In der Strafsache Jan Böhmermann: Der Freispruch
Alexander Ignor, einer der bekanntesten Strafverteidiger Deutschlands, spielt den Fall Böhmermann durch, Schuldspruch wegen Beleidigung nach § 185 StGB ebenso wie Freispruch. Hier Ignors Begründung, warum der Angeklagte aus Rechtsgründen freizusprechen ist.
Der türkische Staatspräsident Erdogan hat gegen den TV-Komiker Böhmermann Strafantrag gestellt, wegen Beleidigung nach § 185 StGB. Alexander Ignor,einer der bekanntesten Strafverteidiger Deutschlands, spielt den Fall hier durch – und begründet einen Freispruch. Ignors Begründung für eine Verurteilung lesen Sie hier. In einem zweiten, von der Bundesregierung stattgegebenen Verfahren klagt Erdogan nach § 103 StGB (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten), mit dessen speziellen Problemen sich unser Autor hier nicht befasst.
Alexander Ignor lebt als Rechtsanwalt in Berlin, er ist u. a. auf Medienstrafrecht spezialisiert und war mit dem „Cicero“-Verfahren beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich. Er lehrt an der Humboldt-Universität und ist Vorsitzender des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer.
Zwar hat das vom Angeklagten in der Sendung „Neo Magazin Royale“ präsentierte Gedicht für sich genommen im Sinne des § 185 StGB beleidigende Inhalte. Insbesondere sagt es dem Antragsteller perverse sexuelle Handlungen nach und stellt ihn in eine Reihe mit bekannten Sexualtätern. Diese Äußerungen waren aber erkennbar nicht ernst, sondern satirisch gemeint. Damit bewegen sich die Äußerungen jedenfalls noch im Rahmen des durch die Meinungsfreiheit (Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz) geschützten Bereichs.
Es kann daher dahinstehen, ob auch der Schutzbereich der Kunstfreiheit (Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz) eröffnet ist. Das ist nicht schon deswegen der Fall, weil es sich bei dem Gedicht und dem Beitrag, in den es eingebettet ist, um eine Satire handelt. Satire kann zwar Kunst sein, aber nicht jede Satire ist Kunst.
Zu beachten ist der Kontext von Jan Böhmermanns Präsentation
Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz) ist für die freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend. Es ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist. In gewissem Sinn ist es die Grundlage jeder Freiheit überhaupt. Zwar wird das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der Ehre begrenzt. Diese Grenzen müssen aber ihrerseits aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden.
Wird durch eine Meinungsäußerung das gesetzlich geschützte Rechtsgut eines anderen beeinträchtigt, ist eine Güterabwägung erforderlich. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit muss vor allem da in die Waagschale fallen, wo von dem Grundrecht nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzungen Gebrauch gemacht wird, sondern der sich Äußernde in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen will.
Dementsprechend darf das vom Angeklagten präsentierte Gedicht nicht isoliert gedeutet und bewertet werden. Vielmehr ist auch der Kontext der Präsentation zu beachten.
Das Gedicht soll wie ein Lehrstück verdeutlichen, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland sehr weit geht
Das Gedicht ist Bestandteil eines Beitrages, der sich insgesamt kritisch mit dem Vorgehen des Anzeigenerstatters als türkischer Staatspräsident gegen eine andere deutsche Satiresendung und mit dessen Auffassung von Meinungsfreiheit überhaupt auseinandersetzt. Er zielt darauf ab, dem Zuschauer und dem Anzeigenerstatter, der in der Sendung ausdrücklich angesprochen wird, nach Art eines Lehrstücks deutlich zu machen, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland sehr weit geht. Lediglich der Bereich der Schmähkritik sei davon ausgenommen, wofür das Gedicht als Beispiel präsentiert wird.
Allerdings hat das Gedicht für sich genommen ehrkränkende Inhalte, die als solche das Persönlichkeitsrecht des Anzeigenerstatters verletzen. Es erfüllt an sich die Merkmale einer Schmähkritik, wie ja auch der Angeklagte in der Sendung selbst wiederholt zum Ausdruck gebracht hat.
Eben darin besteht die Besonderheit des Falles. Die „Schmähkritik“ steht nicht für sich selbst, sondern wird wiederholt als solche gekennzeichnet, um den Charakter als „Schmähkritik“ zu verdeutlichen und sie einer zulässigen Meinungsäußerung entgegenzusetzen. Auf diese Weise kommt dem Gedicht eine quasi-erzieherische Bedeutung zu. Damit weist es jedenfalls funktional einen Sachbezug auf und lässt sich nicht mehr eindeutig als Schmähkritik qualifizieren.
Folglich darf der dem Satirebeitrag immanente Konflikt zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsschutz des Anzeigenerstatters nicht von vornherein einseitig zugunsten des Persönlichkeitsschutzes aufgelöst werden. Vielmehr ist eine konkrete Güterabwägung geboten.
Diese Abwägung ergibt vorliegend, dass die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes des türkischen Präsidenten nicht derart schwerwiegend ist, dass die Meinungsfreiheit zurücktreten muss.
Der Anzeigenerstatter hat die Kritik an seinem Vorgehen gegen einen anderen Satirebeitrag und an seinem aus den Medien bekannten Umgang mit der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei provoziert. Dieser Umgang ist in und außerhalb der Türkei vielfach Gegenstand von Kritik. Es handelt sich nicht um eine private, sondern öffentliche Angelegenheit, letztlich auch um einen Aspekt politischer Machtausübung. Die öffentliche Auseinandersetzung mit politischer Macht ist unabdingbare Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Demokratie.
Die Satire wendet sich typischerweise gegen politische Machtausübung und greift hierfür vielfach auf das Mittel des Spotts zurück. Überhaupt bildet die Verspottung von Mächtigen seit alters einen Bestandteil öffentlicher Kritik. Hierbei bedienen sich Satiriker häufig klassischer rhetorischer Stilmittel wie der Übertreibung, des vulgären Witzes oder aber des Aufzeigens von Widersprüchen. Vorliegend besteht ein „running gag“ des verfahrensgegenständlichen Satirebeitrags im Durchspielen des Paradoxons, dass man das Verbot einer konkreten Äußerung nicht verdeutlichen kann, ohne die verbotene Äußerung zu äußern.
Böhmermanns Verlesung von Zoten im präsidialen Stil ist eine politisch konnotierte Kritik
Gegenstand des satirischen Beitrags, auch des Gedichts, ist der Anzeigenerstatter nicht persönlich, sondern in seinem Amt als türkischer Staatspräsident. Das belegt u. a. der Umstand, dass sein Porträt während der Präsentation des Gedichtes vor dem Hintergrund einer türkischen Fahne gezeigt wurde. Darin lag zugleich eine Verspottung des präsidialen Pathos, auf das der Anzeigenerstatter als Amtsinhaber Wert legt. Die Verlesung von Zoten im Stil einer präsidialen Ansprache des Anzeigenerstatters stellt eine besonders drastische, aber letztlich politisch konnotierte Kritik an diesem dar.
Folglich lässt sich ebenso wenig wie der Beitrag insgesamt das Gedicht als solches als reine Schmähschrift deuten. Fehlt es aber an dieser Eindeutigkeit, dann darf das Gericht seiner Entscheidung nicht einseitig die zur Verurteilung führende Deutung des Gedichts als Schmähschrift zugrunde legen. Dies würde gegen den Grundsatz der Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede verstoßen.
Alexander Ignor