Humboldt Forum bekommt Kreuz: Der Streit um die Kuppel des Berliner Stadtschloss – eine Chronik
Am Freitag soll die Schlosskuppel in Berlin das christliche Symbol zurückerhalten. Die Aktion war hochumstritten.
Wenn Wind und Wetter günstig sein sollten – vor allem der Wind –, wird am Freitag dieser Woche das Kreuz auf die Kuppel der Schloss-Rekonstruktion gehoben. Genauer: die gesamte Laterne mitsamt dem Kreuz, aber auch den acht tragenden Cherubim, alles in allem 12 Meter hoch und 16 Tonnen schwer, die da in zwei Abschnitten nach oben gehievt und zusammengesetzt werden sollen.
Das vergoldete Kreuz ist selbstverständlich kein beliebiges Kreuz, sondern eben das Symbol der christlichen Religion; es bildet so etwas wie den weithin sichtbaren Abschluss der Bauarbeiten, die das Äußere des Schlosses haben wiedererstehen lassen.
Denn nur das Äußere – und weniges im Inneren – bildet das Schloss ab, wie es vor den Zerstörungen im Bombenkrieg und dem schlussendlichen Abriss der Ruine im Jahr 1950 auf der Spreeinsel gestanden hatte.
Im Inneren sowie äußerlich an seiner Ostseite ist das Schloss ein Neubau, eben das Gehäuse des Humboldt-Forums, dessen erste Teileröffnung mit Verzögerung, aber noch in diesem Herbst erfolgen soll.
Ursprünglich war ein Schloss ohne Kuppel geplant
Vom Kuppelkreuz war anfangs gar nicht die Rede. Es ist, könnte man sagen, im Laufe des Schlossbauwettbewerbs in die Planung hineingeraten. Die Kuppel selbst stand ja ursprünglich zur Disposition, gebunden an das Bundestagsvotum, das keinerlei öffentliche Mittel für die Rekonstruktion der Kuppel vorsah, wohl aber dessen Wiederherstellung mittels privater Spenden gestattete.
So kam es denn auch. Eine anonyme Großspende ermöglichte die Kuppel, und eine runde Millionenspende von Versandhaus-Eignerin Maren Otto das krönende Kreuz, das fortan in einer Werkstatt in Berlin-Weißensee geformt und vergoldet wurde.
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2017 wurde die Planung mit dem Kreuz als fait accompli öffentlich. Ein heftiger Streit hob an. Das Symbol des Christentums und darüber hinaus der preußischen Verbindung von „Thron und Altar“ über einem Gebäude, das dem interkulturellen und interreligiösen Dialog dienen soll, ist ein Affront, empörten sich die Gegner. Wenn schon historische Kuppel, dann mit dem historischen Kreuz, winkten dessen Befürworter ab.
Ach ja, außer dem Kreuz ist noch ein weiteres Remake zu verzeichnen – ein in Goldbuchstaben auf dem Kuppeltambour umlaufender Spruch, den der preußische König Friedrich Wilhelm IV. höchstselbst aus zwei Bibelstellen komponiert hat: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“
[Unter diesem Link lässt sich die Kuppel des Stadtschlosses im Live-Stream nachverfolgen.]
Der „Romantiker auf dem Königsthron"
Dieser Monarch war es, der die Kuppel bauen ließ – das aus der vorangegangenen Zeit des Barock stammende Schloss besaß dergleichen nicht. Anfängliche Planungen verliefen nach 1700 buchstäblich im Sande, nachdem der Einsturz eines halb fertigen Eckturmes den ungünstigen Baugrund deutlich gemacht hatte.
Erst Friedrich Wilhelm IV., der seit 1840 regierende „Romantiker auf dem Königsthron“, wünschte eine Kuppel und gab seinem Baumeister Friedrich August Stüler vor, eine neue Schlosskapelle hoch droben zu errichten und mit Kuppel und Sinnspruch zu bekrönen.
1854 war das Bauwerk fertig – ingenieurtechnisch übrigens hoch modern, denn Stüler, der Architekt auch des Neuen Museums, sah keine barock-steinerne, sondern eine gewichtsreduzierte Eisenkonstruktion vor.
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Wenn nun in den nächsten Tagen ein riesiger Autokran sich in den Himmel recken wird, um die Laterne mit dem vier Meter hohen Kreuz auf die Kuppel zu heben, dürfte mit der öffentlichen Aufmerksamkeit auch die Kreuz-Debatte von Neuem beginnen. Die Stiftung Humboldt Forum hat dazu Materialien eingestellt. Denn es ist im Grunde bereits alles gesagt.
Kreuz als Zeichen, mehr nicht?
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), formal die Bauherrin des Humboldt Forums und privatim bekennende Katholikin, formuliert die sozusagen offizielle Toleranzlinie: „Die nun abgeschlossene Rekonstruktion der Kuppel ist ein weiterer Meilenstein beim Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Das dazugehörige Kreuz ist ein markantes Zeichen – und eine Einladung zur Diskussion.
Das Kreuz als Symbol für das Christentum steht für Nächstenliebe, Freiheit, Weltoffenheit und Toleranz. Genau das ist auch die Grundhaltung des Humboldt Forums.“ Unterstützung erhält diese Position beispielsweise von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland: „Das Kreuz auf der Kuppel gehört als kulturelles und historisches Erbe dazu und ich empfinde dabei kein Gefühl des Störens, zumal man diesen Kontext nicht verschleiern oder zwanghaft abschaffen soll.
Wer die Gleichrangigkeit der Religionen durch zukünftige weltliche Bauten darstellen will, kann das Symbol beispielsweise aller drei abrahamitischen Religionsgemeinschaften, Judentum, Christentum und Islam, vereint aufnehmen.“
Gegenstimme der Linken
Der Berliner Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) vertritt die entgegengesetzte Auffassung: „Kreuz und Inschrift auf der Kuppel sind eine ‚Überschrift‘ über dem Humboldt Forum, die ich als falsches Signal empfinde.
Das Kreuz ist ein eindeutig religiöses Zeichen, seine Inhalte klar definiert. Seine Alleinstellung konterkariert nahezu alles, was wir mit dem Humboldt Forum wollen: Zeigen, wie mehrdeutig, vielfältig, verschlungener, breiter und tiefer unsere Wurzeln tatsächlich sind. Ganz im Sinne der Namenspaten, ganz im Sinne von Humanismus und Aufklärung – und der Gleichwertigkeit aller Menschen und Kulturen.“
Die Position eines wertneutralen Historikers nimmt Schloss-Architekt Franco Stella ein. Er betont, „dass mit dem Verlust des Kreuzes auch das Verständnis der ursprünglichen Nutzung und historischen Bedeutung der Kuppel verloren ginge. Ohne Kreuz könnte die Kuppel uns über seine Geschichte sogar Falsches erzählen. Und die Inschrift um die Kuppel verstärkt unser Wissen über die staatlich-formale Beziehung der preußischen Könige zum Christentum.“
Die pragmatische Lösung
Generalintendant Hartmut Dorgerloh schließlich sucht Bauwerk und Institution strikt zu trennen. Er betont, „dass das Humboldt Forum ein offener Ort für den weltweiten Austausch von Kultur und Wissenschaften ist – ein Ort der Diversität und der Diskussion, aber ebenso ein Ort mit einer ganz besonderen Geschichte.
In diesem Kontext ist für uns auch die komplexe und nicht widerspruchsfreie Rekonstruktion des Hauses zu sehen – eine Rekonstruktion, die heute ausschließlich städtebaulich und baukulturell begründet ist, und bei der es nie um ein Zeichen für die Wiedereinführung der Monarchie oder für die Dominanz und den Alleinvertretungsanspruch des Christentums ging.
Alle Symbole verstehen wir als bauhistorische Zitate, mit denen wir keinerlei inhaltliche oder gar programmatische Aussage für unsere gemeinsame Arbeit im Humboldt Forum verbinden.“ Paul Spies, als Direktor des Stadtmuseums der Erste, dessen Institution im Schloss ihre Ausstellung präsentieren wird, geht die Sache pragmatisch an.
Den Bibelspruch an der Kuppel verstehe er als Reaktion der preußischen Machthaber auf die Revolutionsereignisse in Berlin 1848: „Als Herrscher von Gottes Gnaden verlangte Friedrich Wilhelm IV. den Kniefall seiner Untertanen für sich selbst! Eine solche in Goldlettern übermittelte Botschaft darf im Humboldt-Forum nicht unkommentiert bleiben: Die Revolution 1848, die erste machtvolle Demokratiebewegung in Berlin, wird deshalb in der Berlin-Ausstellung ein zentrales Thema sein.“
Buddha unterm Kreuz
Auf dem Modell der Schloss-Rekonstruktion von Wettbewerbssieger Franco Stella im Jahr 2008 war die Kuppel, aber kein Kreuz zu sehen – der Maßstab war schlicht zu klein. Aber klein dürfte auch das reale Kreuz für die Besucher des Humboldt-Forums wirken, wenn es erst einmal in fast 70 Metern Höhe aufragt.
Dass sich ausgerechnet in der einstigen Kuppel die Kapelle des schwärmerischen Königs befunden hat, dürften die wenigsten wissen oder sie überhaupt interessieren.
Dass künftig in dem gänzlich neu gestalteten Obergeschoss die Wandmalereien der buddhistischen „Höhle der Ringtragenden Tauben“, ein aus dem ersten Jahrtausend v. Chr. stammendes Spitzenobjekt des Asiatischen Museums, zu sehen sein werden, dürfte ebenso wenig für Irritation sorgen.
Außen Schloss, innen Humboldt Forum: Auf diese pragmatische Formel wird sich die mehrheitlich säkulare Öffentlichkeit verständigen.
Auch das hätte Geschichte. Denn bereits zu ihrer Entstehungszeit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Kuppel unter dem Gesichtspunkt der ästhetischen Notwendigkeit – als Höhenakzent auf dem breit gelagerten Schlossbau – gesehen. Es war der frömmelnde König, der daraus ein Bekenntnis zu seinem, damals längst belächelten Gottesgnadentum machte.
Paul Spies, der gewiefte Museumspraktiker, hält schon einen Vorschlag für künftiges Experimentieren bereit: „Machen wir doch etwas Besonderes mit dem Kreuz! Wie wäre es, wenn es nicht permanent da wäre und wir die Kuppel zeitweilig einer anderen Religion anböten?“