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Der Pianist Igor Levit, Jahrgang 1987.
© Robbie Lawrence

Klavierabend Igor Levit: Der Teufel steckt in der Variation

Sein erster Auftritt auf einem Berliner Podium liegt sechs Jahre zurück. Nun spielt der Pianist Igor Levit Beethoven und Rzewski im Kammermusiksaal.

Sechs Jahre es ist her, da tauchte Igor Levit erstmals auf einem Berliner Podium auf, ein Pianist, dem schon vor seinem Konzertexamen der Ruf des Außergewöhnlichen vorauseilte. Seine motorische Getriebenheit befeuert die geistige Durchdringung der Musik und umgekehrt. Man hat das Gefühl, dabei zu sein, wenn sich neue Klangsynapsen bilden. Levit zuzuhören, fordert ganz und gar, jenseits aller Gemütlichkeit. Viel ist er aufgetreten seit seinem Debüt, zu dem er im Radialsystem noch Videos seiner selbst projizieren ließ. Inzwischen hat sich Levits Kontur derart geschärft, dass Bilderbeigaben undenkbar erscheinen. Gemütlich wird es noch immer nicht, das sieht man schon dem dreieckigen Bauhaus-Tischchen an, das Levit als Klavierhocker dient.

Im Kammermusiksaal, in dem er zwei Tage zuvor Bachs Goldberg-Variationen aufgeführt hat, knöpft er sich nun erneut sein Debüt-Werk vor: die Diabelli-Variationen. Was Beethoven aus dem vorgegebenen Walzer schuf, den er einen „Schusterfleck“ schimpfte, ist die Auslöschung aller Galanterie durch musikalischen Furor in „33 Veränderungen“. Ein Stück für Levit. Wie aber klingt Kompromisslosigkeit? Hier hat der Pianist eine neue Eskalationsstufe erreicht und duckt die Diabelli-Variationen unter einen tief liegenden Klanghorizont.

Alles ist gedrückt, allerlei angequetscht, manches zerborsten unter einem Innendruck, der nie nachlässt. Schon die erste Variation pulverisiert den Marsch-Charakter mit unverhohlener Nervigkeit. Alles wirkt wie gegen einen unsichtbaren Widerstand angespielt, mit Atem, der nie frei strömen darf. Dass Kunst der Befreiung des Menschen diene, ist nur ein frommer Wunsch, raunzt Levits Spiel. Von seinem Toben klingt wenig nach. Die Auslöschung ist dem Herzen der Musik gefährlich nahegekommen.

Ganz anders im nicht minder monströsen zweiten Teil mit Frederic Rzewskis Variationszyklus „The People United Will Never Be Defeated!“ von 1975, einem Werk mit Sendungsbewusstsein, das Levit in scharfem Kontrast zu Beethoven entwickelt. Der Himmel reißt auf, leidenschaftlich durchläuft das dem chilenischen Protestlied „El pueblo unido jamás será vencido“ abgehörte Thema 36 Variationen, wird durch Genres und Techniken gewirbelt, über 1200 Takte lang. Levit legt sich in die Tasten, der Schweiß tropft. Widerstände, Klavierdeckelschüsse und Pfeifen in der Finsternis können diese Musik nicht davon abhalten, der finalen Verschmelzung entgegenzustürmen. Einheit als Herkulesaufgabe. Das Publikum springt erleichtert von den Sitzen. Ein Triumph, für den Levit Diabelli riskiert – und alles gewinnt.

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