Klaus Lederer und die Volksbühne: „Von Dercon kamen keinerlei Ansätze oder Ideen"
Der Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses debattiert über das Volksbühnen-Debakel und die Zukunft des Theaters. Senator Lederer holt zur Erklärung weit aus.
Es kommt nicht oft vor, dass der Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses so unmittelbar nach einem tektonischen Ereignis tagt. Am Montag aber doch, gleich nach dem Ende des kurzen Gastspiels von Chris Dercon als Intendant der Berliner Volksbühne. Also wird flugs, auf Antrag aller Parteien außer der AfD, die Tagesordnung geändert: Herr Kultursenator, bitte erklären Sie, was da passiert ist, und vor allem, wie es weitergehen soll an dem Haus, das bis zum Ende der Intendanz von Frank Castorf im Sommer 2017 zu den wichtigsten deutschen Sprechtheatern zählte.
Klaus Lederer holt weit aus. Er erzählt von Indizien, die sich seit November gehäuft hätten, Indizien dafür, dass Dercons Konzept einer Mischung der Sparten mit teuren Koproduktionen und Gastspielen nicht aufgehe, dass sich bei mangelndem Publikumszuspruch ein strukturelles Problem zuspitzt. „Von Dercon kamen keinerlei Ansätze oder Ideen, wo es hingehen könnte“, so Lederer. „Das war ausschlaggebend, nicht allein die Finanzlage. Schlechte Zahlen, das kann passieren, deshalb muss man keine Intendanz beenden.“ Ab Herbst hätte es kein spielfähiges Repertoire mehr gegeben, mit Schließzeiten von bis zu 15 Tagen im Monat.
Dercon selbst bat nach Darstellung von Lederer schließlich um einen Termin in der Kulturverwaltung, man traf sich am vergangenen Montag, den 9. April. „Wir haben uns verständigt, die Intendanz zu beenden“ – so die offizielle Formulierung des Senators. Der Aufhebungsvertrag sei noch nicht unterschrieben, die Höhe der Abfindung kein Thema für die Öffentlichkeit. In zwei Wochen will der Linken-Kultursenator den kulturpolitischen Sprechern der Fraktionen die Details mitteilen – „vertraulich“.
Kritik müsse in einer Demokratie möglich sein
Klaus Lederer sieht sich auch in dieser Sitzung wieder dem Vorwurf ausgesetzt, die Ablöse von Chris Dercon aktiv mitbetrieben zu haben. Die Exekutive habe alles getan, so Robbin Juhnke (CDU), „damit seine Intendanz auch ja scheitert“. Was Lederer das einzige Mal an diesem Nachmittag laut werden lässt: „Das weise ich zurück. Alle Zusagen, die ich von meinem Vorgänger übergeben bekommen habe, habe ich erfüllt. Und die Besetzung der Volksbühne hat unsere Verwaltung selber mit persönlichem Einsatz vor Ort beendet.“ Nur vor inhaltlicher Kritik an seinem Konzept habe er Chris Dercon nicht schützen können und wollen, solche Kritik müsse in einer Demokratie möglich sein. Von Daniel Wesener (Grüne) kommt der Appell, die „billigen Aufrechnungen“ bleiben zu lassen. „Stattdessen sollten wir uns alle als Kulturpolitiker fragen, welchen Anteil wir an dem haben, was passiert ist.“ Vor allem gehe es jetzt um ein vernünftiges Verfahren zur Klärung der Frage, wie die Zukunft der Volksbühne aussehen soll.
Das will jetzt natürlich jeder wissen: Wer wird’s künftig machen? Die Formel lautet, da ist der Ausschuss sich weitgehend einig: sich Zeit nehmen, um ein tragfähiges Konzept zu entwickeln. Damit nicht wieder in einer Hauruckaktion wie unter Kulturstaatssekretär Tim Renner und Kultursenator Michael Müller – der sich seit Tagen über die Causa ausschweigt – ohne echte fachliche Expertise der letztlich falsche Mann geholt wird. Sämtliche vertraglichen Bindungen würden selbstverständlich weiterlaufen, so Lederer. Mit Interims-Intendant Klaus Dörr habe sich die Lage im Haus erstmal beruhigt. Dörr werde versuchen, erste Produktionen aus dem Haus heraus zu entwickeln. Und ausloten, ob die anderen Berliner Theater in dieser außergewöhnlichen Situation aushelfen können.
Grünen-Politiker Notker Schweikhardt kann dem mit harten Bandagen geführten Streit um die Volksbühne auch Positives abgewinnen. Er zeige, wie relevant Theater sei. Und die Werkstätten, Juwel des Hauses, seien ja noch da: „Ein Pfund, mit dem wir wuchern müssen.“
Ein Ergebnis dieses Streits ist ja verblüffenderweise, dass der noch vor wenigen Jahren als Theaterzertrümmerer attackierte Frank Castorf inzwischen als Bewahrer der Sprechtheatertradition gilt. Trotzdem scheinen sich alle Kulturpolitiker einig zu sein, dass das Ende der Ära Dercon auch das endgültige Ende der Ära Castorf bedeutet. Bei aller Nostalgie müsse Theater immer nach vorne schauen, so der Tenor. Ein etwas verquere Sichtweise, bedenkt man, dass die Castorf-Volksbühne über die Jahre so innovativ war wie kein anderes deutsches Theater. Und das, mit Ausnahme einiger Durchhänger, bis zum Schluss.