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Ritual am Mount Hikurangi auf Neuseeland. Der Berg ist den Ngati-Porou-Maori heilig, wer ihn besteigen möchte, sollte vorher um Erlaubnis fragen.
© Torsten Blackwood, AFP

Nordinsel von Neuseeland: Wo die Verheißung funkelt

Auf einem Berg in Neuseeland warten Maori und Touristen auf das erste Licht des neuen Jahres.

Kurz vor halb fünf glimmt es auf am Horizont. Ein Gleißen schält sich aus dem fernen Ozean und malt den Himmel an. Glühendes Rot, leuchtendes Orange, auslaufend in sanftem Blau und Violett. Die Sonne geht auf, und wir sind an diesem Morgen wohl die ersten Menschen auf diesem Planeten, die das Schauspiel erleben. Hier, an den Flanken des Hikurangis am anderen Ende der Welt, auf der Nordinsel Neuseelands.

Vor einem Tag sind wir losgestiefelt aus dem Tapuaroa-Tal, immer bergan durch ausgedehnte Viehweiden. Die Nacht in der Hütte war zugig, nun aber dampft heißer Tee in unseren Tassen, und die Sonne wärmt die Nasenspitzen. Wie zwei riesige Kamelhöcker ragen hinter uns die beiden Zinnen des Hikurangis auf, des größten nicht vulkanischen Bergs der Nordinsel Neuseelands. Weit im Osten liegt er, im Raukumara-Gebirge an der spärlich besiedelten East Coast, abseits der Hauptschlagadern des Tourismus. Doch ist es genau diese Lage, die ihn so reizvoll macht: Seine Spitze, so hatten es die Reiseprospekte behauptet, sei jener Fleck auf dieser Erde, der zuerst vom Licht eines neuen Tages getroffen werde. Jetzt, wo wir nur wenige hundert Meter unter dem Gipfel stehen und das Spektakel bestaunen, glauben wir das aufs Wort.

Tatsächlich gebührt der Superlativ vom ersten Sonnenaufgang dem Caroline-Atoll in Kiribati sowie den Chatham Islands im Südosten Neuseelands. Und dennoch: In der Nacht vom 31. Dezember zum 1. Januar strömen immer wieder Menschen aus aller Welt zum Hikurangi, um dabei zu sein, wenn das neue Jahr heranfunkelt. Zur jüngsten Jahrtausendwende schaffte es der Berg gar in die Weltnachrichten: Etliche Kamerateams und mehr als 2000 Besucher waren dabei. So viele sind es jetzt nicht mehr. „Aber zwei- bis dreihundert kommen an Neujahr auch jetzt noch“, sagt Paora Brooking.

Wir treffen ihn vor unserer Tour in Ruatoria. Paora ist so was wie der Tourismuskoordinator der Ngati Porou, jenes Maori-Stamms, der das Land verwaltet. Es ist zwar noch nicht Neujahr, doch wir wollen dennoch zum Hikurangi. 15 Dollar pro Person berechnet Paora für die Übernachtung in der Hütte. Den Segen, überhaupt auf den Gipfel klettern zu dürfen, gibt es dagegen gratis. Doch man fragt die Ngati Porou um Erlaubnis. Aus Respekt. Denn für das Volk der Maori ist der Hikurangi nicht irgendein Berg, sondern das steinerne Monument ihrer Identität und ihr größter kultureller Schatz. „Ko Hikurangi te maungu, ko Waiapu te awa, ko Ngati Porou te iwi“, heißt es in ihrem Sprichwort. Hikurangi ist der Berg, Waiapu ist der Fluss, Ngati Porou ist der Stamm.

Die Ngati Porou siedeln bereits seit Jahrhunderten an der East Coast, und wohl nirgends in Neuseeland hat sich der Stolz der Maoris so gehalten wie hier. Der Stamm ist der zweitgrößte des Landes, mehr als 70 000 gehören ihm an. Einst hat er schwere Schlachten gegen feindliche Klans geschlagen und anschließend, so gut es eben ging, dem Einfluss der europäischen Siedler widerstanden. Zuweilen drückten die Ngati Porou der neuseeländischen Geschichte gar selbst ihren Stempel auf: Aus ihren Reihen stammt George Nepia, der erste Superstar des Nationalsports Rugby. Auch Sir Apirana Ngata, dessen Konterfei die 50-Dollar-Note ziert, begann an der Ostküste seine große politische Karriere als Anwalt für die Rechte der Maori.

Der Halbgott Maui hat die Nordinsel aus dem Meer gefischt

Sonnanaufgang auf dem Hikurangi.
Sonnanaufgang auf dem Hikurangi.
© Torsten Blackwood, AFP

Heute gilt die Region freilich als eine der strukturschwächsten Neuseelands. Es gibt ein paar Dörfer, Forst- und Landwirtschaft, aber nicht genug, um allen Menschen Arbeit zu geben. Viele sind weggezogen in die großen Städte, nach Auckland im Norden oder Wellington im Süden.

Hier, inmitten des Kerns ihrer Kultur, ist das Selbstbewusstsein der Ngati Porou noch immer präsent. In Ruatoria sehen wir viele Männer und Frauen mit den traditionellen Gesichtstattoos, den sogenannten Mokos. Die Schnitzkunst aus der Region ist berühmt, viele Arbeiten finden sich an Kirchen und Versammlungsplätzen der East Coast oder in den großen Museen überall im Land. Aus Anlass der Millenniumsfeier haben die Ngati Porou auch am Hikurangi einen Kreis neun gewaltiger Holzmonumente aufgestellt. „Hier, das sind sie alle“, sagt Paora und gibt uns bei unserem Aufbruch eine Art Lageplan der Maui Whakairo mit auf den Weg.

Am nächsten Morgen, als wir in ihrer Mitte stehen, holen wir das Blatt wieder hervor. Sonnenstrahlen fallen durch das Waka Haurua, dem Eingangstor zur Höhle des Wissens, und blitzen auf in den perlmuttfarbenen Augen des Halbgottes Maui. Die Ngati Porou glauben, direkt von ihm abzustammen, jenem Helden, dem der Legende zufolge ganz Neuseeland seine Existenz verdankt. Entschlossen steht Maui im Zentrum der Anlage, mit grimmigem Blick und den Linien des Mokos geschmückt. Dann sind da noch Irawhaaki, sein würdevoller Vater, oder Hine-rau-ma-ukuuku, seine Ehefrau, deren Gesicht als einziges nach außen gewandt ist. Du bist willkommen, so drückt es dieses Ensemble aus. Aber Du solltest Dich auch immer daran erinnern, mit wem Du es zu tun hast.

Als die Sonne höher am Himmel steht, steigen wir erneut hinauf zur Hütte. Der Gipfel ruft. Im Hüttenbuch hatten wir gelesen, dass vor allem die erste Passage hinauf ins eigentliche Bergmassiv schlimm sein soll. Es ist in der Tat sehr steil, und Speergras zersticht uns Hände und Waden. Als wir jedoch in einen Märchenwald voller Bergbuchen eintreten, wo Moose und Flechten dick von den Ästen hängen, und anschließend durch eine Heide mit bizarr verwitterten Baumruinen wandern, da haben wir Muße genug, um noch einmal nachzusinnen über die große Sage, die in den Whakairo aufscheint und die Menschen hier so eng an den Hikurangi bindet.

Sie handelt, natürlich, von Maui und seinem großen Fang. Der Hikurangi, erzählt die Legende, sei der erste Teil jenes enormen Fisches gewesen, der damals aus dem Meer stieg. Mauis Boot lief auf Grund, der Halbgott trat an Land und begründete das Volk der Ngati Porou. Sein Kanu Nukutaimemeha jedoch ließ er auf dem Hikurangi zurück, wo es bis heute im Fels ruhen soll.

Eine genauere Inspektion, inwiefern da etwas dran ist, verwehrt uns leider das Wetter. Vor dem letzten Aufstieg ziehen Wolken auf aus Westen, die Sichtweite fällt rapide. Hiku, sagte uns Paora noch tags zuvor, das heiße so viel wie Spitze. Rangi wiederum sei der Name des Himmels. Ein Gipfel also, der, einst aus tiefen Wassern gehoben, nun zum Himmel strebt. Und trotz der dicken Wolkendecke wird uns angesichts der letzten Stunden klar, was das noch bedeuten könnte: Der Hikurangi, er will zum Licht. Dahin, wo die Sonne früher scheint.

Roy Fabian

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