Till Brönner: Ein Ton sagt mehr als 1000 Worte
Wenn es einen Jazzmusiker in Deutschland gibt, der Popstarstatus hat, dann ist es Till Brönner Mit seinem neuem Album kommt er am Mittwochabend in den Postbahnhof.
20 Minuten sind weg, einfach so. „Die habe ich heute irgendwann verloren und kann sie nicht wiederfinden.“ Till Brönner ist spät dran. Das stresst, wenn man Perfektionist ist. Draußen auf der Suarezstraße blaut der Abend. Der Wirt seiner Stammtrattoria bringt einen Rotwein. Der Popstar unter Deutschlands Jazzmusikern legt die Arme auf die karierte Tischdecke und atmet erst mal aus. Beim Italiener geht es familiär zu. Im Hintergrund dudelt Burt Bacharach. Brönner kehrt gern hier ein, wenn er aus seinem Tonstudio um die Ecke kommt.
Sein Existenzialistenlook – schmale Gestalt, schwarzer Rolli – passt zum Retrotouch seines jetzt erschienenen neuen Albums, auch wenn zwei Jahrzehnte zwischen der großen Zeit von Philosoph Jean-Paul Sartre Anfang der 50er Jahre und der des Trompeters Freddie Hubbard liegen. Dessen 1971 beim Jazzlabel CTI herausgekommenes Album „First Light“ ist so etwas wie Brönners ästhetische Blaupause für seine eigene, schlicht „Till Brönner“ betitelte CD. Am Mittwoch stellt er sie im Postbahnhof am Ostbahnhof vor.
Dazu hört der Trompeter jetzt immer Sätze wie „Willkommen zurück in der Jazz-Community“, erzählt er. „Dabei war ich niemals weg!“ Genau das haben Puristen dem inzwischen 41 Jahre alten, ebenso ansehnlichen wie geschäftstüchtigen Jazz-Wunderkind der 90er, dem chartsstürmenden Pop-Jazzer, dem Castingshow-Juror nicht mehr abgenommen. Zu groß der Starappeal seiner Produktionen, an denen Hilde Knef, Carla Bruni, die 12 Cellisten, Thomas Quasthoff oder Snoop Dog mitwirkten. Zu seicht seine Arrangements, zu dünn sein Gesang etwa auf dem 2010er Bestselleralbum „At the End of the Day“. Überhaupt zu omnipräsent der Herr.
Auch Brönner selbst, der die Castingshow „X Faktor“ 2011 nach zwei Staffeln verließ, stand der Sinn nach Konzentration aufs Wesentliche. „Ich bin selber ein bisschen dran schuld, dass die Leute mehr über mich als über meine Musik reden“, sagt er. Deswegen die musikalische Neuaufstellung: „Ein Album ohne Gäste, ohne Gesang, nur Instrumente.“ Aber warum ausgerechnet im mit Streichern, Flöten und Vibraphon aufgerüschten, Funk und Fusion zitierenden Siebziger-Sound? Tja, nickt Brönner. So luxuriös, so handwerklich perfekt wie damals von Produzent Creed Taylor seien Jazzalben nie wieder produziert worden, sagt er. „Mir geht es um diesen dreidimensionalen Klang.“ Der habe ihn immer schon inspiriert. Auf dem Album lässt er ihn mal heiter, mal cool, mal süßlich aufleben. Neben von Brönner komponierten und mit seiner Stammband eingespielten Nummern finden sich darauf auch welche der alten Helden Dave Grusin und eben Freddie Hubbard.
Brönners Trompetenspiel ist glanzvoll wie stets, die zweijährige Fernsehepisode hat der Virtuosität nicht geschadet. Doch, findet er. Das sei neben aufkeimender Langeweile auch ein Grund fürs Aussteigen aus dem Fernsehgeschäft gewesen. „Ich konnte die nötige Fitness auf meinem Instrument nicht halten.“ Außerdem haben ihm die Musik, die Konzerte gefehlt. Das glaubt man dem engagiert statt eitel rüberkommenden Professor der Musikhochschule Dresden sofort. Allein schon, wie er über den „entscheidenden Schönheitsfehler“ seiner Wahlheimat Berlin wettert. „Angesichts der lebendigen Jazzszene, der vielen Orchester und Chöre ist es skandalös, dass Berlin kein repräsentatives Jazzensemble hat.“ Ganz anders New York, wo Wynton Marsalis am Lincoln-Center ein Jazzorchester leite. So etwas brauche Berlin auf dem Weg zur Jazzmetropole auch, fordert Brönner feurig. „Da will ich gerne Impulsgeber sein.“
Nur folgerichtig für einen Musiker, der seine Prägung nach dem Kölner Trompetenstudium in Berlin als 20-jähriger Orchestersolist bei der Rias Big Band erhalten hat. Diese durchaus nicht nur wonnigen Erinnerungen hat er ja 2010 schon im Buch „Talking Jazz“ beschrieben. Doch auch beim Treffen lässt Till Brönner keinen Zweifel daran, dass die harte Musikantenschule der Pfingstfrühkonzerte im Zoo eine gute Grundlage für eine Künstlerkarriere ist. „Da habe ich als Musikdienstleister eisern und routiniert zu funktionieren gelernt.“
So präzise und elegant wie die Trompete spielt Brönner auch das Flügelhorn, das auf dem neuen Album verblüffend häufig zum Einsatz kommt. Das habe sich beim Einspielen so ergeben, sagt er. Er mag den warmen Klang, der der menschlichen Stimme ähnelt. „Das Flügelhorn ist die weibliche Trompete.“
Von Album zu Album immer virtuoser zu werden, das könne es doch nicht nur sein, sinniert er. „Ich will einfach nicht mehr so viele Worte auf der Trompete machen, so vieles ist längst gesagt.“ Die Erkenntnis überrascht bei einem, der so flüssig, verbal wie auch mit dem Instrument, zu plaudern versteht. Doch Brönner meint es ernst mit der Neuaufstellung – auch am Flügelhorn. „Ich kann damit weniger spielen und mehr sagen.“
Mittwoch, 20 Uhr, Postbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8, ab 35 Euro
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