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Rituelle Einsegnung der Maori-Porträts durch Nachfahren in der Neuen Nationalgalerie.
© dpa

Maori-Porträts in der Alten Nationalgalerie: Der tätowierte Geist

Mit der Ausstellung „Gottfried Lindauer: Die Maori-Porträts“ schlägt die Alte Nationalgalerie ein neues Kapitel der Kunstgeschichte auf. Nachfahren der dargestellten Stammesfürsten eröffneten die Schau mit einem Ritual.

Vermutlich ist es die ungewöhnlichste Pressekonferenz in einem staatlichen Museum, die früheste ganz gewiss. Am Dienstag um 7.34 Uhr soll sie vor der Alten Nationalgalerie beginnen, pünktlich zum Aufgang der Sonne, die sich dann aber hinter grauen Novemberwolken versteckt. Mit einigen Minuten Verspätung kommt ein kleiner älterer Herr mit dichtem weißem Haar heraus, um seine Schultern ein Umhang aus bräunlichen Vogelfedern, die vom Kiwi stammen, dem Nationaltier Neuseelands. Die Zeremonie kann beginnen.

Patu Hohepa, Ältester der Maori, schreitet, begleitet von zwei Frauen, ebenfalls mit prächtigen Umhängen, auf Strümpfen durch die Eingangshalle. Gesang erklingt, vorneweg, die große Treppe der Nationalgalerie hinauf, geht ein Maori, nur mit schwarzem Bastrock bekleidet, zwei weiße Federn am Hinterkopf, Brust und Gesicht mit geometrischen Mustern tätowiert. Immer wieder hebt er schnell wedelnd seine Waffe aus weißem Stein über dem Haupt, stößt gutturale Rufe aus, reißt die Augen auf, streckt die Zunge heraus.

Langsam bewegt sich der Tross mit wild um sich blickenden maorischen Kämpfern, dem neuseeländischen Botschafter und Vertretern des Auckland Museums ins oberste Geschoss. Patu Hohepa tritt vor das erste Werk der Ausstellung, redet auf das Bildnis ein. Ein magischer Moment, das Ritual wiederholt sich vor jedem der 48 Gemälde. Der Kontakt zu den Geistern der Porträtierten ist hergestellt, sie können in der Obhut der Nationalgalerie bleiben.

Der europäische Blick. 1890 malte Gottfried Lindauer den Stammesfürsten Tamati Waka Nene.
Der europäische Blick. 1890 malte Gottfried Lindauer den Stammesfürsten Tamati Waka Nene.
© Auckland Art Gallery

Ein spektakulärer, ein bewegender Auftakt zu einer Ausstellung, die Konventionen sprengt. Porträts von Maori-Repräsentanten in vollem Habit, mit Jadeschmuck behängt und dekorativen Waffen ausgestattet, das Antlitz von bläulich-schwarzen Lineaturen bei einigen komplett überdeckt – das war bisher eher etwas für Ethnologen. Mit der fulminanten Gottfried-Lindauer-Schau zieht diese eigene Gattung in einen Tempel der europäischen Hochkunst ein, die Säle mit Caspar David Friedrich und den Klassizisten bleiben nachbarschaftlich bestehen – auf Augenhöhe. Gottfried Lindauer (1839 – 1926), den in der hiesigen Kunstgeschichte bis dato unbekannten Namen, wird man sich merken müssen. Die Marginalisierung von Maler wie Motiven endet hier. In der Alten Nationalgalerie prallen zwei Welten aufeinander, die schon vor der Erkenntnis des global village und der Eröffnung eines Humboldt-Forums mehr miteinander zu tun hatten, als man bislang auf unserer nördlichen Halbkugel erahnte.

Gottfried Lindauer hielt eine untergehende Kultur mit seinen Bildern fest

Hierzulande wird der Blick in die umgekehrte Richtung in sogenannten Labs gerade eingeübt (siehe Bericht S. 20). Der im tschechischen Pilsen geborene Gottfried Lindauer – im Stil der Nazarener an der Wiener Akademie ausgebildet – praktizierte ihn bereits im 19. Jahrhundert. Aus Mangel an Aufträgen und auf der Flucht vor dem Einberufungsbefehl wandert er 1874 nach Neuseeland aus und entdeckt dort sein fortan ausschließliches Motiv: die indigene Bevölkerung. Lindauer und mit ihm sein künftig größter Auftraggeber, der Geschäftsmann Henry Partridge, wird schnell klar, dass hier eine ganze Kultur im Untergang begriffen ist, brutal verdrängt von den Kolonialisten aus der Alten Welt. Die Sprache der Maori gerät bereits zunehmend in Vergessenheit, deren Artefakte werden von Forschern in die ethnologischen Museen Europas geschafft, die Bräuche verlieren sich.

Der Künstler auf Arbeitssuche, der in Lokalzeitungen für seine Porträts wirbt und sie zunächst in Schaufenstern präsentiert, weil es in Auckland weder einen Kunstmarkt noch Museen gibt, dreht den Spieß um. Er malt die maorischen Stammesfürsten gleichberechtigt, im Stil höfischer Repräsentanten, klassisch in Dreiviertelfigur, der Hintergrund in Sepiabraun oder mit dramatisch bewölktem Himmel. Der gesammelte Ernst steht Männern wie Frauen ins Gesicht geschrieben, und doch pulst in ihrem Antlitz eine Lebendigkeit, strahlen sie eine Klugheit und Würde aus, die auch 150 Jahre später noch beeindruckt. Lindauer gewinnt durch seine respektvolle Darstellung die Achtung der Maori, die ihn selbst beauftragen, häufig mittels Fotografien, die sie von sich und ihren Vorfahren besaßen.

Auch hier müssen wir als Betrachter umdenken lernen. „Cartes de Visite“, Schwarz-Weiß-Aufnahmen von den „Wilden“ Neuseelands, waren in Europa damals groß in Mode. Die vermeintlichen Schreckensbildnisse tätowierter Kannibalen sollten deren Christianisierung durch Missionare und gewaltsame Verdrängung durch die Siedler legitimieren. Die Maori aber benutzten sie selber als lebendige Erinnerung an Mitglieder ihrer Familien. Knapp hundert Beispiele, einzeln oder in ganzen Bänden, sind in den Kabinettsälen der Alten Nationalgalerie zu sehen. Noch heute finden sich in vielen Haushalten die historischen Bilder, hoch geehrt wie die Gemälde. Das Verhältnis zu den dargestellten Personen, zu längst verstorbenen Familienmitgliedern ist ein vollkommen anderes als in unseren Breitengraden: Über den Tod hinaus bleibt eine seelenhafte Verbindung bestehen. Von diesen fundamentalen, Generationen zurückreichenden verwandtschaftlichen Beziehungen zeugen bis heute die Gesichtstätowierungen, Moko genannt.

Hier schließt sich der Kreis. Die Vorbereitung der Ausstellung zog sich über Jahre hin, denn von den Familien jedes Porträtierten musste eine Genehmigung eingeholt werden, ob die Gemälde überhaupt reisen dürfen. Mit der großen Lindauer-Ausstellung sind sie erstmals in Europa zu sehen. Für Patu Hohepa, Haupt der maorischen Delegation in Berlin, steckt eine spirituelle Logik darin, dass damit auch etwas vom Geist des Künstlers zurückkehrt. So könnte man es durchaus sehen.

Alte Nationalgalerie, Museumsinsel, bis 12. 4.; Katalog (Walter König) 40 €.

Nicola Kuhn

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