Herbert Grönemeyer in der Waldbühne: Der gute Mann aus der Mitte
Unser Land, unser Herbert, unser Fußball, unser Alles: Wie Herbert Grönemeyer seinem Publikum in der Waldbühne einen wunderbaren Abend beschert hat.
Ob Herbert Grönemeyer auf seiner aktuellen Tour dauernd den Namen der jeweiligen Auftrittsorte im Mund führt, bei den Ansagen oder gerade in den Songs? Ob er zum Beispiel in Mainz „Mainz, Mainz, Mainz“ gerappt oder gegrunzt oder geröhrt hat, um sein Stück „Mensch“ aufzulockern? „Berliiiin“ jedenfalls skandiert er an diesem schönen Frühsommerabend in der Waldbühne ziemlich häufig, besonders beim Singen seiner ewigen Hits wie „Bochum“ („Du bist keine Weltstadt, wie Berlin“), „Alkohol“ und eben „Mensch“. Und „ein Wahnsinn“ und „unfassbar“, klar, das ist es hier in der Waldbühne natürlich, dieser Konzertort ist wirklich eine Perle, eine Schönheit, gibt ja kaum Vergleichbares. Wenn wir das so wie er da unten sehen könnten! Und Berlin, genauso klar, ist Grönemeyers zweite Heimat, „mein Zuhause, hier wohne ich, hier lebe ich“, wie er gleich nach dem Eröffnungsstück bekennt.
Aber letztendlich, Wahlheimat hin oder her, hat Grönemeyer es gar nicht nötig, sein jeweiliges Publikum in welcher deutschen, österreichischen oder Schweizer Stadt auch immer zu umgarnen. Es kommt sowieso stets in großer Zahl, 22 000 Menschen sind es an diesem Abend, es liebt ihn wie kaum einen Musiker aus Deutschland - und er ist ja auch immer da, dauernd jetzt gewissermaßen. In den bunten Blättern, die von seiner Hochzeit berichten (und gegen die er, weil die gar nicht dabei waren und das Alter seiner Frau verfälschten, juristisch vorgeht); demnächst bei der Fußball-Europameisterschaft, denn mit dem jungen DJ Felix Jaehn hat er für die ARD und die deutsche Elf ein Lied geschrieben und eingespielt, „Jeder für Jeden“, „ zum Mitsingen und Mitfiebern“, wie „Das Erste“ auf seiner Website frohlockt.
Grönemeyer kokettiert mit dem Publikum
Und außerdem scheint er auf einer niemals endenden Tour zu sein, Jahr für Jahr, zumal sein Album „Dauernd Jetzt“ fast zwei Jahre alt ist. Als „Dauernd-Jetzt“-Tour mag die aktuelle Konzertreihe also kaum ein zweites Mal durchgehen, wenngleich Grönemeyer viele Stücke dieses Albums spielt, insbesondere zu Beginn seines Auftritts am Dienstag. Der Hit ist wohl „Fang mich an“, hier macht er vorher Berlin gleich wieder ein Kompliment, von wegen, dass die Berliner doch so gut und beweglich in den Hüften seien und dazu wirklich tanzen können, im Gegensatz zu ihm: „Ihr wisst doch, was ich mit meiner Tanzerei für eine Hysterie in Bad Segeberg ausgelöst habe, da habe ich alle Pferde wild gemacht.“
Wer Grönemeyer des Öfteren erlebt hat, kennt dessen Kokettieren mit den eigenen Unzulänglichkeiten zur Genüge. Es gehört zum Grönemeyer-Programm. Das mag als sympathische Selbstironie durchgehen, hat aber zudem etwas schal Selbstzufriedenes. Trotzdem kommt es gut an, selbst über den Dauerwitz, dass "Bochum" damals schon in Bottrop keiner mehr hören wollte, lachen wieder alle. Grönemeyer kann nicht singen, kann nicht tanzen, kann sich nur schwer lockermachen, sieht nicht übermäßig gut aus, schon gar nicht mit seiner Haarsträhne, die ihm dauernd ins Gesicht fällt - macht all das aber trotzdem und schert sich nicht um Äußerlichkeiten. (Dieses Mal trägt er unauffällig-legeres Schwarz). Er ist der Jedermann, der trotzdem aus sich rausgeht, der sagt, er verstehe seine Lieder oft selbst nicht, „ich finde sie aber trotzdem schön“, der gute Arbeit abliefert, von Beginn an. Deshalb lieben ihn alle, ihn und seine Lieder, die praktisch die ganze Waldbühne Zeile für Zeile mitsingt.
Das Konzert geht quer durch sein Werk
Interessanter ist vor diesem Hintergrund, dass Grönemeyer seinen Status nutzt, um politische Sendungen zu verbreiten. Vor dem Stück „Unser Land“ ruft er zur Solidarität mit den Flüchtlingen auf, appelliert er an die Verantwortung für sie, wendet er sich gegen „die Rechten“: "Nach rechts wollen wir nicht“. Und später, als er allein am Piano „Roter Mond“ singt, erinnert er an die jüngsten Katastrophen auf dem Mittelmeer. Er sagt da, dass „wir in unserer Saturiertheit“ die Beweggründe der Flüchtlinge womöglich nie nachvollziehen können, aber keinesfalls gleichgültig sein oder zur Tagesordnung übergehen dürften. Natürlich werden diese Sätze ordentlich beklatscht, aber nicht unbedingt stürmisch. Man fragt sich schon, gerade weil Grönemeyer so ein Guter direkt aus der Mitte des Landes ist, ob ihm bei diesen Aufrufen wirklich alle ohne Wenn und Aber zustimmen.
Doch es geht ja immer weiter, quer durchs Grönemeyer-Werk. Mit den Hits von früher, als die meisten im Publikum noch ganz jung waren. Diese Stücke funktionieren vor allem als Erinnerungstrigger: „Männer“, „Bochum“, „Flugzeuge im Bauch“, das eigentlich tieftraurige, Pseudo-Universelles versprechende „Mensch“, das tatsächlich recht locker rüberkommt, eine Art Reggae-Kleid angezogen bekommen hat. Manchmal ist es erstaunlich, wie Herbert Grönemeyer seine ewigen Lieder unerwartet performt und ihnen ein anderes musikalisches Gerüst errichtet. Das hat was (obwohl gerade die Saxophon-Passagen in „Bochum“ und „Alkohol“ wie eh und je nerven, "Flugzeuge im Bauch" mit Kontrabass und in ganz sachte und quasi unplugged ist aber sehr schön) und mag für ihn selbst vermutlich unumgänglich sein, allein der Abwechslung halber. Der Mann ist schließlich Künstler!
Das Publikum will Rock
Dann jedoch hat das Konzert manchen Durchhänger. Vor allem wenn Grönemeyers achtköpfige Band ausschließlich rockt. Viel Ödnis und Muckertum schimmert hier durch, da kann good old Herbert (60 Jahre ist er gerade geworden) noch so wieselflink die Bühne ablaufen oder ins Publikum ausbüchsen und es abklatschen. Das Publikum aber will Rock, durchaus stumpfen. Die ersten Zugaben nach anderthalb Stunden fordert es in meinem Block tatsächlich mit dem Nachsummen des White-Stripes-Songs „Seven Nation Army“, den natürlich alle aus den Fußballstadien kennen. Grönemeyer kontert das schön mit seinem neuen Fußballlied „Jeder für jeden“ und dem bunten, vielgestaltigen „Zeit, dass sich was dreht“, dem Stück, dass er zur Sommermärchen-WM 2006 geschrieben hat. Vor den nächsten Zugaben singen alle schon wieder die „Zeit, dass sich was dreht“-Melodie nach, und der ach so wunderbar angefasste Grönemeyer dürfte sich dieses Mal nur gedacht haben: Berlin, Berliiin, Du bist so wunderbar!
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