade prägen.
Die Dichterin Mascha Kaleko zog 1920 nach Kladow. Der Berliner Maler Kurt Mühlenhaupt flüchtete Mitte der siebziger Jahre dorthin. Die Liebe der Menschen in Berlin könne einen wahrlich erdrücken, befand er. „Dann muss man mit jedem een Bier trinken und ist ständig besoffen.“ Mühlenhaupt zog in den Sakrower Kirchweg – und malte statt, wie zuvor, im Kreuzberger Milieu auf einer Haveldüne. Im Haus Nummer vier, schräg gegenüber, wohnte bis vor wenigen Monaten Volkmar Haase. Der Bildhauer hat Haus und Atelier zwar verkauft, einige seiner Edelstahlskulpturen stehen aber noch im Garten. Chansonier Klaus Hoffmann und Komponist Isang Yun wurden ebenfalls hier von der Muse geküsst.
Man muss nicht viel Fantasie aufwenden, um sich vorzustellen, warum. An der Imchenallee, einen Steinwurf von der Hauptstraße entfernt, scheint die Zeit stillzustehen. Dort, wo das BVG-Schiff stündlich nach Wannsee startet, liegt das, was die Kladower selbst „Spandauer Riviera“ nennen. Und Restberlin mit seinen Problemen scheint eine Ewigkeit entfernt. Dabei ist man in einer halben Stunde mit dem Auto am Ku’damm. Heile Welt am westlichen Havelufer. Keine Arbeitslosigkeit, kaum Sozialhilfeempfänger, vorderer Platz im Sozialstrukturatlas der Stadt.
Aber: Kladow wird geschlagen von Gatow, dem Spitzenreiter unter 298 untersuchten Kiezen. Gatow hat 5000 Einwohner, eine Haupt-, eine Nebenstraße, zwei schöne Havelbadewiesen. Und die Villa Lemm im Rothenbücher Weg. Otto Lemm, der sich die Villa in den Jahren 1907 und 1908 bauen ließ, war Fabrikant. Er ließ Schuh- und Metallputzmittel herstellen – und sein Anwesen herrichten: Villa, Teepavillon, Boots-, Tor- und Gewächshäuser, Wirtschafts- und Garagengebäude im Stil englischer Landhäuser. Dazu einen Garten im Stil der italienischen Renaissance. Die englischen Royals ruhten sich dort beim Tee aus, wenn sie in der Stadt waren. Albert Einstein spielte im Garten Orgel. Die Villa Lemm ist sozusagen Kladows Lehnschulzengut.
Marc Neller
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